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Schalter einer Produktionsanlage.

© imago/photothek/Ute Grabowsky

Exklusiv

Wie raus aus der Rezession?: Was Deutschlands Top-Ökonomen von der Ampel fordern

Deutschlands Schwäche wird zur Belastung für Europa. Fünf Top-Ökonomen fordern jetzt Bürokratieabbau, niedrigere Unternehmenssteuern. Die Regierung selbst verursache Misstrauen.

Deutschland steckt in einer Wirtschaftskrise. So zumindest muss man Christian Lindner (FDP) wohl verstehen. Der Bundesfinanzminister warnte am Mittwochabend davor, dass Deutschland beim Wirtschaftswachstum in die Schlussgruppe der Industriestaaten rutschen werde. „Ich finde das nachgerade peinlich und in sozialer Hinsicht gefährlich“, sagte er in Potsdam.

Zuvor hatte das Bundeswirtschaftsministerium die Konjunkturprognose für 2024 auf 0,2 Prozent gesenkt. Im vergangenen Herbst wurde für das laufende Jahr noch von 1,3 Prozent Wirtschaftswachstum ausgegangen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bezeichnete die Lage ebenfalls am Mittwochabend in Leipzig als dramatisch schlecht. Die EU-Kommission meldete am Donnerstag: Nirgendwo in Europa wächst die Wirtschaft schwächer als in der Bundesrepublik.

Was bräuchte es jetzt, damit das Land wieder in Schwung kommt? Der Tagesspiegel hat Deutschlands Top-Ökonomen gefragt – in vielen Punkten sind sie sich einig.


Unternehmerische Investitionen stärken

IW-Direktor Michael Hüther.
IW-Direktor Michael Hüther.

© dpa/Michael Kappeler

Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), sieht die Lösung vor allem in der „Stärkung unternehmerischer Investitionen“ – sowohl kurz- als auch mittelfristig. Er nennt drei nötige Werkzeuge für einen wirtschaftlichen Aufschwung: So müsse das geplante Wachstumschancengesetz mutiger vorangetrieben werden. Es sieht Steuerbegünstigungen für Unternehmen und Investitionsprämien vor. Als zweiten Punkt nennt Hüther „endlich einen richtigen Schritt im Bürokratieabbau“ – dieser sei bisher nur angekündigt.

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Um die Energiekosten zu stabilisieren und für Planungssicherheit zu sorgen, rät Hüther zudem zur Reaktivierung der Deckelung der Netzentgelte. Dabei warnt er vor einer Überlastung der Länder. „Klar ist, dass die Finanzierung der erheblichen Steuerausfälle und Kosten für Netzentgelte die gegenwärtigen budgetären Spielräume überdehnt“, sagte er dem Tagesspiegel. Hüther fordert deshalb Regierung und Opposition dazu auf, aufeinander zuzugehen: „Es sollte ein Kompromiss mit der Opposition gesucht werden, die wohl das gleiche Ziel verfolgen“, sagt der Wirtschaftsforscher.


Abbau von Bürokratie und Steuersenkungen

Der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest.
Der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest.

© dpa/Soeren Stache

Der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, sieht auch den Streit in der Bundesregierung als Ursache der wirtschaftlichen Schwäche. Die Bundesregierung müsse ihre internen Differenzen überwinden, fordert Fuest, um Sicherheit über den weiteren Kurs der Wirtschafts- und Klimapolitik zu schaffen. „Die Politikunsicherheit in Deutschland ist derzeit so hoch wie in Großbritannien im Jahr des Brexit“, sagte er dem Tagesspiegel.

Fuest fordert Steuersenkungen für Unternehmen, den Abbau von Bürokratie und zudem die Steigerung öffentlicher Investitionen. Auch das Steuer- und Transfersystem müsse verändert werden, um das Arbeiten wieder attraktiver zu machen. Außerdem warnt Füst vor kommenden demografisch bedingten Lasten. Um diese aufzufangen, müssten das Rentensystem, Pensionen und Krankenversicherungen „glaubwürdig reformiert werden.“


Einwanderung von Fachkräften ist unerlässlich

Moritz Schularick, Ökonom beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel.
Moritz Schularick, Ökonom beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel.

