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Viel Geld braucht der Staat, um die Folgen der Corona-Krise zu bewältigen - die SPD will damit die Zukunft der Wirtschaft und des Staates sichern.

© dpa

SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch: Sozialdemokraten können nicht mit Geld umgehen? - „Das Gegenteil stimmt“

In der Coronakrise gibt der Staat Milliarden aus. Braucht er dauerhaft mehr Geld? Ein Interview mit dem Sprecher der Parlamentarischen Linken.

Von Hans Monath

Matthias Miersch ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und Sprecher der Parlamentarischen Linken (PL). Der niedersächsische Bundestagsabgeordnete ist zudem Mitglied im Bundesvorstand seiner Partei.

Herr Miersch, die SPD hat mit der Nominierung von Olaf Scholz früh ihre Personalentscheidung für das Wahljahr 2021 getroffen. Wie gut sind Sie inhaltlich vorbereitet?

Ich freue mich über diese frühe Personalentscheidung, weil wir uns nun auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit den anderen Parteien konzentrieren können. Wir sind dafür seit dem Bundesparteitag 2019 gut vorbereitet – was die Steuer- und Finanzpolitik angeht, den Sozialstaat von morgen, und auch die sozialökologische Transformation. Wir müssen im nächsten Jahr kein 120-Seiten-Wahlprogramm vorlegen, sondern unsere Themen zuspitzen.

Was ist das Kernversprechen der SPD?

Wir sind die Garanten von Zusammenhalt und Zukunft. Für beides brauchen wir einen starken, handlungsfähigen Staat. Wir müssen die Folgen von Corona bewältigen. Und wir müssen massiv in die Infrastruktur und in Zukunftsbranchen, wie die Wasserstofftechnologie investieren. Ich bin ganz sicher: Über die Frage, wie viel Geld der Staat braucht, um durch diese Zeiten zu steuern, werden wir mit der Union nicht erst im Wahljahr, sondern schon in den kommenden Monaten harte Auseinandersetzungen führen.

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Wenn man sich anschaut, wo die Bürger der SPD Kompetenz zutrauen, schaut es bei der Wirtschaftspolitik schlecht aus. Sind die Menschen zu doof, um die Leistung der SPD zu würdigen?

Es gibt das alte Vorurteil, wonach Sozialdemokraten nicht mit Geld umgehen können. Doch gerade jetzt in der Krisenzeit beweist sich, dass das Gegenteil stimmt. Das Konjunkturpaket unseres Finanzministers Olaf Scholz, sorgt mit hohen Investitionen in die Wirtschaft für Zukunftsfähigkeit. Es ist gute Wirtschaftspolitik, dass wir den Kohleausstieg nutzen für massive Investitionen für die betroffenen Regionen in den sozial-ökologischen Umbau. Wir sichern den sozialen Zusammenhalt und weisen Wege in die Zukunft.

Lange hat sich der Finanzminister Mühe gegeben, seine Seriosität auch durch die Einhaltung der Schuldenbremse zu beweisen. Sollte er nach dem Corona-Schock zu dieser Politik zurückkehren?

Es war die gute Finanzpolitik von Olaf Scholz in den vergangenen Jahren, die es uns jetzt ermöglicht, groß zu investieren. Wir müssen nun die Wirtschaft stimulieren, in Infrastruktur, Bildung und unser Gesundheitssystem investieren und die Voraussetzungen für die Digitalisierung schaffen. In den vergangenen Monaten hat der Begriff Daseinsvorsorge völlig zurecht eine Renaissance erfahren. Staaten mit einem ausgebauten Sozialsystem und einer ordentlichen öffentlichen Daseinsvorsorge kommen viel besser durch diese Krise als Staaten, die das nicht haben. Die Debatte um die Schuldenbremse ist eine Nebelkerze. Nach dieser Krise brauchen wir keine neuen Schulden, wenn der Staat über genügend Einnahmen verfügt. Wir sollten nun darüber debattieren, wer sich wie an der Finanzierung des Staates beteiligt.

Sie sagen: Wir brauchen eine Debatte. Als PL-Sprecher haben Sie da doch bestimmt schon eine Idee…

Das ist richtig. Es gibt in Deutschland riesige Unterschiede bei den Einkommen und den Vermögen. Wir sollten diejenigen mehr fordern, die mehr haben. Diese Krise lehrt uns, dass uns essenzielle Bereiche wie etwa die Gesundheitsversorgung und die digitale Infrastruktur mehr Geld wert sein müssen.

Aus der Union und der FDP kommt die Warnung, mit dem staatlichen Geld würden auch solche Firmen künstlich am Leben erhalten, die eigentlich gar nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Das behindere dann den Strukturwandel. Was sagen Sie dazu?

