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Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht tritt zurück.

© Reuters/Matthias Rietschel

Update

Sie gibt Medien eine Mitschuld: Verteidigungsministerin Lambrecht bittet Scholz um Entlassung

Seit Wochen wuchs die Kritik an ihr, nun räumt die Sozialdemokratin ihren Posten. Kanzler Scholz will die Nachfolge „zeitnah“ regeln. Schon jetzt gibt es Zwist zwischen Grünen und FDP.

| Update:

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht tritt zurück. Sie habe Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) um Entlassung gebeten, hieß in einer Erklärung der Ministerin, die der Deutschen Presse-Agentur am Montag aus dem Verteidigungsministerium vorlag.

„Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person lässt eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über die Soldatinnen und Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands kaum zu“, schreibt Lambrecht demnach.

„Die wertvolle Arbeit der Soldatinnen und Soldaten und der vielen motivierten Menschen im Geschäftsbereich muss im Vordergrund stehen. Ich habe mich deshalb entschieden, mein Amt zur Verfügung zu stellen.“ Sie danke allen, „die sich jeden Tag für unsere Sicherheit engagieren und wünsche ihnen von Herzen alles erdenklich Gute für die Zukunft“.

Die Sozialdemokratin Lambrecht stand seit Monaten in der Kritik, die oppositionelle Union forderte wiederholt ihren Rücktritt. Kritiker warfen der 57-Jährigen etwa die schleppend angelaufene Beschaffung für die Bundeswehr und fehlende Sachkenntnis vor, aber auch ihr Auftreten in der Öffentlichkeit wurde immer wieder bemängelt.

Negativschlagzeilen machte ein Foto ihres Sohnes auf Mitreise in einem Bundeswehrhubschrauber. Jüngst sorgte Lambrecht für Irritationen mit einer auf Instagram verbreiteten Neujahrsbotschaft, in der sie begleitet von Silvesterfeuerwerk über den Ukraine-Krieg sprach.

Am Freitagabend hatten mehrere Medien übereinstimmend berichtet, Lambrecht stehe vor einem Rückzug von ihrem Ministerposten. Die Debatte über die mögliche Nachfolge für den Posten, der wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine nochmals an Bedeutung gewonnen hat, hat seitdem an Dynamik gewonnen.

Nach den Berichten hatten sich Kanzler Olaf Scholz und die SPD am Wochenende noch demonstrativ bedeckt gehalten. „Ich kommentiere Zeitungsartikel nicht“, sagte Parteichef Lars Klingbeil am Sonntagabend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. Am Montag dankte er Christine Lambrecht schließlich für ihre Arbeit und zollte ihr für Rücktrittsentscheidung Respekt.

„Sie hat gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz dafür gesorgt, dass wir mit dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen die Bundeswehr endlich wieder auf die Höhe der Zeit bringen können“, sagte Klingbeil der Nachrichtenagentur dpa. Außerdem habe sie „viele ganz konkrete Verbesserungen für die Truppe angestoßen, bei der persönlichen Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten etwa oder auch bei den finanziellen Spielräumen für die Kommandeure vor Ort“. Dafür gebühre Lambrecht „großer Dank“ und ebenso Respekt für ihre Entscheidung.

Scholz will die Nachfolge „zeitnah“ regeln. Er habe die Bitte der SPD-Politikerin Lambrecht um Entlassung angenommen, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag in Berlin. „Der Bundeskanzler respektiert die Entscheidung von Frau Lambrecht und dankt ihr für die gute Arbeit, die sie in dieser schwierigen und herausfordernden Zeit als Verteidigungsministerin geleistet hat.“

Aus „Respekt vor der Entscheidung der Ministerin“ werde die Entscheidung über die Nachfolge „aller Voraussicht nach“ nicht mehr am Montag verkündet, sagte Hoffmann. „Zeitnah ist auf keinen Fall drei Monate“, fügte sie aber auch hinzu.

Als mögliche sozialdemokratische Anwärter für den wichtigen Posten werden Parteichef Klingbeil und Arbeitsminister Hubertus Heil gehandelt, aber auch die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl.

Grünen-Chef besteht auf Parität im Kabinett

Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck zollte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) für ihre Rücktrittsentscheidung ebenfalls Respekt. „Ich glaube, es ist eine Entscheidung, die erstens Frau Lambrecht nicht leicht gefallen ist“, sagte der Grünen-Politiker am Montag in Berlin. „Und zweitens, es zeigt, unter welchem Druck sie steht, aber auch, wie sie dann versucht, Schaden vom Amt fernzuhalten.“ Sie habe ja sicher den Anspruch gehabt, die Bundeswehr zu reformieren. Er wünsche ihr alles Gute und hoffe, dass der Schritt zu innerem Frieden bei ihr führe.

