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Kanzler Olaf Scholz hat sich gegenüber der Verteidigungsausschussvorsitzenden Marie-Agnes-Strack-Zimmermann durchgesetzt - ein Bundestagantrag fordert nicht die sofortige Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern.

© Imago/photothek

Scholz kann Taurus liefern, muss aber nicht: Die Koalition bringt den Kanzler kaum in Verlegenheit

Die Ampelparteien fordern vom Kanzler mehr Hilfe für die Ukraine samt „weitreichenden Waffensystemen“ – Taurus-Marschflugkörper tauchen jedoch nicht ausdrücklich auf.

Olaf Scholz kann an diesem Dienstagnachmittag vergleichsweise beruhigt in die SPD-Fraktionssitzung kommen.

Kurzzeitig hat der Eindruck entstehen können, dass seine eigenen Regierungsfraktionen ihn in einem Antrag zur sofortigen Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern der Bundeswehr an die Ukraine auffordern könnten, zu der sich der Kanzler bisher nicht hat durchringen können. Die offene Konfrontation aber ist ausgeblieben.

Einen letzten Anlauf hatte insbesondere Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses von der FDP, noch am Dienstagvormittag gestartet.

Grün-gelbe Verhandlungserfolge

Über ihren Fraktionschef Christian Dürr sollte in dessen Gespräch mit dem SPD-Amtskollegen Rolf Mützenich noch erreicht werden, dass in dem nun für Donnerstag erwarteten Beschluss des Bundestags ausdrücklich von „Taurus“ die Rede ist.

Das ist nun nicht der Fall. Es wäre auch mehr als überraschend gewesen, wenn die Koalition den eigenen Kanzler so vorgeführt hätte.

Gleichzeitig lässt sich auch nicht behaupten, dass das Drängen der Liberalen und Grünen völlig erfolglos geblieben wäre. So wird nun beispielsweise von der Bundesregierung eingefordert, „Militärhilfe im für die Verteidigung und Wiederherstellung der vollständigen territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine erforderlichen Maße bereitzustellen“.

Das erfordert in ihrem Sinne mehr Unterstützung als zur Vermeidung einer ukrainischen Niederlage, wie der Kanzler bisher formuliert.

Und beinhaltet dem Antrag zufolge „die Lieferung von zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen“, um damit „gezielte Angriffe auf strategisch relevante Ziele weit im rückwärtigen Bereich des russischen Aggressors zu ermöglichen“.

Diese von der Bundeswehr herausgegebene Aufnahme zeigt Taurus-Marschflugkörper, die an einem Kampfjet vom Typ Tornado befestigt sind.
Diese von der Bundeswehr herausgegebene Aufnahme zeigt Taurus-Marschflugkörper, die an einem Kampfjet vom Typ Tornado befestigt sind.

© dpa/ANDREA BIENERT

Für die Liberalen können mit diesen Waffensystemen laut Strack-Zimmermann „nur Taurus-Marschflugkörper gemeint sein“. Zumal auch jene der Briten und Franzosen vom Typ Storm Shadow, die bereits von der Ukraine eingesetzt werden, lobende Erwähnung finden.

Und auch US-Präsident Joe Biden hat Kanzler Scholz bei dessen Besuch in Washington vor knapp zwei Wochen dem Vernehmen nach signalisiert, dass er nun bereit ist, die amerikanische Modellvariante ATACMS mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern zu liefern.

Aus der SPD sind an diesem Tag jedoch auch andere Interpretationen zu hören, die mit viel weniger Handlungsdruck für den Kanzler einhergingen.

Interpretationsspielraum

Mit „weitreichenden Waffensystemen“ könnten etwa auch die Panzerhaubitzen gemeint, von denen im nächsten und übernächsten Jahr mehrere geliefert werden sollen.

Verwiesen wird auch auf die Mars-Mehrfachraketenwerfer mit einer Reichweite bis 150 Kilometer. Sozialdemokraten erwähnen auch Drohnen, die die Ukraine schon jetzt erfolgreich gegen weit entfernte russische Ziele vorgeht.

Insofern spricht Nils Schmid, der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, auch von einer Kompromissformulierung, „in der sich alle Koalitionsparteien wiederfinden können“ – und natürlich auch der Kanzler, dessen Leute bei der Formulierung eng eingebunden waren.

„Olaf Scholz hat in der Sache keine Entscheidung getroffen“, sagt Schmid: „Diese Position findet sich jetzt auch im eng mit dem Kanzleramt abgesprochenen Antrag wieder: Der Bundestag fordert die Regierung nicht ultimativ auf, jetzt sofort Marschflugkörper zu liefern, schließt aber für die Zukunft nichts aus, wenn die Regierung zu einer anderen Abwägung als im Augenblick gelangen sollte.“

Das Scholz alles andere als überrascht vom Ausgang der koalitionsinternen Verhandlungen über das Ukraine-Papier war und gut damit leben kann, erfährt der Tagesspiegel am Dienstagnachmittag auch aus Regierungskreisen: „Das Kanzleramt fühlt sich durch diesen Antrag bestätigt.“

Scholz bleibt bei seiner Haltung

Dort herrscht trotz der neuen Formulierungen und der neuen Ansagen aus Washington weiterhin die Meinung vor, dass in puncto Waffenlieferungen auch weiter Rücksicht auf die öffentliche Meinung in Deutschland genommen werden muss.

In Bezug auf Taurus gilt weiter die von den internen Ampelkritikern nicht geteilte Einschätzung, dass ein Einsatz der Marschflugkörper mit einer noch höheren Reichweite von bis zu 500 Kilometern und programmierbaren Geodaten von Bundeswehrsoldaten vor Ort begleitet werden müsste – ein Tabu für Scholz.

Nicht zuletzt deshalb ist Strack-Zimmermann enttäuscht, dass das Wort „Taurus“ nicht ausdrücklich auftaucht im Antrag. Das scheiterte ihr zufolge „an der SPD-Fraktionsspitze und der Starrköpfigkeit des Kanzleramtes“ – und dies obwohl der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz so eindringlich geworben habe.

Die Liberale hat deshalb angekündigt, in dieser Woche mit CDU und CSU zu stimmen, wenn diese den Antrag zur Taurus-Lieferung, den Strack-Zimmermann zuvor aus Koalitionsräson abgelehnt hatte, erneut zur Abstimmung stellen. Das sei ihr Problem, meint SPD-Mann Schmid: „Sie ist in eine selbst gestellte Falle gelaufen.“ Weitere Abgeordnete von FDP und Grünen erwägen allerdings, es ihr gleichzutun.

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