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Noch fit genug zum Autofahren?

© dpa/Rolf Vennenbernd

Medizinische Pflicht-Checks für ältere Autofahrer?: Wissing befürchtet „enormen Bürokratie-Aufwand“

Das EU-Parlament plant Fahrtauglichkeit-Checks für Autofahrer aller Altersgruppen. Verkehrsminister Wissing hingegen will es Pkw-Fahrern selbst überlassen, wann sie den Wagen stehenlassen.

Ein Verkehrsunfall, wie er sich im nordrhein-westfälischen Siegen vor einem Jahr ereignete, wirft immer wieder aufs Neue die Frage nach der Fahrtüchtigkeit von Senioren auf: Ein 90-Jähriger bemerkte beim Ausparken aus der Hauseinfahrt nicht, dass seine hinter dem Wagen stehende Frau zu Fall gekommen war.

Der Mann überrollte mit dem Wagen den Arm seiner Ehefrau und fuhr anschließend weiter, weil er von dem Unfall gar nichts mitbekommen hatte.

Anders als in Deutschland gehören in zahlreichen EU-Ländern medizinische Tests für ältere Autofahrer zum Alltag. Körperliche Fitness, Seh- und Hörfähigkeit – wer beispielsweise in Italien im fortgeschrittenen Seniorenalter seinen Führerschein behalten will, muss sich regelmäßig untersuchen lassen.

Nun ist in der EU ein Streit darüber entbrannt, ob Medizin-Checks demnächst flächendeckend eingeführt werden sollen. An diesem Mittwoch wird im EU-Parlament darüber abgestimmt.

Menschen sind in der Lage, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen.

Volker Wissing (FDP), Verkehrsminister

Vor allem EU-Parlamentarier aus den südlichen EU-Ländern befürworten regelmäßige ärztliche Untersuchungen, da sie in ihren Heimatländern häufig schon verpflichtend für Autofahrer sind. In Italien wird der Medizintest für Senioren ab 80 alle zwei Jahre fällig.

In Spanien ist eine ärztliche Untersuchung im Abstand von jeweils fünf Jahren für Autofahrerinnen und Autofahrer ab 65 verpflichtend. Wird sie nicht durchgeführt, wird auch der Führerschein nicht verlängert.

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EU-Richtlinie: Verpflichtende Medizin-Checks sind umstritten

Sinn und Zweck solcher Untersuchungen sind allerdings umstritten. Die französische Grünen-Abgeordnete Karima Delli, über deren Bericht im EU-Parlament in Straßburg abgestimmt wird, argumentiert mit dem Nutzen für die Verkehrssicherheit.

„In einer Mehrheit der EU-Staaten gibt es bereits verpflichtende medizinische Untersuchungen“, sagte Delli bei der Debatte am Dienstag und verwies auf weitere Mitgliedstaaten wie Griechenland, Tschechien, Belgien oder Litauen.

Dagegen führte der FDP-Abgeordnete Jan-Christoph Oetjen an, dass mit der EU-weiten Einführung der Tests lediglich eine „Schein-Sicherheit“ suggeriert werde. Er dürfe keine „Pflicht für jedermann“ geben, verlangte Oetjen.

Verkehrsminister Wissing fürchtet erheblichen bürokratischen Aufwand.
Verkehrsminister Wissing fürchtet erheblichen bürokratischen Aufwand.

© PICTURE ALLIANCE / ASSOCIATED PRESS/Markus Schreiber

Auch nach der Einschätzung des ADAC wäre eine gesetzliche Verpflichtung von Eignungsuntersuchungen von Seniorinnen und Senioren nicht verhältnismäßig. Denn gerade ältere Verkehrsteilnehmende würden riskante Manöver meiden, heißt es beim ADAC. Senioren zeichneten sich demnach in der Regel durch einen an die Situation angepassten Fahrstil sowie vorausschauendes Fahren aus.

Laut dem Bericht der französischen Abgeordneten Delli sollen sich künftig indes nicht nur Senioren einer regelmäßigen amtsärztlichen Untersuchung unterziehen, wenn sie ihren Führerschein verlängert bekommen wollen. Der Test soll ihrer Vorstellung nach auch für Fahranfänger und anschließend alle 15 Jahre fällig werden.

