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Annegret Kramp-Karrenbauer wird sich Diskussionen in der Partei stellen müssen.

© imago images/photothek/Florian Gaertner

Warnschuss aus Erfurt: Was die Wahl in Thüringen für die Bundespolitik bedeutet

Die Ergebnisse der Landtagswahl schicken Schockwellen nach Berlin: In der großen Koalition wächst die Sorge, ein kleines Land könnte die Gewichte verschieben.

Von Robert Birnbaum

Wenn Paul Ziemiaks Gesichtsausdruck auch nur annähernd die Stimmung seiner Vorsitzenden widerspiegelt, dann muss es im Konrad-Adenauer-Haus am Sonntag zugegangen sein wie bei einem Leichenbegängnis. Blass steht der CDU-Generalsekretär vor der Kamera, von einem bitteren Abend spricht er, und damit seine CDU nicht ganz so alleine ist mit der Bitterkeit, bedauert er von FDP über SPD bis Grüne die anderen gleich mit: „Die demokratische Mitte hat keine Regierungsoption.“

Das ist so gesehen richtig, allerdings überhaupt kein Trost an diesem Thüringer Wahlabend. In dem Satz steckt sogar gleich die nächste Zumutung, die die CDU auf sich zukommen sieht. Wenn es in Erfurt demnächst eine stabile Regierung geben soll, dann wird die Partei von Annegret Kramp-Karrenbauer schnell vor der Frage stehen, ob sie ihr Verständnis von der „demokratischen Mitte“ nicht erweitern muss.

Dass es für viele in Berlin und Erfurt kein schöner Sonntag werden würde, haben sie gefürchtet; dass es so übel kommen würde nicht. Die CDU hat das Land in der Mitte des vereinten Deutschland einst mit absoluten Mehrheiten regiert. Vor fünf Jahren war sie noch stärkste Partei.

Als die ersten Prognosen und Hochrechnungen am Sonntagabend auf den Bildschirmen erscheinen, landet sie auf Platz Drei hinter der AfD. Die SPD wird einstellig, die Grünen kratzen an der Fünf-Prozent-Hürde, die FDP springt knapp hinüber.

Für die Liberalen wäre das, wenn es dabei bis zum Ende der Auszählung bleibt, trotzdem ein Sieg. Sie waren bisher im Landtag gar nicht vertreten, bei den beiden Wahlen in Sachsen und Brandenburg scheiterten sie so wie überall in den Ost-Ländern seit einem Jahrzehnt. Jetzt versagt dem Landeschef Thomas Kemmerich kurz die Stimme, als er in Erfurt vor seine Anhänger tritt, und der Bundesvorsitzende Christian Lindner jubelt über einen „tollen Erfolg“.

Christian Lindner, FDP-Bundesvorsitzender, spricht über die Hochrechnungen der Landtagswahl Thüringen.
Christian Lindner, FDP-Bundesvorsitzender, spricht über die Hochrechnungen der Landtagswahl Thüringen.

© Foto: Christophe Gateau/dpa

Als die Auszählung fortschreitet, rutscht seine Partei bedrohlich nahe auf die Fünf-Prozent-Hürde zu. Knappe Ergebnisse sind eine Thüringer Tradition. Das Land hat nur 1,7 Millionen Wahlberechtigte. Da trennen oft wenige Stimmen Niederlage von Sieg.

Premiere für die Linke

Die großen Sieger aber heißen zweifelsfrei Bodo Ramelow und Björn Höcke. Ramelow schafft eine Premiere: Zum ersten Mal bei einer Landtagswahl im vereinten Deutschland ist die Linke stärkste Partei. Höckes AfD schafft nicht den Triumph, von dem der Chef des Rechtsaußen-„Flügel“ geträumt haben mag – an das Viertel aller Stimmen wie in Sachsen und Brandenburg reicht sein Ergebnis nicht heran. Aber es reicht allemal, um den Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen lächelnd vorrechnen zu lassen: „Die ehemaligen Volksparteien kommen noch auf 30 Prozent.“

Ziemiaks „demokratische Mitte“, um das gleich zu ergänzen, kommt auf etwa 40. Bei der Suche nach den Gründen herrscht in einem Punkt Einigkeit unter den Verlierern. Es habe eine „starke Polarisierung“ zwischen dem Regierungschef einerseits und der Maximal-Opposition AfD andererseits gegeben, sagt die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer. Der Effekt ist schon aus Sachsen und Brandenburg bekannt. „Trotzdem schockiert es mich natürlich total“, sagt Dreyer.

