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13.03.2024, Nordrhein-Westfalen, Münster: Bei der Fortsetzung im Berufungsverfahren um den Streit der Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz steht unter anderem ein Buch über Sicherheitsrecht des Bundes auf dem Tisch der Anwälte der AfD, Michael Fengler (l) und Christian Conrad.

© dpa/Guido Kirchner

Update

AfD-Prozess gegen Verfassungsschutz: Migrantenfeindlich? Wir doch nicht!

Die AfD werte Migranten ab, sagt der Verfassungsschutz am zweiten Verhandlungstag. Die bietet Zeugen auf, die das Gegenteil beweisen sollen. Der Prozess wurde vorerst unterbrochen.

Die Verhandlung von Klagen der AfD gegen ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster ist am Mittwochabend für unbestimmte Zeit unterbrochen worden. Angesichts einer Vielzahl von Beweis- und Befangenheitsanträgen genügten die beiden angesetzten Prozesstage nicht. Wann das Verfahren fortgesetzt wird, ist ungewiss. Das Gericht kündigte an, weitere Termine zu bestimmen.

Zuvor hatte die AfD am Mittwoch noch Zweifel geäußert, ob die Angaben des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) zum Einsatz sogenannter Vertrauenspersonen in der Partei und ihren Gremien zutreffen. AfD-Anwalt Christian Conrad bezeichnete eine entsprechende Mitteilung als „Unwahrheit“ und bezog sich dabei auf Inhalte von Prozessakten, die dies belegten.

Verfassungsschutz verteidigt Einsatz von V-Leuten

Das BfV hatte am Dienstag vor Gericht erklärt, von den angeführten einigen Tausend Belegen für die Einstufung der AfD als mutmaßlich verfassungsfeindlich stammten lediglich zwei von „menschlichen Quellen“ des Verfassungsschutzes, also von V-Leuten. Ob es sich dabei um ein- und dieselbe Person handelt, blieb offen. 

Sollten die Angaben stimmen, würden die zuständigen Behörden wohl eher zurückhaltend agieren. Bei der Beobachtung der AfD stehen die Verfassungsschutzämter in Bund und Ländern vor einem Dilemma: Arbeiten sie mit dem Einsatz von V-Leuten, können sie zwar möglicherweise mehr Erkenntnisse über verfassungswidrige Bestrebungen gewinnen.

Soll die Partei aber irgendwann verboten werden, müssten die Quellen unverzüglich abgeschaltet werden. So verlangt es das Bundesverfassungsgericht. Eine Partei kann nur zerschlagen werden, wenn sie „staatsfrei“ agiert, also ohne Steuerung durch staatliche Quellen.

In Münster geht es um insgesamt drei Klagen der AfD gegen ihre Einstufung als sogenannten Verdachtsfall sowie die Einstufung der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) und den aufgelösten AfD-„Flügel“ als „gesichert extremistisch“. Das Kölner Verwaltungsgericht, das wegen des BfV-Sitzes in Köln zuständig ist, hatte die Klagen 2022 überwiegend abgewiesen.

Solche Informationen werden nicht zu den Akten genommen und nicht berücksichtigt.

Thilo Korte, Erster Direktor beim Bundesamt für Verfassungsschutz, zum Vorwurf der AfD, das Amt spioniere ihre Prozessstrategie aus

Wie bereits tags zuvor stellten die AfD-Vertreter auch am Mittwoch eine Fülle von Anträgen, für die sie sich auf die bisher nach ihrer Ansicht unzureichende Sachaufklärung beriefen. Sie wollten vom BfV auch Einzelheiten zu den verwendeten „menschlichen Quellen“ wissen, was das Amt jedoch mit Blick auf den Schutzbedarf der Information zurückwies. BfV-Anwalt Wolfgang Roth betonte, die Regeln für ihren Einsatz seien eingehalten worden. Alles andere seien Behauptungen „ins Blaue“.

Die beiden Rechtsanwälte der AfD, Michael Fengler (l.) und Christian Conrad.
Die beiden Rechtsanwälte der AfD, Michael Fengler (l.) und Christian Conrad.

© dpa/Guido Kirchner

Zudem traten die Verfassungsschützer Annahmen der AfD entgegen, sie würden die Prozessstrategie der Partei ausspionieren. Thilo Korte, Erster Direktor beim Bundesamt, versicherte, dass derartige Informationen, sollten sie an die Behörde gelangen, nicht zu den Akten genommen würden. Die AfD hatte zuvor auf eine polizeiliche Durchsuchung ihrer Bundesgeschäftsstelle im Jahr 2022 verwiesen, bei der auch Korrespondenz mit Rechtsanwalt Conrad beschlagnahmt worden sei.

