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Zuflucht. Derzeit kommen täglich Tausende aus der Ukraine Geflüchtete in Berlin an. Knapp 9000 von ihnen sind bislang in landeseigenen Unterkünften untergekommen, doch Berlin sucht dringend nach weiteren Schlafplätzen.

© Annegret Hilse/Reuters

Hilferuf aus der Hauptstadt: Wie Berlin mit der hohen Zahl der Kriegsflüchtlinge umgeht

Berlin fordert Bundeswehreinsatz zur Flüchtlingsunterbringung. Mit „föderaler Solidarität“ sei der Katastrophenfall abwendbar.

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) will in Berlin noch keinen Katastrophenfall ausrufen. „Noch sind wir nicht an dem Punkt eines Katastrophenfalls. Wenn es gelingt, in föderaler Solidarität und mit Unterstützung des Bundes eine Verteilung der Geflüchteten hinzubekommen, brauchen wir dieses Instrument nicht“, sagte Giffey dem Tagesspiegel.

Die Regierende Bürgermeisterin hatte am Mittwochabend nach einer Sondersitzung des Senats einen Einsatz der Bundeswehr in Berlin gefordert, um das Land angesichts der hohen Zahl ankommender Flüchtlinge zu unterstützen. „Nach wie vor ist es so, dass Berlin am allerstärksten betroffen ist. Diese Herausforderung wird noch mehr. Deshalb brauchen wir die Unterstützung vom Bund und werden die Unterstützung der Bundeswehr erbitten“, hatte Giffey gesagt.

Ein Sprecher der Senatsintegrationsverwaltung von Senatorin Katja Kipping (Linke) erklärte am Donnerstag, dass ein formales Amtshilfeersuchen über die Innenverwaltung an das Bundesverteidigungsministerium gehen werde. „Wir brauchen personelle Unterstützung, wir brauchen auch technische Unterstützung, zum Beispiel Sanitäranlagen und Duschcontainer“, sagte er.

Noch am Donnerstag solle das Ersuchen dem Bund mitgeteilt werden, erklärte die zuständige Innensenatorin Iris Spranger (SPD) im Abgeordnetenhaus. „So wie in 2015 bitten wir die Bundeswehr um Amtshilfe“, wies Spranger auf die Notlage hin. 40 Bundeswehrhelfer würden benötigt. Sie sollten dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) bei der Registrierung helfen. „Wir haben alle verfügbaren Möglichkeiten im Einsatz.“ Berlin dürfe auf die Bundeswehr zurückgreifen, weil das Land von den Ukraine-Flüchtlingen besonders betroffen sei, sagte Spranger.

Kritik aus der Bundespolitik

Aus der Bundespolitik gab es deutliche Kritik an der Forderung des Berliner Senats. „Die #Bundeswehr ist kein erweitertes Hilfswerk. Gerade jetzt brauchen wir die Bundeswehr für ihre Kernaufgaben“, schrieb die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag Marie-Agnes Strack-Zimmermann bei Twitter. Für diese Aufgaben gebe es unter anderem den zivilen Katastrophenschutz.

Auch Giffey selbst schränkte die Forderung nach einem Bundeswehreinsatz in Berlin am Donnerstag etwas ein. Ein Einsatz der Truppe „könne gegebenenfalls sein“, sagte sie im Abgeordnetenhaus – wenn nicht von der Bundeswehr, dann vom Technischen Hilfswerk (THW). Unterstützung des Bundes in den kommenden Tagen sei aber „elementar“, damit Berlin die Lage weiterhin bewältigen könne.

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Dem Vernehmen nach gibt es Zweifel, ob die Bundeswehr dem Land in der aktuellen Situation kurzfristig zur Hilfe kommt, heißt es aus Senatskreisen. Das Bundesverteidigungsministerium selbst äußerte sich auf Anfrage nur ausweichend. Da bislang noch kein Antrag auf Amtshilfe eingegangen sei, könne dieser auch noch nicht bewertet werden, erklärte ein Sprecher.

Der Berliner Landesverband des THW erklärte, „ in regelmäßigen Abstimmungsrunden mit dem Senat“ zu sein, sagte ein Sprecher. Schon aktiv sei das THW beim Aufbau der Ankunftszentren an der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik und am ehemaligen Flughafen Tegel. „Bisher hat es aber noch keine weiteren konkreten Aufträge und Amtshilfeersuche gegeben“, so der Sprecher.

Unterdessen bleibt die Situation bei der Flüchtlingsunterbringung in Berlin weiter angespannt. Zurzeit kommen täglich bis zu 15.000 Menschen an, wie Kipping sagte. Die Sozialsenatorin geht davon aus, dass „die Zahlen noch deutlich steigen“ werden, wenn in der Ukraine „humanitäre Korridore“ geöffnet werden.

Unterbringung händeringend gesucht

Bislang seien in Berlin rund 8900 ankommende Menschen aus der Ukraine in Unterkünften des Landes untergebracht worden. Wegen der hohen Zahl suchen der Senat und das LAF händeringend nach weiteren Unterbringungsmöglichkeiten. Fünf zusätzliche Örtlichkeiten für Unterkünfte hatten Giffey und Kipping am Mittwochabend im Anschluss an die Senatssitzung angekündigt. Geplant sei, die Menschen in Standorten an der Salvador-Allende-Straße, am Kurt-Schumacher-Damm, an der Zossener Straße, der Rheinpfalz-Allee und der Rennbahnstraße unterzubringen, sagte Kipping.

Dabei handelt es sich nach Tagesspiegel-Informationen um Unterkünfte, die das LAF vorbereitet. Unabhängig davon sucht auch der Krisenstab des Senats kurzfristig weitere Räumlichkeiten. So wurden am Mittwochabend kurzerhand im Festsaal Kreuzberg und im Säälchen am Holzmarktgelände Menschen untergebracht. Ob die beiden Veranstaltungshallen längerfristig als Unterkünfte zur Verfügung stehen, sei noch offen.

Der Senat sieht aber noch weiteren Bedarf: Deshalb werde nicht nur das Ankunftszentrum in Tegel mit bis zu 3000 Plätzen vorbereitet. „Sondern wir haben uns entschlossen, dass wir möglichst noch heute Abend zusätzlich die Messe mit als Kapazität nutzen werden“, sagte Giffey im Abgeordnetenhaus. „Wir beziehen den Flughafen Tempelhof in unsere Überlegungen zusätzlich ein. Es ist dort in einem Hangar schon ein großes Sachspendenlager eingerichtet worden.“ Und es gebe auch mit Brandenburg einen sehr engen Austausch über die Unterbringung von Geflüchteten.

Zuständig für den Aufbau der Standorte und die Gesamtkoordination der Unterkünfte soll von nun an der frühere THW-Präsident Albrecht Broemme sein. „Die Erfahrung, die Albrecht Broemme mitbringt, ist sehr gut dafür“, sagte Giffey am Mittwochabend. Zwar habe Broemme am Mittwoch einen positiven Corona-Schnelltest erhalten, doch „das lässt ihn nicht davon abhalten, das ganze aus der Ferne zu organisieren“, sagte die Regierende Bürgermeisterin.

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