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Die Landes-SPD hat im Vergleich zu 2014 gut ein Drittel ihrer Stimmen verloren. Spitzenkandidat Wolfgang Tiefensee findet die ungefähr 8,5Prozent ungerecht. „Wir gehören nicht in die Talsohle“, sagt er. Tiefensee ist aber ein viel zu zurückhaltender Mensch, um mit dem Finger direkt nach Berlin zu zeigen. Trotzdem, für seine Verhältnisse wird er schon deutlich. „Die Bundespartei wird gut daran tun, schnell die Personalfrage zu klären“, mahnt der frühere Bundesminister. Dass die Bundes-SPD jetzt seit Wochen mit nichts anderem beschäftigt ist als der umständlichen Suche nach neuen Vorsitzenden, verbunden mit Debatten über Für und Wider der großen Koalition, war aus Sicht der Wahlkämpfer keine Hilfe.

Aufregung in der CDU

Bei den Grünen rätseln sie noch etwas über den Thüringer Tiefschlag. „Wir haben immer gesagt, es ist im Osten schwieriger“, sagt Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, die selbst aus Thüringen kommt. Parteichef Robert Habeck ist in Erfurt vor Ort und versucht sich in soziologischen Analysen. Die Menschen im Osten hätten genug Veränderungen erlebt, dass es für drei Biographien reiche, da habe es eine Partei schwer, die Veränderung wolle. Trotzdem, knapp fünf Prozent sind selbst für ost-grüne Verhältnisse schlecht. „Wir hätten gerne ’ne Schippe draufgelegt“, gibt Habeck zu.

Robert Habeck, Grünen-Bundesvorsitzender, und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt betrachten auf der Grünen-Wahlparty die ersten Hochrechnungen.
Robert Habeck, Grünen-Bundesvorsitzender, und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt betrachten auf der Grünen-Wahlparty die ersten Hochrechnungen.

© Daniel Naupold/dpa

Mike Mohring hätte gerne deutlich mehr als eine Schippe draufgelegt. Vor ein paar Tagen noch schien es gar nicht so schlecht auszusehen für die CDU-Spitzenkandidaten. Es gab Umfragen, die die langjährige Thüringen-Partei fast auf Augenhöhe mit Ramelow taxierten. Jetzt steht er vor seinen Getreuen, die die Prognose um 18 Uhr mit einem derart tiefen Schweigen verfolgt haben, dass dafür das Wort „Grabesstille“ nicht unangemessen erscheint. In Mohrings Augenwinkeln blinkt es leicht. „Für Thüringen und die demokratische Mitte ist das ein bitteres Ergebnis“, sagt Mohring. Immerhin ein Gutes kann er den Zahlen trotzdem abgewinnen: „Die Regierung Ramelow ist abgewählt!“ Die Getreuen applaudieren, ein bisschen überrascht von der Erkenntnis.

Sie dürfte in den nächsten Tagen und Wochen noch für Aufregung sorgen in der CDU. Denn es stimmt ja: So erfolgreich Ramelow für seine Partei war, so wenig hat die rot-rot-grüne Koalition in Erfurt den Partnern genutzt. Für eine Fortsetzung reicht es unter keinen Umständen. Also muss eine neue Regierung her – dass der Ministerpräsident nach der Thüringer Landesverfassung geschäftsführend im Amt bleiben kann, bis ein neuer gewählt wird, ist in der Praxis ja höchstens ein Modell für den Übergang.

