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In ganz Deutschland waren die Regionalzüge durch das 9-Euro-Ticket voll.

© Imago/Arnulf Hettrich

Exklusiv

Soll das 9-Euro-Ticket auslaufen?: Grüne widersprechen Lindner – und schlagen einen Weg zur Finanzierung vor

Der Bund habe kein Geld für die Verlängerung des Angebots, so der Finanzminister. Grünen-Chefin Lang kontert: Lasst uns umweltschädliche Subventionen streichen.

In der Ampel-Koalition verschärft sich der Streit um die Verlängerung des Neun-Euro-Tickets. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) lehnt eine weitere Finanzierung durch den Bund strikt ab, wenn das Angebot Ende August ausgelaufen ist. „Das Neun-Euro-Ticket ist eine befristete Maßnahme, genau wie der Tankrabatt. Deshalb sind im Bundeshaushalt weder eine Fortsetzung des Tankrabatts noch Mittel für eine Anschlussregelung für das Neun-Euro-Ticket vorgesehen“, sagte Lindner den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

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Widerspruch kommt von Grünen-Chefin Ricarda Lang. Sie fordert eine Anschlussregelung – und schlägt Lindner auch einen Weg zur Finanzierung vor. „Bereits über 30 Millionen Tickets wurden verkauft, laut einer jüngsten Umfrage sind rund 80 Prozent der Befragten für eine Fortsetzung: Offensichtlich ist das Potenzial eines bezahlbaren ÖPNV in Deutschland riesig und das bundesweite Neun-Euro-Ticket ein Erfolgsmodell, für das wir eine Anschlussregelung finden sollten – nicht zuletzt auch aus klimapolitischer Sicht“, sagte Lang dem Tagesspiegel.

„Wahr ist aber auch: Wenn wir der aktuellen Nachfrage dauerhaft begegnen wollen, müssen die Verkehrsunternehmen finanziell in der Lage sein, zu investieren und die Netze auszubauen. Das wären wichtige Schritte hin zu einer sozialen und klimafreundlichen Mobilität.“ Die Finanzierungslösung der Grünen: „Was die Suche nach Mitteln zur Finanzierung angeht, stehen wir natürlich jederzeit zu Gesprächen über die Streichung umwelt- und klimaschädlicher Subventionen bereit“, sagte Lang.

Lindner: Konzept für 9-Euro-Ticket überzeugt nicht

Nach Lindners Ansicht finanzieren die Steuerzahler mit dem verbilligten Nahverkehr ein nicht kostendeckendes Angebot. „Es zahlen damit auch diejenigen, die das Angebot selbst im ländlichen Raum gar nicht nutzen können.“ Das Konzept überzeuge ihn nicht. „Jedenfalls könnte der Bund es nicht bezahlen, da im Jahr 2023 die Schuldenbremse wieder eingehalten werden muss.“

Das auf drei Monate angelegte Neun-Euro-Ticket ist Teil der Entlastungspakete der Ampel-Koalition, mit denen die gestiegenen Energie- und Spritpreise kompensiert werden sollen. Zum anderen soll der Umstieg auf Busse und Bahnen attraktiver werden. Mit dem Ticket können Fahrgäste für neun Euro im Monat im ÖPNV durch ganz Deutschland fahren. Es ist im Juni eingeführt worden und auf drei Monate befristet.

Debatte über Anschlussmöglichkeiten

Angesichts der hohen Nachfrage werden derzeit verschiedene Vorschläge für mögliche Anschlusslösungen diskutiert. Die Finanzierung ist allerdings unklar. Der Bund stellt für die drei Monate nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) rund drei Milliarden Euro zur Verfügung.

Grünen-Chefin Ricarda Lang will ein weiteres Entlastungspaket.
Grünen-Chefin Ricarda Lang will ein weiteres Entlastungspaket.

© IMAGO/Jürgen Heinrich

Verkehrsminister Volker Wissing hatte Mitte der Woche deutlich gemacht, dass er bei einer Nachfolgeregelung die Länder am Zug sieht. „Ich kann ein Ticket gar nicht gestalten, sondern das müssen die Länder machen“, sagte der FDP-Politiker. Einer Nachfolgeregelung zeigte sich Wissing prinzipiell offen. „Wir müssen uns genau anschauen, zu welchem Preis man ein solches Ticket deutschlandweit anbieten könnte“, sagte er.

Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei hält eine Fortsetzung des Tickets „nicht für eine gute Idee“. Es gebe nicht das Problem, dass man die Menschen im Nahverkehr wegen zu hoher Kosten entlasten müsse, sagte der CDU-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Es sei aus seiner Sicht „sehr viel klüger“, in den Ausbau der Nahverkehrsinfrastruktur zu investieren und mehr Waggons zu kaufen. „Wir haben das ja im Sommer erlebt, dass durch das Neun-Euro-Ticket zwar viele Menschen umgestiegen sind, aber die Infrastruktur einfach nicht mitgewachsen ist“, sagte der CDU-Politiker.