Das ist ein absurdes Pauschalurteil. Wen meinen sie denn konkret? Es gibt viele Branchen, denken Sie an den Messebau oder die Veranstaltungsbranche, die nicht schlecht wirtschaften, sondern wegen der staatlich verordneten Restriktionen in der Corona-Krise leiden. Richtig ist: In bestimmten Branchen braucht es Unterstützung. Deshalb ist es richtig, dass der Staat den Zulieferern in der Automobilindustrie hilft oder sich sogar an Unternehmen beteiligt – immer unter der Voraussetzung, dass die Empfänger nicht einfach weitermachen wie bisher, sondern Zukunftskonzepte vorlegen. Mit staatlicher Unterstützung können wir in Deutschland nachhaltiger wirtschaften. Wenn es darum geht, sind manche bei unserem Koalitionspartner leider ein Totalausfall.

Matthias Miersch (51) ist als Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion zuständig für die Themen Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit sowie für Wirtschaft und Energie.
Matthias Miersch (51) ist als Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion zuständig für die Themen Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit sowie für Wirtschaft und Energie.

© Susie Knoll

Das größte Konjunkturprogramm der Nachkriegsgeschichte mit einem Volumen von 130 Milliarden Euro hat die große Koalition gemeinsam beschlossen. Wie läuft die Umsetzung?

Jetzt kommt es darauf an, dass das viele Geld zügig dort ankommt, wo es nützlich sein kann. Leider machen Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Verkehrsminister Andreas Scheuer ihren Job nicht. Es kann nicht sein, dass von den zusätzlichen Investitionen für den Aufbau der Elektroladeinfrastruktur noch kein Geld abfließt, weil das Verkehrsministerium an einem Förderprogramm arbeitet, das erst im kommenden Jahr fertig sein soll.  Und auch Herr Altmaier bremst den Ausbau der Erneuerbaren Energien aus. Das ist beides nicht hinnehmbar.

In Zeiten der Corona-Krise sehnen sich viele Menschen nach Sicherheit. Wird sich die SPD im Wahljahr Garant von Sicherheit empfehlen – oder für ein „progressives Bündnis“ werben?

Wenn ich von Zusammenhalt spreche, meint das natürlich auch Sicherheit. In Deutschland können sich die Menschen darauf verlassen, dass die Gemeinschaft sie auffängt, wenn sie Unterstützung brauchen. Beim Thema Sicherheit denken Sozialdemokraten an soziale Sicherheit und an innere Sicherheit.

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Apropos innere Sicherheit – auch da sind die Kompetenzwerte der SPD schlecht. Woran liegt das?

Die SPD muss sich überhaupt nicht verstecken, wenn es um das Thema innere Sicherheit geht. Auch hier geht es um die Handlungsfähigkeit des Staates und die Frage der Finanzierung, ob wir etwa die Polizei kaputtsparen oder gut ausstatten. Nicht nur in meinem Heimatland Niedersachsen sind wir da gut aufgestellt.

Die meisten Menschen erwarten von der Politik aber auch die Durchsetzung von Regeln, wenn es um innere Sicherheit geht. Warum kommen solche Botschaften nicht von der Führung der Bundes-SPD?

Denken Sie nur daran, wie viele Steuerhinterzieher unser Parteivorsitzender Norbert Walter-Borjans in seiner Zeit als Finanzminister vor Gericht gebracht hat, um wie viele Steuermilliarden wir ohne ihn betrogen worden wären. Unsere Parteichefs verkörpern auch die Durchsetzung von Regeln.

Eine Studie der Bertelsmannstiftung kam gerade zu dem Schluss: Eine restriktivere Migrations- und Flüchtlingspolitik nach dem Jahr 2015 habe dazu beigetragen, dass der Zuspruch zu Rechtspopulisten gesunken ist. Ziehen Sie daraus Schlüsse für Ihre Politik?

Nein. Wer etwas gegen Rassismus und Radikalisierung tun will, muss sich als Allererstes darum kümmern, wie es den Menschen geht. Es geht um ihre soziale Lage und darum, warum sie sich abgehängt fühlen. Es geht um rhetorische Scharfmacher und auch um Bildungsversäumnisse. Da muss Prävention ansetzen. Das Thema Flüchtlingspolitik würde ich davon trennen. Leider sehen wir gerade am Beispiel Moria, dass die Flüchtlingspolitik in Europa nicht funktioniert.

Die PL war immer Avantgarde in der SPD, wenn es um eine Koalition mit der Linkspartei geht. Nun bestreiten prominente Linken-Politiker die Verantwortung Putins für den Giftanschlag auf Nawalny.  Glauben Sie wirklich, die Linkspartei sollte Deutschland in international herausfordernden Zeiten mitregieren?

In jeder Partei finden sich seltsame Äußerungen. Aber es zeigt unter dem Brennglas, wo die Linke noch ihre Hausaufgaben machen muss. Wir wollen einen sozialökologischen Aufbruch gestalten, der unser Land zukunftsfähig macht und gleichzeitig gesellschaftlichen Zusammenhalt garantiert. Dafür halte ich Rot-Rot-Grün für die beste Option. Wir werden alles dafür tun, das gut vorzubereiten.

Kommt auch die FDP als Regierungspartner für die SPD nach der BT-Wahl infrage, wenn die Zahlen stimmen?

Grundsätzlich schließt die SPD nur eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. Es kommt darauf an, mit wem wir nach der Wahl unsere Ziele am besten durchsetzen können.

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