© privat

Auch Moritz Schularick vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW Kiel) sieht die politische Unsicherheit als mitschuldig am schlechten Wirtschaftsklima. Der Ökonom wünscht sich „eine positive Vision davon, wo Deutschland in zehn Jahren stehen will“. Für Zukunftsindustrien müssten jetzt die Investitionsanreize gesetzt werden. „Industriepolitik kann nicht das Ziel haben, die Industrien von gestern künstlich am Leben zu erhalten“, sagte Schularick dem Tagesspiegel.

Schularick verweist bei der Förderung des Wirtschaftswachstums auf einen Doppelschlag aus Digitalisierung und Bürokratieabbau. Außerdem sei eine gezielte Zuwanderung von Fachkräften unerlässlich. „Eine Stärkung der Willkommenskultur könnte hier unterstütztend wirken“, sagte Schularick.


Es braucht ein klares Aufbruchsignal

Achim Wambach, Präsident des ZEW.
Achim Wambach, Präsident des ZEW.

© Kitty Kleist-Heinrich

Die Herausfordeurngen der Bürokratie und des Fachkräftemangels betrachtet auch Achim Wambach, Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), mit Sorge. „Die Bundesregierung sollte ein Paket schnüren, das ein klares Aufbruchssignal bietet“, sagte er dem Tagesspiegel. Die Überdeckung struktureller Probleme mit kurzfristigen Programmen sei nicht hilfreich.

Bei der effektiven Unternehmenssteuerbelastung sei Deutschland mit 29 Prozent gegenüber dem EU-Durchschnitt von 19 Prozent ein Höchststeuerland. „Gerade international tätige Unternehmen rechnen sehr genau, in welchen Ländern sie investieren“, sagte Wambach. „Die hohen Steuern wird sich Deutschland auf Dauer nicht leisten können.“


Ein paar Sofortmaßnahmen reichen nicht

Oliver Holtemöller, stellvertretender Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und Professor für Makroökonomik an der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg.
Oliver Holtemöller, stellvertretender Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und Professor für Makroökonomik an der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg.

© IWH

Oliver Holtemöller vom Leibniz-Insitut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) warnt vor Schnellschüssen. „Mit drei bis fünf Sofortmaßnahmen ist wenig zu erreichen“, sagte der Ökonom. Stattdessen müssten strukturelle Probleme behoben werden: „Die deutsche Wirtschaft kämpft mit langwierigen strukturellen Problemen“, sagte Holtemöller.

Der Ökonom fordert, dass die Anzahl der erwerbsfähigen Menschen im Land ebenso wie die Sozialausgaben stabilisiert werden müssten Das Erwerbspersonenpotenzial müsse langfristig gestärkt und Sozialausgaben müssten stabilisiert werden. Eine Möglichkeit dafür sei etwa die Rücknahme der abschlagsfreien Rente ab 63 Jahren.

Holtemöller fordert zudem mehr vorausschauende Planung von der Politik: „Außerdem wäre ein langfristiger Plan, wie die im deutschen Klimaschutzgesetz verankerten Emissionsreduktionsziele bis 2045 erreicht werden sollen, wichtig“, sagte Holtemöller. Würden strukturelle Probleme überzeugend angegangen, wachse auch das Vertrauen bei Haushalten und Unternehmen wieder. „Dann wird auch wieder mehr konsumiert und investiert“, sagt der Ökonom.

In der kommenden Woche stellt Bundeswirtschaftsminister Habeck den Jahreswirtschaftsbericht vor. Dieser wird auch in der Politik mit Spannung erwartet – und gilt auch wenige Tage vorher nach als geheim.

Zumindest etwas Licht zeichnete sich zuletzt ab: Die Industrieproduktion zog im Dezember erstmals seit neun Monaten wieder an, und zwar um 1,2 Prozent.

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