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Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz, nach dem gemeinsamen Pressestatement von Bund und Ländern zum Digitalgipfel.

© dpa/Carsten Koall

„Viel zu spät und viel zu langsam“: Die E-Akte für die Justiz kommt – irgendwann

Nach dem Digital-Gipfel bei Justizminister Buschmann sehen Bund und Länder Fortschritte. Doch Kritiker bleiben skeptisch.

Monatelang stritten Bund und Länder über eine zukunftsfähige, digitale Ausstattung der Justiz. Nicht nur seine sechzehn Länderkolleg:innen waren sauer auf Bundesjustizminister Marco Buschmann, auch die Richterschaft ließ immer wieder durchblicken, dass die 200 Millionen Euro, die Berlin für die geplante Transformation in Aussicht gestellt hatte, längst nicht reichen würden.

Nachdem selbst eine Streitschlichtung unter Moderation des Bundeskanzleramtes im Dezember gescheitert war, sollte nun am Donnerstag ein Digitalgipfel, ausgerichtet vom Bundesjustizministerium, Abhilfe schaffen. An dem Angebot Buschmanns änderte sich zwar nichts, ausweislich der Resümees dürfte das Treffen dennoch ein Erfolg gewesen sein.

200
Millionen Euro will der Bund für die Digitalisierung der Justiz bereitstellen.

„Ziel war es, ein neues Miteinander von Bund und Ländern bei der Digitalisierung zu finden“, sagte der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) im Nachgang der Veranstaltung. „Hier sind wir heute einen guten Schritt vorangekommen.“ Ähnlich sieht es auch Anna Gallina, Hamburgs Justizsenatorin (Grüne).

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Der Bund habe sich in den intensiven Gesprächen auf die Länder zubewegt, sagte sie dem Tagesspiegel. „Wir konnten ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Verständigung erzielen, damit die 200 Millionen Euro der Digitalisierungsinitiative priorisiert, passgenau und zum größten Nutzen eingesetzt werden. Außerdem haben wir klare Arbeitsstrukturen vereinbart.“

2026 soll die E-Akte an allen deutschen Gerichten und Staatsanwaltschaften eingeführt sein

Ein besonders praxisnahes Sorgenkind der geplanten Transformation ist die E-Akte. Für die gibt es eine Deadline, die Expert:innen zufolge kaum noch zu schaffen ist: Ab dem 1. Januar 2026 soll es sie an allen deutschen Gerichten und Staatsanwaltschaften geben. Ein durchgehend elektronischer Arbeitsablauf mit einer digitalen Akte soll die in Verfahren ertrinkende Justiz massiv entlasten, so der Plan.

Praktiker:innen zeigen sich teilweise jedoch noch skeptisch: Antiquiertes Design und Benutzerunfreundlichkeit werden ebenso kritisiert wie Zeitverlust. Laut dem Juristen Martin Fries von der Ludwig-Maximilians-Universität München, der sich seit Jahren mit der Digitalisierung der Rechtspflege beschäftigt, hapere es bislang an allen Enden:

„Alles, was jetzt passiert, kommt viel zu spät und viel zu langsam. Was technische Herausforderungen angeht, hat der Gesetzgeber keinerlei Ambitionen.“ Schuld an der gelinde gesagt gemächlichen Entwicklung sei seines Erachtens auch der Föderalismus.

„Wenn die Justizministerinnen und Justizminister zusammensitzen, geht es weniger um die gemeinsame Sache, sondern oft auch um Befindlichkeiten der einzelnen Länder und parteipolitische Überlegungen.“ In Österreich, wo die Justiz Bundesangelegenheit ist, sei man in vielen Fragen weiter, weil man zentral einheitliche Lösungen umsetzen könne.

Gerichtsverhandlungen per Video sind in Deutschland bislang die Ausnahme.

© Gerichtsverhandlungen per Video sind in Deutschland bislang die Ausnahme.

Fun Fact: Auch die sehnsüchtig erwartete E-Akte wird nicht einheitlich an den Start gehen. Statt eines Systems sind die Länder in drei Verbünden organisiert, um E-Akten-Systeme zu entwickeln: Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Saarland und Sachsen-Anhalt haben sich für die ergonomische elektronische Akte (E2A) zusammengetan, für das Modul E-Akte ist Nordrhein-Westfalen verantwortlich.

Alles, was jetzt passiert, kommt viel zu spät und viel zu langsam. Was technische Herausforderungen angeht, hat der Gesetzgeber keinerlei Ambitionen.

Martin Fries, Privatdozent für Legal Tech an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Baden-Württemberg, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen bilden den „E-Akte als Service (EAS)“-Verbund, in dem Österreich ebenfalls Mitglied ist. Vor zwei Jahren gesellten sich noch der Bundesgerichtshof, das Bundessozialgericht und das Bundespatentgericht dazu. Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz arbeiten gemeinsam am elektronischen Integrationsportal (EIP), ebenfalls ein E-Akten-System.

