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Ukrainische Flüchtlinge am Berliner Hauptbahnhof.

© IMAGO/Stefan Zeitz

Sonst droht Überlastung: Die Bundesregierung muss helfen, die große Fluchtbewegung zu steuern

Die Aufnahmebereitschaft für Ukraine-Geflüchtete ist enorm. Doch es darf kein Chaos entstehen, sonst schlägt Hilfsbereitschaft in Frustration um. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Maria Fiedler

Darauf konnte keine Regierung in Europa vorbereitet sein. Gut zwei Wochen alt ist dieser Krieg. 2,4 Millionen Menschen haben die Ukraine bereits verlassen, manche Experten rechnen damit, dass es bis zu zehn Millionen werden könnten. Europa steht am Beginn der größten Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg. Diese Herausforderung gemeinsam zu bewältigen, ist eine historische Aufgabe. Deutschland hat dabei eine wichtige Rolle.

Von Bundesinnenministerin Nancy Faeser kann man in diesen Tagen nicht erwarten, für alles sofort eine Lösung zu haben. Sehr wohl erwarten kann man aber, dass sie versucht, vor die Lage zu kommen und nicht nur zu reagieren. Sonst drohen sich Fehler aus den Jahren 2015 und folgende zu wiederholen.

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Die größte Herausforderung derzeit ist die Verteilung der Geflüchteten, in Europa, aber auch in Deutschland. Das ist zugegebenermaßen keine leichte Aufgabe. Ukrainer mit biometrischem Pass genießen Freizügigkeit in der EU, bis zu 90 Tage können sie sich visafrei hier aufhalten. Zur Registrierung zwingen kann sie niemand.

Viele kommen derzeit bei Freunden oder Verwandten unter. Auch die Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung ist enorm. Nur ein Teil der ankommenden Menschen wendet sich direkt an die Behörden. In den kommenden Tagen dürfte dieser Anteil aber steigen. Denn nun kommen immer mehr Geflüchtete, die niemanden hier kennen.

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Berlin trägt derzeit in Deutschland die Hauptlast. Dass Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey bereits vor der Gefahr eines „Katastrophenfalls“ warnte und ein stärkeres Engagement des Bundes anmahnte, ist kein gutes Zeichen. Chaos, Kontrollverlust gar, muss vermieden werden. Sonst kann Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung schnell in Frustration umschlagen.

Putin will Europa destabilisieren

Ministerin Faeser hat reagiert. In Berlin und Frankfurt (Oder) werden Busse angeboten, die Geflüchtete zu alternativen Zielen bringen. Am Freitag verkündete Faeser, dass die Menschen ohne Unterkunft nun doch nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel verteilt werden sollen. Berlin würde damit fünf Prozent der Menschen übernehmen. Auch die Kommunen sollen vom Bund unterstützt werden. Es ist gut, dass hier nachgesteuert wurde.

Ukrainische Geflüchtete gehen an Bord eines Zuges in Lwiw, der sie in die EU bringen soll.
Ukrainische Geflüchtete gehen an Bord eines Zuges in Lwiw, der sie in die EU bringen soll.

© IMAGO/ZUMA Wire

Man darf sich keine Illusionen machen: Bei der massiven Bombardierung der Städte in der Ukraine geht es Putin nicht nur um die Demoralisierung der Bevölkerung. Die Fluchtbewegung, die er damit auslöst, ist genauso Teil seines Plans. Es geht um die Destabilisierung Europas.

Deutschland sollte eine Koordinierungsrolle übernehmen

Dass das bislang nicht gelungen ist, ist ein großer Glücksfall. Polen – ein Land, das bislang wenig Aufnahmebereitschaft für Geflüchtete gezeigt hat – hat schon mehr als einer Million Menschen Zuflucht gewährt. Die kleine und sehr arme europäische Republik Moldau hat im Verhältnis zur Bevölkerungszahl mehr Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen als jedes andere Land.

Doch auch dort droht Überlastung. Der Migrationsexperte Gerald Knaus hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es nicht reicht, wenn Länder wie Spanien oder Portugal ihre Bereitschaft erklären, Menschen aufzunehmen. Die Geflüchteten, sagt er, müssten mit Sonderzügen dorthin gebracht werden, statt sich alleine auf den weiten Weg zu machen.

Deutschland sollte als Land in der Mitte Europas und mit Berlin als wichtigem Knotenpunkt eine Koordinierungsrolle übernehmen. Die Bundesregierung muss helfen, die große Fluchtbewegung zu steuern. Eine faire Verteilung der Geflüchteten garantiert eine menschenwürdige Unterbringung und macht Integration möglich. Was passiert, wenn Staaten mit Migration alleingelassen werden, zeigte sich jahrelang an den EU-Außengrenzen, in Staaten wie Italien oder Griechenland.

Die neue Einigkeit in Europa und die Hilfsbereitschaft kann nur erhalten werden, solange die Situation überall handhabbar bleibt. Wenn die Kontrolle verloren geht, kann die Stimmung kippen.

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