Die AfD wertet Migranten ab, sagt der Verfassungsschutz

Am Mittwochnachmittag war es dann in Münster an den Kern der Vorwürfe gegangen. Das BfV hält der AfD vor, Volk und Staatsvolk voneinander zu trennen und Migranten abzuwerten, die rechtlich zwar zum Staatsvolk zählten, aber eben nicht zu einer „ethnokulturellen Einheit“, wie die AfD sie fördern wolle. Auf allen Ebenen der Partei gäbe es Aussagen über einen „Volkstod“ oder die „Vernichtung des deutschen Volkes“, betonte BfV-Anwalt Wolfgang Roth. Migranten würden unter anderem als „Verbrecher“ oder „Sozialbetrüger“ bezeichnet.

Es gibt Leute, die Blech reden. Wer es zu doll treibt, den versuchen wir zu entfernen.

Roman Reusch, AfD-Politiker, über ausländerfeindliche Reden aus seiner Partei.

Für die AfD widersprach der frühere Bundestagsabgeordnete und Beisitzer im Bundesvorstand Roman Reusch: „Wir sind keine Rassisten“, sagte Reusch. „Ich kann Ihnen versichern, dass wir diesen Volksbegriff nicht haben.“ Die AfD habe deshalb Zeugen mit Migrationshintergrund zum Prozess mitgebracht, die berichten könnten, wie mit Leuten wie ihnen umgegangen werde.

Ein Einwanderersohn erklärt, er fühle sich in der AfD willkommen

So erzählte unter anderem der AfD-Politiker Meysam Ehtemai, der für das Bürgermeisteramt in Hanau kandidiert hatte, dem Gericht von seinen Erfahrungen in der Partei. Er sei „deutscher Staatsbürger persischer Abstammung“ und 1995 mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen. Ehtemais Vater sei ein politischer Flüchtling gewesen. „Alles, was wir erreicht haben, verdanken wir Deutschland und den deutschen Bürgerinnen und Bürgern“.

Früher sei Ehtemai lange in der SPD gewesen, aber da diese Partei „kein anderes Thema als die Bekämpfung der AfD“ gehabt habe, habe er sich mit der AfD beschäftigt und sei 2019 eingetreten. In der neuen Partei habe er auf unterschiedlichen Ebenen Erfolge gefeiert, Niederlagen eingesteckt und Freundschaften geschlossen. Natürlich gebe es auch Gegner, dennoch möchte er den „Ausführungen widersprechen“, die AfD sei eine migrantenfeindliche Partei.

Mit Blick auf die in den Verfassungsschutz-Unterlagen vielfach zitierten ausländerfeindlichen Reden von AfD-Mitgliedern und AfD-Politikern sagte Roman Reusch: „Es gibt Leute, die Blech reden. Wer es zu doll treibt, den versuchen wir zu entfernen.“ Politisches Ziel seiner Partei sei aber lediglich, das Einbürgerungsrecht wieder einzuführen, das bis 1999 gegolten habe.

Ein AfD-„Prüffall“ wurde voreilig verkündet

Das BfV war mit seiner Beobachtung der AfD zunächst unglücklich gestartet. BfV-Präsident Thomas Haldenwang hatte trotz rechtlicher Bedenken aus seiner eigenen Behörde darauf gedrungen, die AfD öffentlich zum „Prüffall“ des Verfassungsschutzes auszurufen. Weil es dafür an einer gesetzlichen Grundlage fehlte, wehrte sich die Partei umgehend vor Gericht – erfolgreich.

Die Richter warfen dem BfV vor, die AfD in ihrer grundgesetzlich geschützten Parteienfreiheit und ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt zu haben. Die Äußerung sei eine „mittelbar belastende negative Sanktion“, die Wähler abschrecken könne.

Im Berufungsprozess in Münster fordert AfD-Vertreter Conrad nun, die Partei generell von der Beobachtung durch den Verfassungsschutz auszunehmen, da es im einschlägigen Gesetz dafür ebenfalls keine ausreichende Rechtsgrundlage gebe.

Dass sich das Oberverwaltungsgericht dem anschließen wird, ist allerdings unwahrscheinlich. Die Richter verwiesen auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, wonach zwar „administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei“ einem Parteiverbotsverfahren vorbehalten ist und „keine rechtlichen Sanktionen angedroht oder verhängt werden“ dürften.

Die Beobachtung durch ein Amt für Verfassungsschutz sei aber keine solche Maßnahme, sondern diene der Aufklärung des Verdachts, dass die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. „Auch ohne die Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit darf die Überzeugung gewonnen und vertreten werden, eine Partei verfolge verfassungsfeindliche Ziele.“

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