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Für viele Studierende bedeutet die Inflation massive Einschränkungen.

© Sebastian Gabsch PNN/

Studienberatung warnt vor zahlreichen Abbrüchen: „Die Bafög-Erhöhung ist von der Inflation komplett aufgefressen“

Mit der 27. Novelle wurde das Bafög zwar um 5,75 Prozent erhöht. Aber das reiche nicht, sagen Expert:innen. Die Erhöhung könne die Inflation nicht ausgleichen.

Studierende sind seit jeher knapp bei Kasse. Jetzt wird die Lage noch ernster: Beinahe jeder dritte von ihnen ist einer Untersuchung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zufolge von Armut betroffen.

30 Prozent der Studierenden sind einer Untersuchung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zufolge von Armut betroffen. Bei den allein lebenden Studentinnen und Studenten sind es sogar 79 Prozent.

Durch die Inflation, unter der vor allem Menschen mit wenig Geld leiden, dürfte sich die Situation für Studierende noch weiter zuspitzen. „Wir würden uns für diese benachteiligte Gruppe mehr Unterstützung aus der Politik wünschen“, sagt Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

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Mit der 27. Bafög-Novelle wurden die Zahlungen zwar um 5,75 Prozent erhöht, doch die Inflation, die inzwischen bei 7,9 Prozent liegt, kann sie längst nicht ausgleichen. „Die Erhöhung ist schon komplett aufgefressen.“

Auch in den Mensen haben die Preise bereits angezogen.
Auch in den Mensen haben die Preise bereits angezogen.

© imago/Schöning

Dabei sind Studierende sogar doppelt von den Preissteigerungen betroffen“, sagt Grob. „Durch ihre eigenen Ausgaben, die sich deutlich erhöhen. Außerdem werden 89 Prozent von ihnen finanziell von ihren Eltern unterstützt, an denen die Inflation auch nicht spurlos vorbeigeht.“ Die Preissteigerungen seien inzwischen auch auf dem Uni-Campus zu spüren. In der Mensa kosteten die Gerichte bis zu 25 Prozent mehr.

„In den Wohnheimen versuchen wir, die Belastung so gering wie möglich zu halten, doch langfristig werden durch die hohen Energiepreise auch hier die Kosten steigen. Rund 50 bis 60 Prozent der Studierenden sind auf den freien Wohnungsmarkt angewiesen und dort wird es in den kommenden Monaten sicher noch deutlich ungemütlicher.“

„Ich gehe davon aus, dass viele ihr Studium abbrechen müssen“

Die prekäre Lage der Studierenden müsse politisch durch höhere Landeszuschüsse abgefedert werden, fordert er. Paul Wienands von der Sozialberatung der Technischen Universität Berlin geht mit seinen Befürchtungen noch weiter.

Die Zahl der Beratungsfälle, bei denen Studierende nicht mehr wissen, wie sie ihr Studium weiter finanzieren sollen, nehme wegen der verschärften Situation deutlich zu, sagte er dem Tagesspiegel.

„Ich gehe davon aus, dass viele ihr Studium abbrechen müssen, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Wir haben Studierende in der Beratung, die akut darüber nachdenken oder schon dabei sind, weil das Geld trotz Bafög-Satz nicht ausreicht und die Eltern nicht unterstützen können.“

Im Oktober wird der Bafög-Satz auf Hartz IV-Niveau steigen, das Wohngeld von 325 bis 360 Euro angehoben. „Aber wo findet man in einer Stadt wie Berlin noch ein WG-Zimmer für 360 Euro, das ist selbst in den Außenbezirken kaum möglich.“

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Auch vermeintliche Entlastungen wie das 9-Euro-Ticket hätten zwei Seiten, sagt Wienands: „Die Studierenden haben hohe Summen für ein Semesterticket bezahlt, die Differenz soll zwar erstattet werden, aber niemand weiß wann. Noch immer hat es da keine Bestätigung gegeben. Und das ist durchaus ein Betrag, der dabei helfen könnte, den Semesterbeitrag aufzubringen.“

Ähnlich sei es mit dem Heizkostenzuschuss. „Den soll es zwar geben, doch es ist unklar, wann er ausgezahlt wird. Studierende fallen einfach hinten runter.“

Auch der Armuts-und Reichtumsforscher Christoph Butterwegge zeigt sich alarmiert. „Studierende trifft die Inflation nicht zuletzt deshalb besonders hart, weil sie während der Covid-19-Pandemie oft ihre Minijobs verloren und weder Arbeitslosengeld I noch Arbeitslosengeld II oder Kurzarbeitergeld erhielten. Deshalb mussten sie ihre finanziellen Rücklagen – falls überhaupt vorhanden – angreifen oder aufzehren“, sagte er dem Tagesspiegel.

