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Ein Freiheitsstauen-Double vorm schottischen Parlament: Egal wie das Referendum ausgeht - das United Kingdom wird sich verändern.

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Unabhängigkeitsreferendum in Schottland: So oder so: Großbritannien steht vor einer Neuordnung

Der Geist ist aus der Flasche. Großbritannien steht vor einer Verfassungskrise - egal, ob Schottland die Unabhängigkeit wählt oder nicht.

Wenn die Schotten am kommenden Donnerstag für den Alleingang in die Unabhängigkeit stimmen, wird es dem britischen Premier David Cameron nicht nur, wie er in Edinburgh mit feuchten Augen sagte, das Herz brechen. Es könnte ihn auch die Karriere kosten. Wenn er nach einem Ja nicht gleich zurücktritt, dürfte es nicht lange dauern, bis er von seiner Partei gestürzt wird.
Auch über Labour-Chef Ed Miliband wird vielleicht der Stab gebrochen. Nur seine Partei hätte Schottlands Austritt verhindern können. Die 1997 von Labour eingeleitete Dezentralisierungspolitik (Devolution) wäre gescheitert. Sie gab den Schotten ein Parlament, um ihren Unabhängigkeitshunger zu stillen. Stattdessen wurden die Zentrifugalkräfte im britischen Nationenbund beschleunigt. Ohne Schottland wäre Labours Machtbasis im Rest-UK dramatisch beschädigt.
Im Inneren und im Äußeren steht Großbritannien vor seiner vielleicht tiefsten Verfassungskrise seit 300 Jahren – mit Folgen, über die im Londoner Regierungsviertel noch niemand so recht nachzudenken wagt. Tritt Schottland aus, wird das Königreich wirtschaftlich, militärisch, politisch und und kulturell geschwächt. Die „erfolgreichste Soft Power Nation“ der Welt, wie sich die Briten gerne sehen, bekäme einen mächtigen Knacks und müsste sich neu definieren.

Mit dem Logo finge es an. Schottlands Blau müsste aus dem Union Jack entfernt werden. Ein neuer Name muss her, denn „United Kingdom“ bezieht sich auf die Vereinigung der Königreiche Schottland und England (mit Wales). Bewunderung, dass die Briten eine solche Amputation, die früher Krieg oder Revolution bedeutet hätte, „gentlemanlike“ umsetzen würden, wäre nur ein kleines Trostpflästerchen. Viele Staaten, die mit eigenen Unabhängigkeitsbewegungen ringen, dürften das Beispiel so oder so nicht schätzen.
Die außenpolitischen Folgen fasste der frühere Nato-Generalsekretär Lord Robertson knapp zusammen: „Die zweitwichtigste militärische und diplomatische Macht des Westens würde zerschlagen.“ Nur zwei Aspekte zeigen das Ausmaß des möglichen Erdbebens: Die Schotten fordern den Abzug der britischen Atom-U-Boote und könnten damit die unilaterale Atomabrüstung der Briten erzwingen – gerade wo, so Robertson, „Putin mit seinen Atomwaffen winkt“. Und als Ex-Atommacht könnte Großbritannien schwerlich seinen Sitz im UN-Sicherheitsrat behalten. Laut dem Historiker Peter Hennessy könnte Schottlands Unabhängigkeit „der Auslöser für einen Rückzug der Briten auf einen kleineren, gemütlicheren internationalen Status“ werden. Es gibt natürlich auch Stimmen, die solche Szenarien für Überdramatisierungen halten.

„Das UK wird nie mehr das Gleiche sein, egal wie das Referendum ausgeht“

Aber auch bei einem Nein dürfte das Referendum dramatische Folgen haben. „Das UK wird nie mehr das Gleiche sein, egal wie das Referendum ausgeht“, sagte Vizepremier Nick Clegg, der bereits Vorschläge für eine bundesstaatliche Verfassung des Vereinigten Königreichs in der Schublade hat – das zwar nie ein echter, vollständig zentralisierter Einheitsstaat gewesen ist, aber eben nur von London aus regiert wurde. In einem letzten Rettungsversuch für die Union wurde den Schotten noch mehr „Devolution“ angeboten. Ex-Premier Gordon Brown versprach, ohne Konsultation mit dem Parlament, weitgehende Steuerhoheit, das Recht Schulden zu machen, volle Autonomie in allen Fragen der Sozialpolitik. Die Bindungen zwischen Schottland und London werden auf jeden Fall weiter geschwächt – und die Ungleichheiten im Königreich noch größer.

Der britische Premier David Cameron nutzt jede Gelegenheit - hier einen Besuch bei einer Versicherungsgesellschaft - um für einen Verbleib Schottlands zu werben.
Der britische Premier David Cameron nutzt jede Gelegenheit - hier einen Besuch bei einer Versicherungsgesellschaft - um für einen Verbleib Schottlands zu werben.

© AFP

„Man gab Schottland alles, was es wollte, und ignorierte die Folgen für den Rest des UK”, schrieb der frühere Premier John Major über die bisherige Devolutionspolitik, die er im Wahlkampf 1997 bekämpfte. Seit langem sehen Schottlands britische Nachbarn mit Misstrauen auf die Anhäufung von Autonomierechten, an der sie ihre eigene Machtlosigkeit gegenüber der Londoner Zentralregierung messen können. Das gilt vor allem für den englischen Norden, der keine eigene Regionalversammlung hat.
Nun stehen sie alle in den Startlöchern. Wird mit Nein gestimmt, bleibt die Union vielleicht erhalten, aber das Palaver über eine neue Staatsordnung, eine Aufteilung der Befugnisse unter den britischen Nationen und Regionen hat begonnen. Auch Ukip-Chef Nigel Farage, der gerne die Stimme Englands wäre, wie SNP-Chef Alex Salmond die Stimme Schottlands wurde, fordert eine Bundesverfassung. Nordenglische Regionen, die Ballungszentren von Liverpool bis Leeds, fordern Selbstbestimmungsrechte wie Schottland. Wales will mehr Steuerrechte. „Westminster“ wird im Belagerungszustand sein.

Kein Stein wird auf dem anderen bleiben

Alle zusammen wollen die Doppelmacht schottischer Abgeordneter im Unterhaus beschneiden, die über rein englische Fragen von Steuern bis Bildung abstimmen können, obwohl ihre eigenen Wahlkreise nicht betroffen sind, weil diese Fragen autonom in Schottland entschieden werden. Der Konservative John Redwood warnt vor dem Erwachen des „freundlich schlummernden englischen Löwen“. Er hält die ungeklärte Zwitterrolle des Unterhauses als Parlament für England und den Gesamtstaat für unhaltbar. Der Geist ist aus der Flasche. Wie immer das Referendum ausgeht, Großbritannien steht vor einer Neuordnung, bei der nach Jahrhunderten stabiler Ordnung kein Stein auf dem anderen bleiben wird.

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