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Martin Sonneborn, anlaesslich eines Pressetermins zum Start der Spasspartei Die PARTEI in den EU-Wahlkampf, vor der Volksbuehne in Berlin.

© imago images / Reiner Zensen

Sperrklausel für Europawahlen: Kommt 2029 das Aus für Volt, die „Partei“ und Co.?

Die Ampel-Parteien streben für Europawahlen eine Hürde von mindestens zwei Prozent an. Für Gruppierungen wie die „Partei“, Volt oder die Tierschutzpartei könnte es deshalb eng werden. 

„Für Europa reicht’s.“ Mit diesem Slogan zog die Satirepartei „Die Partei“ 2019 erneut ins Europaparlament ein. Demnächst könnte es aber nicht mehr reichen.

Der Bundestag will der deutschen Zustimmung zu einem EU-Gesetz den Weg ebnen, das im Fall von Deutschland frühestens ab 2029 bei Europawahlen eine Hürde von mindestens zwei Prozent einbaut. 2019 hatte die „Partei“ mit 2,4 Prozent knapp darüber gelegen.

Kleinstparteien wie die „Partei“, Volt oder die Tierschutzpartei profitieren bislang davon, dass es in Deutschland bei Europawahlen keine Sperrklausel gibt. Damit bildet Deutschland EU-weit unter den großen Staaten weitgehend eine Ausnahme. Unter den großen Ländern, die mehr als 50 Abgeordnete nach Straßburg schicken, verzichtet sonst nur noch Spanien auf die Prozent-Hürde.

Allerdings haben sich SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen, eine Hürde für die Europawahl einzuführen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer begründet das Vorhaben damit, „dass es zum Parlamentarismus gehört, dass man gestalten kann“. Anders gesagt: Mit einer Prozent-Hürde soll eine Zersplitterung des Europaparlaments vermieden werden. In Straßburg gehören mehr als 50 der 705 Abgeordneten Kleinstparteien an.

Der frühere Europaabgeordnete Schäfer war seinerzeit selber in Karlsruhe dabei, als das Bundesverfassungsgericht 2011 eine Prozent-Hürde für die Europawahl in Deutschland untersagte. Die Karlsruher Richter hätten damals „dem Europaparlament die Parlamentsreife etwas abgesprochen“, sagte Schäfer dem Tagesspiegel.

In der Zwischenzeit sind aber die Staats- und Regierungschefs der EU aktiv geworden. Sie billigten 2018 den Entwurf eines sogenannten Direktwahlakts. Darin werden die Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert, eine Sperrklausel zwischen zwei und fünf Prozent für Europawahlen einzuführen. Inzwischen ist der Direktwahlakt überall in der EU ratifiziert – außer in Deutschland, Spanien und Zypern.

Bei der Regierungsklausur in Meseberg billigte das Kabinett einen vom Innenministerium vorgelegten Entwurf, dem zufolge bei den EU-Wahlen eine Mindestschwelle von „nicht weniger als zwei Prozent“ gelten soll. Im Juni, so sehen es die Planungen vor, soll die endgültige Fassung des Gesetzentwurfs vom Bundestag beschlossen werden.

Damit das Gesetz in Kraft treten kann, müssen zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten zustimmen. Vor allem die FDP pocht unter den Ampel-Parteien darauf, dass die Hürde für Kleinparteien, die nach Straßburg wollen, nicht über die mindestens vorgegebenen zwei Prozent hinausgeht.

Mindestens 50 der 705 Europaabgeordneten gehören Kleinstparteien an.

© dpa/Jean-Francois Badias

Das Gesetzgebungsverfahren läuft derweil aufgrund unterschiedlicher EU-Vorgaben zweigleisig. Denn mittlerweile stimmte das EU-Parlament im Mai des vergangenen Jahres gewissermaßen für eine Reform der EU-Wahlreform. Parteien mit einem Stimmenanteil von weniger als 3,5 Prozent sollen in den bevölkerungsreichsten EU-Staaten künftig außen vor bleiben, forderten die Abgeordneten in Straßburg. Hier sind ebenfalls die Mitgliedstaaten am Zuge – also auch Deutschland.

Bei diesem Verfahren will der Bundestag die Bundesregierung ebenfalls bis Mai dazu auffordern, die Wahlrechtsreform auf EU-Ebene zu unterstützen. Auch wenn die bevorstehende EU-Wahl im kommenden Jahr von der Reform noch nicht betroffen ist, schlagen die Vertreter der Kleinparteien in Brüssel und Straßburg schon jetzt Alarm.

Die Sperrklausel ist fachlich und sachlich nicht gerechtfertigt.

Damian Boeselager, Abgeordneter der Partei Volt

Wenn die Ampel-Koalition mit ihren Plänen für eine Sperrklausel Ernst mache, sei das „bedauerlich für das Grundgesetz und für die Autorität des Bundesverfassungsgerichts“, sagte Martin Sonneborn von der „Partei“ dem Tagesspiegel.

Martin Sonneborn, Vorsitzender der Partei „Die Partei“, sieht die Autorität des Verfassungsgerichts unterminiert.

© dpa/Wolfgang Kumm

Sonneborn gehört in Straßburg keiner Fraktion an. Dennoch teilt man unter den Vertretern deutscher Kleinstparteien keinesfalls das Argument, sie trügen zur Zersplitterung des Parlaments bei. In der Praxis stimmt Sonneborn häufig gemeinsam mit Grünen und Linken ab, während etwa Damian Boeselager, der einzige Europaabgeordnete der Partei Volt, Mitglied der Grünen-Fraktion wurde. 

Boeselager, dessen Partei bei der letzten Europawahl 0,7 Prozent erreichte, hält die geplante Sperrklausel für „fachlich und sachlich nicht für gerechtfertigt“. Es sei ein „ungerechtfertigter Eingriff in das demokratische Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger, ihre politischen Präferenzen auszudrücken“.

Der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier sieht in der geplanten Reform den Vorteil, „dass sich das Gewicht der deutschen Parteien in den großen Fraktionen im Europaparlament verstärken wird“. Ein Nachteil sei, „dass die Vielfalt, für die Deutschland stand, fehlen wird“.

Nach den Worten von Jun ist eines schon jetzt relativ klar: Es dürfte erneut Klagen gegen die Sperrklausel vor dem Verfassungsgericht geben.

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