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Gefangene russische Soldaten beantworten Fragen der Medien bei einer Pressekonferenz in der Nachrichtenagentur Interfax in Kiew.

© dpa/Efrem Lukatsky

Ukraine-Krieg: Brisante Forderung nach Asyl für russische Deserteure

Das Asylrecht für Deserteure ist kompliziert. Zudem bestehen Zweifel an den Motiven der russischen Soldaten.

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Schon wenige Tage nach Beginn des Krieges in der Ukraine kursierten in den sozialen Netzwerken Bilder und Videos von desertierten russischen Soldaten, die sich an einer Tasse Tee wärmten und von Ukrainer*innen umringt waren. In einer Videobotschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in der Nacht von Donnerstag spricht er von mindestens 200 russischen Soldaten, die sich inzwischen in ukrainischer Gefangenschaft befinden. Inzwischen dürften die Zahlen jedoch höher sein.

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Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow versprach auf Facebook jedem russischen Deserteur vollständige Straffreiheit und umgerechnet rund 40.000 Euro, um noch mehr russische Soldaten dazu zu bewegen, ihre Waffen niederzulegen. „Jeder, der sich weigert, ein Besatzer zu sein, bringt den Frieden näher. Für diejenigen, die den Weg des Besatzers wählen, wird es keine Gnade geben“, so der Resnikow. Belegbar ist das finanzielle Angebot aber nicht.

Auch in Deutschland werden immer mehr Stimmen laut, die ein Asyl-Angebot für russische Soldaten von EU-Staaten fordern. Klara Bünger (Linke) forderte von der Bundesregierung, russischen Deserteuren Asyl anzubieten.

Konstantin Kuhle: "Wer den Mut hat, sich gegen Putin zu stellen, muss Asyl erhalten"

Konstantin Kuhle (FDP) stellt noch umfassendere Asylforderungen, die er dem Tagesspiegel bereits vergangene Woche mitteilte. „Es wird vorkommen, dass jetzige oder ehemalige Angehörige des russischen Sicherheitsapparats oder staatlicher Behörden entscheiden, das Land zu verlassen. Diesen Menschen sollte die EU in Aussicht stellen, dass eine bevorzugte Bearbeitung ihrer Asylverfahren in Betracht kommt. Wer den Mut hat, sich in Russland gegen Putins Regime zu stellen, der muss Asyl in der Europäischen Union bekommen.“, so der FDP-Politiker.

Auch der grüne Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer unterstützt die Forderung, auf der Plattform „Abgeordnetenwatch“ antwortet er auf die Frage eine*r User*in, dass er die Idee des Asyls für russische Deserteure teile und sich dafür einsetze.

Dass desertierende Soldaten aus Russland mit einem Asylgesuch in Deutschland Erfolg haben könnten, sei zumindest in der Theorie möglich, meint der Experte für Asylrecht Winfried Kluth. Er ist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Halle, an seinen Lehrstuhl ist die Forschungsstelle Migrationsrecht angebunden. „Solche Fälle behandeln wir regelmäßig in der Vorlesung. In der Praxis sind die Anforderungen an einen Asylanspruch sehr hoch. Eine richtungsweisende Entscheidung dazu hat im Jahr 2015 der Europäische Gerichtshof getroffen.“

Jurist Winfried Kluth: "Um Asyl zu bekommen, müsste ein Deserteur darlegen, dass er menschenunwürdige Behandlungen zu erwarten hätte."

Im Fall des in Bayern stationierten US-Soldaten Andre Shepherd hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass auch Soldaten mit nur unterstützender Funktion bei Furcht vor Bestrafung wegen Desertion Anspruch auf Asyl haben. Shepherd war vor einem Einsatz im Irak desertiert, um sich nicht an den von ihm behaupteten Kriegsverbrechen beteiligen zu müssen. Er hatte daraufhin in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Voraussetzung sei jedoch eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass er durch seinen Militärdienst an Kriegsverbrechen beteiligt worden wäre. Außerdem sei ein Asylanspruch ausgeschlossen, wenn zuvor kein Kriegsdienstverweigerungsverfahren vorgenommen worden sei. Zuvor hatten das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das Verwaltungsgericht München das Gesuch abgelehnt.