Wie geht es nach der EU-Abstimmung weiter?

Aber selbst wenn sich im EU-Parlament an diesem Mittwoch eine Mehrheit für die Harmonisierung bei den unterschiedlichen Führerschein-Regelungen aussprechen sollten, kann dies im weiteren Brüsseler Gesetzgebungsverfahren erneut abgeändert werden.

Im nächsten Schritt müssen sich EU-Parlament, Mitgliedstaaten und EU-Kommission bei der endgültigen Fassung der Führerscheinrichtlinie einigen. Denkbar ist, dass die Mitgliedstaaten am Ende selbst über Medizin-Checks entscheiden können.

Wissing setzt auf Eigenverantwortung der Fahrer

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) will dabei verpflichtende Untersuchungen für Führerscheininhaber nicht mittragen. „Ich halte staatliche Vorgaben, verpflichtende Selbstauskünfte auszufüllen und ärztliche Gutachten zur Fahrtauglichkeit auszustellen, für einen enormen Bürokratie-Aufwand“, sagte Wissing dem Tagesspiegel. Das sei „nicht zielführend“.

Nach seinen Worten können Autofahrer selbst am besten einschätzen, ob sie noch fahren können. „In der Praxis reduzieren beispielsweise Seniorinnen und Senioren ihren Mobilitätsradius deutlich, wenn sie merken, sie können zwar noch fahren, aber zum Beispiel nicht mehr bei Nacht und Regen, und passen sich entsprechend an“, so Wissing.

Es ist mir schleierhaft, wie man das umsetzen will.

Thomas Rudner (SPD), EU-Abgeordneter und Verkehrsexperte, zu den von ihm geschätzten 3,5 bis vier Millionen medizinischen Untersuchung pro Jahr in Deutschland.

„Menschen sind in der Lage, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen“, sagte der Minister weiter. „Dafür braucht es keine Formulare und Gutachten, die nur Bürokratie produzieren und knappe Ressourcen in Behörden binden.“

Unter den deutschen Abgeordneten im EU-Parlament wollen viele Parlamentarier bei dem bevorstehenden Votum gegen verpflichtende Arzttests stimmen. Zu ihnen gehört der Verkehrsexperte Thomas Rudner (SPD). „Das würde pro Jahr in Deutschland 3,5 bis vier Millionen zusätzlicher Untersuchungen bedeuten“, sagte er dem Tagesspiegel. „Es ist mir schleierhaft, wie man das umsetzen will“, fügte er hinzu.

Sinnvoller als Medizin-Checks, die alle 15 Jahre stattfinden, wären nach seiner Ansicht freiwillige Untersuchungen für Autofahrer ab 70 und verpflichtende Tests ab 80. „Medizinische Untersuchungen taugen nicht als Ersatz für Fahrtauglichkeitsprüfungen“, so Rudner.

Auch in Berlin sehen Fachpolitiker den EU-Vorstoß kritisch

Auch in Berlin sind Fachpolitiker gegen einen obligatorischen Arzttest auf EU-Ebene. „Verpflichtende Gesundheitstests und die Altersdiskriminierung bei der Gültigkeitsdauer der Führerscheine lehnen wir entschieden ab“, sagte Bernd Reuther, der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Derartige Vorschläge seien nicht nur unverhältnismäßig, „sondern auch wissenschaftlich nicht begründet“.

Verpflichtende Untersuchungen stellten eine unnötige Belastung für Millionen von Fahrerinnen und Fahrer dar, ohne einen klaren Nutzen für die Verkehrssicherheit zu bieten. „Gegen diesen Irrsinn setzen wir uns vehement ein“, so Reuther.

Nach der Ansicht des verkehrspolitischen Sprechers der Grünen im Bundestag, Stefan Gelbhaar, ist es sinnvoll, etwa die Sehkraft regelmäßig zu überprüfen, auch schon in jungen Jahren. „Die Aufgabe ist, geeignete Kriterien oder angemessene Intervalle für Gesundheitsprüfungen zu erarbeiten und vorzulegen“, sagte Gelbhaar.

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