zum Hauptinhalt
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht bei einer Pressekonferenz.

© Britta Pedersen/dpa

Der Kanzler im Macher-Modus: Scholz' Solo-Auftritt könnte noch für Ärger sorgen

Mit seinem dramatischen Auftritt am Freitag hat der Kanzler zwei SPD-Projekte festgeklopft. Das hat Gründe - und kann noch Folgen haben in der Koalition.

Ein Auftritt unter dramatischen Umständen – mit dramatischen Worten. Olaf Scholz hat bei seiner Pressekonferenz am Freitag wieder einmal das Überraschungsmoment gewählt, wie schon bei der Ankündigung der Zeitenwende nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs, als er die Aufrüstung der Bundeswehr samt 100-Milliarden-Sondervermögen in der Art eines einsamen Beschlusses aus der Machtzentrale auf den Weg brachte.

Und nun eine geballte Ladung an Entscheidungen, die der Kanzler alleine verkündete – Scholz nimmt die Richtlinienkompetenz des Amtes auf seine Weise in Anspruch.

Aber offenkundig sah er sich zum überraschenden und zügigen Handeln gezwungen. Die Rettung des Gasversorgers Uniper durch den Staat duldete keinen Aufschub. Und die gewählte Lösung mit der Umlage an Gaskunden war ohne ein Signal für weitere Entlastung der Bevölkerung nicht zu machen. Gerade noch beim Wandern im Allgäu – dann plötzlich auf der Berliner Bühne im Eilmeldungsmodus: der Kanzler als Macher.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Samt einem Slogan, der in Erinnerung bleiben soll: „You'll never walk alone“. Es ist ein alter Broadway-Hit, vor sechzig Jahren von Gerry and the Pacemakers in England populär gemacht, seit langem die Fan- Hymne des FC Liverpool und anderer Vereine – eigentlich kein Lied, in dem es um staatliche Unterstützung geht.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Der etwas schnulzige Text: „Wenn du durch einen Sturm gehst, Kopf hoch und keine Angst vor der Dunkelheit. Nach dem Ende des Sturms ein goldener Himmel und das süße, silbrige Lied einer Lerche. Geh immer weiter, mit Hoffnung im Herzen, niemals gehst du allein.“

Doch kein Warten bis nach dem Sommer

Eigentlich hatte der Kanzler weitere Entlastungsmaßnahmen angesichts der Energiekrise und der damit verbundenen hohen Inflation erst für die Zeit nach der politischen Sommerpause in Aussicht gestellt. Davor wollte er weitere Gespräche mit Gewerkschaften und Arbeitgebern führen, also seine „konzertierte Aktion“ fortsetzen.

Zudem sind Teile der ersten beiden Entlastungspakete noch gar nicht bei den Bürgern angekommen – die Energiepreispauschale etwa wird erst im Herbst ausgezahlt, Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket laufen noch. In der Koalition gab es eine Art Vereinbarung, mit neuen Maßnahmen noch abzuwarten.

Lesen Sie mehr zum Ukraine-Krieg auf Tagesspiegel Plus:

Aber dann lief die Debatte über weitere Entlastungen schnell auf Hochtouren weiter. Die Umfragen deuten zudem auf noch gedämpften, aber wachsenden Unmut in der Bevölkerung hin. Im Politbarometer gaben zuletzt 76 Prozent der Befragten an, die bisher beschlossenen Maßnahmen reichten nicht aus. Nur ein Fünftel hielt die schon im März angekündigten Pakete mit Tankrabatt, Neun-Euro-Ticket und weiteren Entlastungen für ausreichend.

Und die Zustimmungswerte der Regierung und ihrer Spitzen sinken. Ob Scholz, Christian Lindner, Robert Habeck, Annalena Baerbock, Hubertus Heil, Karl Lauterbach – das Politbarometer registrierte allgemein ein Minus in der Beurteilung.

Allerdings galt das nicht beim jeweils eigenen Parteianhang – mit einer Ausnahme: Der Kanzler fiel auch bei den SPD-Anhängern deutlich ab, sein Minus von 0,6 Punkten war bemerkenswert. Und die SPD liegt in der Sonntagsfrage schon länger wieder hinter Union und Grünen zurück.

Die Wahl in Niedersachsen

Eine gewisse Rolle im Kanzler-Kalkül könnte auch die Landtagswahl in Niedersachsen am 9. Oktober spielen. Da geht es für die SPD um viel. Seit 2013 ist der populäre Stephan Weil Ministerpräsident, aktuell regiert er mit der CDU.

Die Umfragen deuten derzeit auf 30 Prozent für die Sozialdemokraten hin, sechs Punkte weniger als bei der Wahl 2017, drei Punkte vor der CDU. Weil pocht seit Wochen darauf, dass die Ampel in Berlin mehr Entlastungsschritte unternimmt. So auch nach dem Scholz-Auftritt am Freitag. Er erwarte, teilte Weil mit, „dass der Bund auch seiner sozialen Verantwortung gerecht wird und die Bürgerinnen und Bürger möglichst schnell zusätzlich entlastet“.

[Der Nachrichtenüberblick aus der Hauptstadt: Schon rund 57.000 Leserinnen und Leser informieren sich zweimal täglich mit unseren kompakten überregionalen Newslettern. Melden Sie sich jetzt kostenlos hier an.]

Dass Scholz mit seinem Solo-Auftritt einen kleinen Coup hinlegte, könnte zudem in der Ampel-Koalition noch für Ärger sorgen, wenn es im Bundestag bald um den Etat für 2023 geht. Immerhin klopfte der Kanzler am Freitag mal nebenher zwei SPD-Anliegen zeitlich fest.

Zum einen das Bürgergeld, das als Großprojekt der SPD im Koalitionsvertrag steht und das Arbeitslosengeld II ablösen soll. Bisher gab es kein Einführungsdatum. Seit Freitag steht es fest: 1. Januar 2023. Im Etatentwurf der Regierung war es bisher nicht vorgesehen. Die von Scholz genannte Wohngeldreform ist im Koalitionsvertrag zwar nur angedeutet, aber mit diesem Projekt – ebenfalls zum 1. Januar 2023 – will vor allem die SPD punkten.

Nicht unabgestimmt, aber...

Unabgestimmt war das Scholz-Solo nicht. Der Pressekonferenz des Kanzlers folgte eine gemeinsame Presseerklärung der Regierung, in der neben Bürgergeld und Wohngeldreform noch zwei weitere Maßnahmen angekündigt wurden.

Die „Überprüfung“ der Kündigungsschutzregeln, damit „überforderten Mietern der Mietvertrag oder Energiekunden der Liefervertrag nicht gekündigt wird“, ist das Moratorium, das nicht zuletzt die Grünen gefordert hatten. Und den „Schutzschirm für Unternehmen, die wegen der hohen Energiepreise in Schwierigkeiten geraten“, kann die FDP als Eigenleistung verkaufen.

Doch werden sich Grüne und FDP damit allein nicht zufriedengeben. Dafür war der Scholz-Auftritt denn doch zu sehr eine sozialdemokratische Einzelleistung. Bei der Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann klang das schon an. Sie sprach hernach von „ersten Vorschlägen“, die eine „gute Grundlage“ seien, „diese Maßnahmen im weiteren Verfahren im Parlament zu vertiefen“. Will heißen, dass die Koalitionspartnerinnen Scholz und die Seinen demnächst daran erinnern könnten: You never walk alone.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false