Grünen-Chef Omid Nouripour forderte, im Kabinett weiter dieselbe Zahl von Ministerinnen und Ministern sicherzustellen. „Es gibt ein Gesamtversprechen der Parität im Kabinett“, sagte Nouripour am Montag in der Sendung „Frühstart“ von RTL und ntv. „Und wir als Grüne sind der Meinung, dass Parität immer wichtig ist.“

Im Kabinett sind derzeit acht Ministerposten mit Frauen besetzt und acht mit Männern. Hinzu kommt Kanzler Scholz. „Die SPD wird zu gegebener Zeit einen Vorschlag machen und wir werden gut mit der Person arbeiten - ob es Frau Lambrecht ist oder jemand anderes.“ Wichtig sei aber, dass die Frage nun schnell geklärt werde: „Gerade in diesen Zeiten ist es für die Truppe wichtig, dass da Ruhe reinkommt.“

Auch die FDP mahnte zur Eile. „Eine Hängepartie wäre schlecht für Deutschland“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am Montag. Die SPD hat das Vorschlagsrecht für den Posten - er sei sicher, dass die Partei „die Zeit jetzt sehr intensiv nutzen wird, um eine geeignete und passende Persönlichkeit vorzuschlagen“, sagte Djir-Sarai.

FDP sieht Parität nicht als Priorität an

Djir-Sarai betonte zugleich, für die FDP gehe es hier „nur um die Kompetenzfrage.“ Dagegen sei die Frage der paritätischen Besetzung des Kabinetts mit Männern und Frauen „nicht etwas, was für uns relevant ist“.

FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte eine schnelle Nachfolgeregelung. „Ich erwarte von der Sozialdemokratie nun schnellstmöglich die Benennung einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages am Montag den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Als Voraussetzungen für das Amt nannte Strack-Zimmermann Durchsetzungsstärke im Ministerium und „vor allem Verständnis und Herz für die Soldatinnen und Soldaten mitbringt“.

Ruf nach schneller und starker Neubesetzung

Die Union hatte zu Wochenbeginn erneut auf eine schnelle Klärung durch Scholz gepocht. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Johann Wadephul (CDU) sagte der „Welt“: „Deutschland kann sich angesichts der aktuellen Lage keine Bundesverteidigungsministerin auf Abruf leisten. Der Kanzler muss dieses Thema jetzt sehr schnell klären.“

Demnach seien Klingbeil und Högl „die einzigen SPD-Politiker, die das Amt vom ersten Tag an ausfüllen könnten“. Wadephul fügte hinzu: „Und genau darum muss es ja gehen, das sind wir auch unseren Verbündeten schuldig.“

Auch der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn, sieht die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) als geeignete Nachfolgerin für die scheidende Verteidigungsministerin. „Bei der Nachbesetzung müssen Affinität zur Truppe, hohe Einsatzbereitschaft und gewisse Vorerfahrungen die entscheidende Rolle spielen“, schrieb der CDU-Politiker am Montag auf Twitter. „Eva Högl wäre beispielsweise geeignet.“ Er forderte, die Nachfolge unverzüglich zu regeln und dabei nicht dem „SPD-Proporz“ zu folgen.

Verschiedene Stimmen riefen nach einem politischen Schwergewicht auf dem Posten. „Die Verteidigungspolitik ist für Deutschland inzwischen existenziell geworden; das ist kein politisches Nebenthema mehr“, sagte der ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Daran sollte sich die Entscheidung über die Nachfolge ausrichten. Der Kanzler braucht jemanden mit großem politischem Kampfgewicht.“

Auch der Präsident des Reservistenverbandes der Deutschen Bundeswehr, Patrick Sensburg, forderte im RND eine Nachfolge „mit starker Führungskompetenz“.

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, forderte in der „Bild“-Zeitung eine Person, die „über Parteigrenzen hinweg vermittelbar“ ist und „das große Ganze“ versteht. Außerdem sollte der oder die Neue „integrieren können, kaltstartfähig, sachkundig, reformwillig und durchsetzungsfähig sein“. Wüstner fügte hinzu: „Niemand erwartet, dass in den ersten Wochen gezaubert wird, aber eine Botschaft des Aufbruchs wäre wichtiger denn je.“

Auf den neuen Ressortchef oder die neue Ressortchefin warten unmittelbare große Herausforderungen: Am Donnerstag wird US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Berlin erwartet. Für Freitag sind auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz Gespräche der Verteidigungsminister westlicher Staaten über weitere Militärhilfe für die Ukraine angesetzt. (dpa, AFP, Reuter)

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