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Das findet auch Rainer Haseloff. Den Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt hat die CDU- Spitze als ersten vor die Kameras geschickt. Man könne da in Erfurt nicht ewig rumpokern, sagt er. Es brauche eine schnelle Regierung. Dass es für eine Regierung „in der Mitte“ nicht reiche, stelle die Parteien allerdings vor ein „demokratietheoretisches Problem“. Was er damit meint, erschließt sich nicht sofort. Etwas mehr Sinn ergäbe es, wenn man Haseloffs theoretisches Problem mit dem praktischen des Kollegen Mohring kombiniert. „Es gibt keine bürgerliche Mehrheit in diesem Land“, stellt auch der Thüringer fest. „Das macht uns nachdenklich.“ Denn es sei „ ein Zustand, mit dem wir nicht gerechnet haben.“ Nun müsse man sehen, „was man gemeinsam aus diesem Wahlergebnis macht.“

Blockaden vermeiden

Heißt das etwa: Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen? Mohring hatte vor der Wahl jede Zusammenarbeit mit Linken wie AfD ausgeschlossen. In der Bundespartei geht es prompt los. Der frühere Brandenburger Landeschef Ingo Senftleben rät zum Umdenken und dazu, Blockaden zu vermeiden. „Denn ideologische Gräben wollen die Menschen nicht, deshalb sollten Linke und CDU auch Gespräche führen können“, sagt er dem „Handelsblatt“. Den anderen Pol liefert der Junge-Union-Chef: „Ich persönlich kann mir keine Kooperation mit Links- und Rechtspopulisten vorstellen“, sagt Tilman Kuban dem Sender Phoenix – nicht mit Ramelow, der die DDR nicht als Unrechtstaat bezeichnen wolle, und schon gar nicht mit Höcke: „Das ist ein Nazi.“

Womit also noch einmal Ziemiak gefragt wäre als die Stimme seiner Vorsitzenden. „Es wird mit der Union keine Koalition mit der Linken und auch nicht mit der AfD geben“, versichert der Generalsekretär. „Wir stehen zu allem bereit, was dem Land Thüringen nutzt, aber wir stehen auch zu unseren Wahlversprechungen.“ Man könne ja nicht seine Grundsätze über Bord werfen, „nur um an einer Regierung beteiligt zu sein“.

Das klingt klar und eindeutig. Es liegt auf der amtlichen Linie, der die Fraktion im Bundestag ebenso folgt wie der letzte Parteitag, der die Abgrenzung nach Links wie Rechts erneut festschrieb. Der Wall gegen die Linke, lautet das Mantra, müsse schon deshalb aufrecht erhalten bleiben, weil sonst über kurz oder lang auch der Wall gegen die AfD breche. Dass Ramelow ein netter Linker mit bürgerlichen Haltungen ist, mache das Argument nur noch dringlicher – bei der AfD gibt es ja ebenfalls nicht nur die Höckes.

Neue Schockwellen

Aber vielleicht muss man genauer auf Ziemiaks Worte achten. „Eine Koalition und jede ähnliche Form schließen wir aus“, sagt Ziemiak. Wäre die punktuelle Duldung einer Minderheitsregierung eine „ähnliche Form“? Könnte das die Lösung werden für Haseloffs demokratietheoretisches Problem? Wirklich stimmig sind die Stellungnahmen nicht. Nur eins ist klar an diesem Abend: Es wird nicht alleine Mike Mohrings Problem bleiben. Es wird zum Problem für seine Bundesvorsitzende. Spätestens wenn Annegret Kramp-Karrenbauer am Montag die traditionelle Vorstandssitzung nach einer Landtagswahl geleitet, dem Spitzenkandidaten den üblichen Blumenstrauß überreicht hat und dann mit ihm gemeinsam vor die Presse tritt, wird die Frage im Raum stehen: Und jetzt?

Mohring hat am Wahlabend kein Wort darüber verloren, dass er die Bundespartei nicht hilfreich fand – nicht die Patzer der Vorsitzenden, nicht die Debatte über die Patzer, erst recht nicht die Debatten über Kanzlerkandidatenurwahlen und dergleichen Berliner Sorgen.

Aber die Bundespartei muss ja damit rechnen, dass er sich für die Störungen revanchiert. Zum Beispiel so, dass ihn die Berliner Sorgen ab jetzt einfach auch nicht weiter stören.

Ungewöhnliche Wege in ungewöhnlichen Zeiten zu betreten – das dürfte die nächsten Schockwellen durch die CDU schicken.

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