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Olaf Scholz während seiner Regierungserklärung im Bundestag.

© REUTERS/CHRISTIAN MANG

Vor Sondergipfel Kritik aus EU: Deutschland ist mit seiner Migrationspolitik „ziemlich isoliert“

Im Bundestag erläutert Scholz seinen Kurs in der Asylpolitik. Für ihn ist die EU auf einem guten Weg. Doch die meisten anderen Länder fordern mehr Härte.

Deutschland ist in der Migrationspolitik innerhalb der EU weit gehend isoliert. Vor dem EU-Sondergipfel am Donnerstag in Brüssel, bei dem der Großteil der EU-Staaten auf eine schnellere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber dringen will, vertrat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dennoch eine gemäßigtere Linie.

In seiner Regierungserklärung vor dem Bundestag sagte der Kanzler zwar: „Wer hier kein Bleiberecht erhält, der muss Deutschland auch wieder verlassen.“ Allerdings zeigte sich Scholz am Mittwoch auch überzeugt, dass mit den bisherigen Kontrollen für Asylsuchende an den EU-Außengrenzen bereits „jahrelange Blockaden“ in der europäischen Asylpolitik gelöst worden seien. Dazu zählte der Kanzler die Erfassung von Fingerabdrücken von Migranten über das Eurodac-System.

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Im ganz überwiegenden Teil der EU-Staaten wird dies allerdings anders gesehen. Beim Sondergipfel geht es fast allen Staaten nach den Angaben von EU-Diplomatenkreisen darum, „die Zahl der Migranten zu senken“. Es sei auffällig, dass Deutschland zu den wenigen Ländern gehören, die diesen Kurs nicht mitverfolgen, hieß es weiter. „Deutschland ist ziemlich isoliert“, sagte ein EU-Diplomat.

Die Niederlande gehören zu den EU-Staaten, in denen die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum für ankommende Asylbewerber zunehmend zum Problem wird. Der niederländische Premier Mark Rutte beklagt, dass die bestehenden Regeln des so genannten Dublin-Systems nicht eingehalten werden.

Der Dublin-Regelung zufolge müssen Asylbewerber in der EU dort ihren Antrag stellen, wo sie zuerst den Boden der EU betreten. In der Praxis stellen allerdings viele Asylbewerber in Italien keinen Antrag, sondern ziehen in die Niederlande weiter.

„Ein konkretes Ergebnis dieses Gipfels müsste die Feststellung sein: Alles, was wir bisher in der Migrationspolitik unternommen haben, reicht nicht“, hieß es aus EU-Diplomatenkreisen. Gegenwärtig konzentriert sich die Diskussion unter den 27 Staaten unter anderem darauf, in wie weit Druck auf Herkunftsstaaten etwa in Nordafrika ausgeübt werden soll, damit diese abgelehnte Asylbewerber zurücknehmen.

Scholz äußerte zwar in seiner Regierungserklärung die klare „Erwartung gegenüber den Herkunftsländern, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, wenn diese hier kein Bleiberecht haben“. Er verwies auf ein Migrationsabkommen zwischen Deutschland und Indien. „Das funktioniert schon sehr erfolgreich“, sagte er.

Viele andere EU-Staaten, darunter Frankreich und Italien, wollen aber gegenüber den Herkunftsstaaten einen härteren Kurs verfolgen. Rom und Paris verlangen, dass die Visabedingungen für Herkunftsländer verschärft werden, welche ihre Staatsbürger im Fall einer Ablehnung bei Asylverfahren in der EU nicht zurücknehmen wollen.

Das ist die größte Fluchtbewegung auf unserem Kontinent seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs

Olaf Scholz, Bundeskanzler

Die Diskussion im Kreis der EU-Staaten macht vor allem eines deutlich: Die Asylpolitik ist zurück auf der Agenda der Gemeinschaft. In den vergangenen Jahren war das Thema mit der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg in den Hintergrund geraten. Eine grundlegende Reform des EU-Asylsystems, an der die Gemeinschaft sich seit Jahren abmüht, ist kurzfristig nicht absehbar.

Verschärft wird das Problem angesichts steigender Asylbewerberzahlen auch dadurch, dass die EU-Staaten seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs Millionen von Flüchtlingen aus der Ukraine aufgenommen haben. „Das ist die größte Fluchtbewegung auf unserem Kontinent seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“, rief Scholz vor dem Bundestag in Erinnerung.

Der Kanzler erklärte weiter, es sei „an Russland, diesen Krieg zu beenden – je eher, desto besser: für die Ukraine, für Russland und für die ganze Welt“. Der russische Präsident Wladimir Putin werde „seine Ziele nicht erreichen – auf dem Schlachtfeld nicht und auch nicht durch einen Diktatfrieden“. „So viel jedenfalls steht fest, nach einem Jahr Krieg“, fügte er hinzu.

Am Vortag hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei einem Besuch in Kiew erklärt, dass die Ukraine von einer Gruppe mehrerer europäischer Länder mehr als 100 Kampfpanzer des Typs Leopard 1 erhalten soll. Trotzdem wird auf EU-Ebene auch über eine mögliche Lieferung von Kampfjets an die Ukraine diskutiert. Scholz warnte allerdings vor einem „Überbietungswettbewerb nach dem Motto: Kampfpanzer, U-Boote, Flugzeuge – wer fordert noch mehr?“

Der Kanzler stellte klar, dass sich die Bundesregierung an einer derartigen Diskussion nicht beteiligen werde. „Denn jede Dissonanz, jede Spekulation über mögliche Interessenunterschiede nutzt einzig und allein Putin und seiner Propaganda“, sagte er zur Begründung.

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