„Auch die Energiepreispauschale von 300 Euro aus dem zweiten Entlastungspaket der Bundesregierung bekommen Studierende ebenso wenig wie Auszubildende und Rentner, es sei denn, dass sie einen Nebenjob haben und daher steuerpflichtig sind.“

Auch nach der Bafög-Reform reiche das Geld kaum zum Leben, zumal auch die Wohnpauschale zu niedrig sei, um die galoppierenden Mietpreise in den Universitätsstädten auszugleichen.

Parlament berät über weitere Bafög-Reform

Auf Nachfrage heißt es aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, dass eine weitere Bafög-Reform derzeit im Parlament beraten werde. „Mit dieser Reform wollen wir einen Nothilfemechanismus im BAföG verankern, der dann aktiviert werden kann, wenn wir eines Tages erneut eine Krisensituation erleben sollten, in der – ähnlich der Covid-19-Pandemie – Nebenerwerbsmöglichkeiten für Studierende kurzfristig in erheblichem Umfang verloren gehen“, sagte ein Sprecher.

Mit diesem Mechanismus könnten befristet für die Dauer der künftigen Krisensituation der Zugang zum Bafög erheblich ausgeweitet und damit existenzbedrohende Notsituationen und mögliche Studienabbrüche verhindert werden.

Eine weitere Maßnahme: Zum Herbst sollen die Freibeträge, insbesondere die des elterlichen Einkommens, um 20,75 Prozent erhöht werden. Laura Kraft zufolge, Grünen-Bundestagsabgeordnete und Obfrau im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, könnten mit den geplanten Änderungen zunächst die schlimmsten Spitzen abgefedert werden.

Bei diesen dürfe es jedoch nicht bleiben. „Aufgrund der aktuellen Lage haben wir in der Ampelkoalition beschlossen, ein Verfahren zur regelmäßigen Erhöhung der Bedarfssätze umzusetzen.“
Nicole Gohlke, Vize-Fraktionsvorsitzende der Linken und Sprecherin für Bildung und Wissenschaft, gehen die Maßnahmen der Regierung nicht weit genug. „Mit einer Politik der Einmalzahlungen im Gießkannenprinzip werden wir nicht weit kommen“, sagte sie dem Tagesspiegel.

Lange Zeit hatten Studierende wegen Corona keine Präsenz-Vorlesungen.
Lange Zeit hatten Studierende wegen Corona keine Präsenz-Vorlesungen.

© picture alliance/dpa

„Nötig sind ehrlich berechnete Sozialleistungen, die zum Leben reichen.“ Ihre Partei fordert eine bedarfsdeckende Erhöhung und eine automatische Anpassung der Bedarfssätze und der Elternfreibeträge an die Inflationsrate, darüber hinaus einen Mietkostenzuschuss, der die tatsächlichen Mieten abdeckt und eine angemessene Digital- und Lernmittelpauschale.

Gyde Jensen, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, zeigt sich zufrieden mit den bisherigen Maßnahmen. „Es war uns wichtig, dass Studierende schon zu diesem Wintersemester mehr Geld bekommen.

Zum ersten Mal seit sehr vielen Jahren wird das mit einer Erhöhung von über acht Prozent trotz Inflation auch spürbar sein“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Wir haben als Regierungskoalition einen unverklärten Blick auf die riesigen Herausforderungen, die auf die Menschen aufgrund der Inflation, vor allem bei den Energiepreisen, in den nächsten Monaten zukommen.

Deshalb diskutieren wir gerade unterschiedliche Vorschläge zur Entlastung. Der Heizkostenzuschuss hat aber eine Sache klar gezeigt: Egal was kommt, Studierende und Auszubildende haben mit unserer Bildungsministerin eine starke Fürsprecherin, sie werden nicht vergessen.“

Die Belastungen der vergangenen Monate wirkten sich auf Studierende nicht nur im Geldbeutel aus, meint Stefan Grob. „Den psychologischen Beratungsstellen der Unis wird derzeit die Bude eingerannt.“ Die Anliegen hätten sich deutlich gewandelt, sagt er.

„Es geht nicht mehr primär um Prüfungen, sondern wirklich existenzielle Ängste, depressive Schübe, Suizidgedanken, Vereinsamung und Isolationsgefühle.“ Seine große Sorge: Eine Rückkehr in den Online-Betrieb. „Wir stehen vor so vielen Unwägbarkeiten. Eine mögliche Herbstwelle und die Energiekrise lassen schlimmes befürchten.“

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