Tanja Keller ist Richterin am Arbeitsgericht in Regensburg und Sprecherin des Landesverbands Bayern der Neuen Richtervereinigung. Die bisherigen Tests seien verheerend, berichtete sie im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Wenn man Spaß am Mittelalter hat, dann kann man sich auf das aktuelle Projekt freuen“, scherzt sie. „Bislang handelt es sich um bloße PDFs, die man lesen kann. 1000 Klicks statt einer Unterschrift oder einem bloßen Kürzel. Mit Arbeitserleichterung hat das nichts zu tun.“

Noch gibt es auch Kritik an der E-Akte

Erst während der Pandemie habe sie einen eigenen Dienstlaptop erhalten. „Vorher war es sehr umständlich, von zu Hause zu arbeiten.“ Keller pendelt von München nach Regensburg, musste immer alle Papierakten mit nach Hause nehmen. „Die meisten von uns sind privat wahrscheinlich besser ausgestattet als die Gerichte, das muss man leider so sagen.“ Bislang sind nur wenige der deutschen Sitzungssäle mit Videotechnik ausgestattet.

Bislang wird in der deutschen Justiz noch hauptsächlich mit Papierakten gearbeitet.

© Bernd Weissbrod/dpa

Auch in Regensburg sieht es bisweilen mau aus. Keller hält die Digitalisierung nicht in allen Bereichen für der Weisheit letzten Schluss. „Natürlich ist es wichtig, dass die Justiz digital aufgestellt ist. Aber wenn Sitzungen nur über Video durchgeführt werden, kann ich nicht überprüfen, in welcher Situation sich die jeweiligen Parteien befinden: Sind sie allein, wird möglicherweise Druck auf sie ausgeübt?“

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Auch ändere sich die Rolle der Richter:innen durch digitale Verhandlungen, meint sie. „Das ist doch etwas ganz anderes, wenn ich mit meinem Blick am Bildschirm klebe.“ Andererseits könnten nutzerfreundlichere Webseiten vieles vereinfachen, gerade für marginalisierte Gruppen. Viele Menschen klagen gar nicht mehr, nehmen sich keinen Anwalt, dabei gibt es hervorragende Rechtsantragsstellen und niederschwellige Unterstützung für Menschen, die schlecht Deutsch sprechen. Nur wissen das die meisten nicht, das gilt es zu ändern.“

Wenn Sitzungen nur über Video durchgeführt werden, kann ich nicht überprüfen, in welcher Situation sich die jeweiligen Parteien befinden: Sind sie allein, wird möglicherweise Druck auf sie ausgeübt?

Tanja Keller, Richterin am Arbeitsgericht in Regensburg.

Das Klischee der technikfeindlichen Richterschaft weist Richterin Keller weit von sich. „Es gibt meines Erachtens einfach noch zu viele Sollbruchstellen, von der Erreichbarkeit eines technischen Supports bis zur Anwender:innenfreundlichkeit der Programme.“ Dennoch sehe sie klar die Vorteile des technischen Fortschritts: „Natürlich ist das ein wahnsinniger Gewinn, wenn ich für die Suche nach einem Stichwort nicht mehr 300 Seiten einer Papierakte durchforsten muss.“

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Dass die Digitalisierung der Justiz trotz des großen Drucks von außen im Schneckentempo voranschreite, liege auch an der Mentalität im eigenen Haus, heißt es hinter vorgehaltener Hand aus dem Bundesjustizministerium. Es sei eine Mindsetfrage.

„In Ministerien treibt es nun mal viele Leute, die nicht unbedingt Lust auf Veränderungen haben und Verantwortung gerne abgeben. So kommt man nicht voran“, sagt ein Mitarbeiter. „Und dann gibt es noch die föderalen Egos, Persönlichkeiten, Befindlichkeiten und verschiedenen Farben, die Fortschritt immer wieder verhindern.“

Bürgerinnen und Bürgern, die per Videoanruf ein Bankkonto eröffnen und mit wenigen Klicks Streamingdienste abonnieren, kann man nicht vermitteln, wenn es auf dem Gebiet der Digitalisierung keine ausreichenden Fortschritte gibt.

Marco Buschmann, Bundesjustizminister (FDP).

Es ist noch jede Menge zu tun, zumindest darin dürften sich Bund und Länder einig sein. Die Digitalisierungsinitiative reicht nicht, um die Ankündigungen des Koalitionsvertrags zu erfülle, ist sich der bayerische Justizminister Eisenreich sicher. Darin habe die Bundesregierung vorgesehen, den Pakt für den Rechtsstaat fortzuschreiben und um einen Digitalpakt zu erweitern.

„Die Forderung nach einem Pakt für den Rechtsstaat und einem Digitalpakt mit einer angemessenen Beteiligung des Bundes an den von ihm verursachten Kosten bleibt.“ Marco Buschmann sprach von einer „Mammutaufgabe, die man nicht unterschätzen darf“. Bürgerinnen und Bürgern, die per Videoanruf ein Bankkonto eröffneten und mit wenigen Klicks Streamingdienste abonnierten, könne man nicht vermitteln, wenn es auf diesem Gebiet keine ausreichenden Fortschritte gebe.

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