„Um Asylrecht gewährt zu bekommen, müsste ein russischer Deserteur darlegen können, dass er eine menschenunwürdige Behandlung und sehr harte Strafen, wie beispielsweise Folter, zu erwarten hätte“, erklärt Kluth. „Darüber hinaus müsste er darlegen können, dass in dem Kriegsgebiet mutmaßlich Kriegsverbrechen begangen werden.“ Auch wenn dies noch nicht abschließend überprüft werden konnte, schätzt der Jurist, dass diese Faktoren in der aktuellen Situation in der Ukraine und Russland zu bejahen seien. „Nach allem, was wir in der medialen Berichterstattung gerade sehen, ist davon leider auszugehen.“

Ein russischer Panzer steht am Rande einer Landstraße in der Nähe ukrainischen Stadt Donezk im Osten des Landes.
Ein russischer Panzer steht am Rande einer Landstraße in der Nähe ukrainischen Stadt Donezk im Osten des Landes.

© dpa/Alexander Ryumin

Viele russische Soldaten wissen nicht, dass sie in den Krieg ziehen

[Mehr zum Krieg: Wie weit sind die Soldaten? Aktuelle Karte der russischen Invasion in die Ukraine]
Wie viele Soldaten sich freiwillig gegen den Krieg entscheiden, lässt sich derzeit aber nur schwer sagen. Aus Geheimdienstkreisen berichten Medien von hunderten russischen Militärfahrzeugen, mit Löchern im Tank und kaputten Reifen. Angeblich sollen die Fahrzeuge von den russischen Soldaten selbst sabotiert worden sein, um nicht an den Angriffen teilnehmen zu müssen. Unabhängig prüfen lassen sich solche Behauptungen nicht.

Russische Soldaten sprechen in Berichten selbst immer wieder davon, dass sie nicht wussten, dass sie in einen Krieg ziehen. Die russische Regierung habe militärische Übungen oder Befreiungsaktionen angekündigt.

Der Politikwissenschaftler und Militärexperte Frank Sauer von der Bundeswehruniversität München hält das für glaubhaft. „Aus vielen Quellen habe ich inzwischen Material gesehen, das nahelegt, dass vor allem junge russische Soldaten in der Ukraine kämpfen, die teilweise keine Ahnung hatten, dass sie in den Krieg ziehen.“, so der Militärexperte.

Schlechtes Equipment bewegt russische Soldaten dazu aufzugeben

Jedoch ist das in Sauers Augen nicht der Grund, warum so viele Militärfahrzeuge zerstört sind: „Es stellt sich raus, dass viele der russischen Militärfahrzeuge mit billigen Reifen aus China oder Belarus fahren, die zudem schlecht gewartet sind“, so der Politikwissenschaftler. "Aus verschiedensten Quellen finde ich es inzwischen plausibel, dass einige der Soldaten durch die kaputten Fahrzeuge nicht weiterkommen und diese aufgeben."

Die Gründe dafür, warum sich Soldaten gegen den Kampf entscheiden, sind also vielseitig. Gerade diejenigen, deren Equipment versagt hat, haben nicht zwingend ein Interesse an einem Asylangebot europäischer Staaten.

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Eine hohe Zahl an Asylgesuchen russischer Deserteure sei laut Kluth jedoch nicht zu erwarten. Wahrscheinlicher seien Asylgesuche etwa in Polen und angrenzenden Staaten. „Es ist rein geographisch sehr unwahrscheinlich, aber natürlich weiß man nicht, wie sich die Situation weiterentwickeln wird. Wir sind zu weit von Russland entfernt. Wenn Deserteure etwa aus Polen weiter nach Deutschland reisen müssten die Behörden hier zunächst die eigene Zuständigkeit prüfen und wenn diese ausnahmsweise besteht, eine Prüfung in der Sache vornehmen", so Kluth.

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