79 Prozent für neuen günstigen Tarif nach 9-Euro-Ticket

In einer Umfrage des Instituts Kantar im Auftrag des Nachrichtenmagazins „Focus“ befürworten 79 Prozent ein ähnliches Ticket, das vom Staat unterstützt wird. 16 Prozent sind dagegen. Am größten ist die Zustimmung mit 90 Prozent bei den unter 30-Jährigen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sieht keine Spielräume.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sieht keine Spielräume.

© Michael Sohn/POOL AP/dpa

Die Nahverkehrsbranche setzt sich für eine Verlängerung des Neun-Euro-Tickets um zwei weitere Monate ein. „Wir brauchen schnell eine Nachfolgelösung“, sagt Oliver Wolff, der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) der „Süddeutschen Zeitung“. „Am besten wäre es, die Aktion als Übergangslösung um weitere zwei Monate zu verlängern. Das Ticket könnte im September und Oktober weiter gelten und so die Bürgerinnen und Bürger von den hohen Energiepreisen entlasten“, betonte Wolff.

[Lesen Sie auch: Wie weiter nach dem 9-Euro-Ticket?: Berliner Grüne fordern bundesweiten 29-Euro-Fahrschein (T+)]

Wolff sagte, der Vorschlag für eine Übergangslösung um zwei Monate würde Politik und Branche Zeit verschaffen, um ein dauerhaftes Angebot für ein bundesweites Nahverkehrsticket zu entwickeln. Wolff rief Bund und Länder auf, sich rasch zusammenzusetzen. „Die Menschen sollten Ende August nicht in ein Loch fallen.“ Die Energiepreise seien schließlich weiter hoch.

Übergangslösung gefordert

Der VDV hatte langfristig ein bundesweit gültiges 69-Euro-Ticket vorgeschlagen. Die Politik könne diesen Monatspreis „aus sozialpolitischen Erwägungen – zum Beispiel für die Dauer des Krieges – für Bedürftige auf 29 oder 39 Euro senken“, sagte Wolff.

Unterstützung für den Vorschlag kommt vom Deutschen Städtetag. Der Vorschlag sei „eine gute Idee“, teilte der Präsident des Städtetags, Markus Lewe, mit. „Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Bund und Länder die damit verbundene Zeit nutzen und sich auf eine Anschlusslösung einigen, die sie auch tragfähig finanzieren.“ Es brauche schnell eine Lösung, wie es weitergehe.

Studie: 35 Prozent fahren in München mehr Bus und Bahn

Erste Ergebnisse einer großangelegten Studie zum Neun-Euro-Ticket bescheinigen dem Neun-Euro-Ticket durchaus Wirkung. So fuhren 35 Prozent der Studienteilnehmer aus dem Raum München häufiger mit Bus und Bahn, wie die Forschungsgruppe an der Technischen Universität München (TUM) gerade mitteilte. Zudem nutzten drei Prozent seltener ihr eigenes Fahrzeug und 22 Prozent der Teilnehmer nutzten Bus und Bahn neu, obwohl sie das zuvor nicht getan hatten.

Zudem beobachteten die Forscher auch eine Auswirkung im Münchner Straßenverkehr: Dort habe der Fahrzeugfluss im Juni im Vergleich zum Mai um rund drei Prozent nachgelassen – obwohl er normalerweise von Mai auf Juni in etwa in dieser Größenordnung steige.

Eine Besonderheit der Münchner Studie ist, dass sie sich nicht nur auf Befragungen verlässt, sondern per Smartphone auch das tatsächliche Mobilitätsverhalten misst. Pro Tag flossen Daten von rund 700 bis 750 Teilnehmern ein, wie Studienleiter Klaus Bogenberger, Professor am Lehrstuhl für Verkehrstechnik der TUM, erklärt. Insgesamt nehmen rund 1000 Menschen teil.

Einer Studie zufolge nahm der Autoverkehr in München ab.
Einer Studie zufolge nahm der Autoverkehr in München ab.

© Imago/Wolfgang Maria Weber

„Es war nicht zu erwarten, dass sich das tägliche Verhalten wegen eines neuen Angebots radikal ändert“, ordnet Bogenberger die ersten Daten ein und betont: „Umso höher einzustufen ist der Anteil der Menschen, die erstmals mit Alternativen zum eigenen Auto unterwegs sind.“ Zu Beginn hätten viele Menschen Bus und Bahn getestet, sagt er. Man sehe inzwischen ein leichtes Abklingen der Neugier.

Dennoch zieht der Professor ein positives Zwischenfazit: „Das wichtige Ergebnis ist: Viele haben die öffentlichen Verkehrsmittel in ihren Alltag integriert.“ Als Nachfolgeangebot für das Neun-Euro-Ticket schlägt Bogenberger mehrere Optionen vor: Ein lokales 365-Euro-Ticket, ein 69-Euro Ticket, ein 69-Euro-Ticket für Bayern oder ein Angebot, wo man – ähnlich dem Datenvolumen eines Handyvertrags – ein monatliches Kilometerbudget erwirbt. (mit Agenturen)

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