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Ein mit der dem Wort „Valkyrie“ beschrifteter Panzer der pro-Russischen Truppen fährt durch Popasna in der Region Luhansk.

© REUTERS/Alexander Ermochenko

„Russlands Offensive könnte Donbass unbewohnbar machen“: Selenskyj spricht von Völkermord, mehrere Tote in Charkiw – was in der Nacht geschah

Die ukrainische Armee steht im Osten stark unter Druck, der Präsident kritisiert zögerliche Sanktionen. Derweil erwägen die USA, Raketenwerfer zu liefern.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj befürchtet angesichts der massiven russischen Angriffe im Osten einen weitgehend entvölkerten Donbass. Mit ihrer überlegenen Feuerkraft setzten die angreifenden russischen Truppen am Donnerstag die ukrainischen Verteidiger um die Stadt Sjewjerodonezk unter Druck.

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„Die laufende Offensive der Besatzer im Donbass könnte die Region unbewohnbar machen“, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache in Kiew. Er warf den Russen vor, die ukrainischen Städte in Schutt und Asche legen zu wollen.

„All dies, einschließlich der Verschleppung unserer Menschen und der Massentötung von Zivilisten, ist eine offensichtliche Politik des Völkermords, die von Russland betrieben wird“, sagte Selenskyj.

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In seinem Video fragte der ukrainische Präsident, warum die EU so lange brauche, um ein sechstes Sanktionspaket zu verabschieden. Noch immer verdiene Russland Milliarden mit Energieexporten, noch seien nicht alle russischen Banken sanktioniert.

Wie lange müsse die Ukraine darum kämpfen, die notwendigen Waffen zu bekommen, fragte er. „Die Ukraine wird immer ein unabhängiger Staat sein und nicht zerbrechen.“ Die Frage sei, welchen Preis die Ukraine für ihre Freiheit zahlen müsse.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte Ende Februar den Krieg gegen die Ukraine unter dem Vorwand begonnen, den angeblichen "Völkermord“ an der russischsprachigen Bevölkerung in den östlichen Regionen Luhansk und Donezk zu beenden. Im April stimmte das ukrainische Parlament einer Resolution zu, in der die Angriffe des russischen Militärs in dem Land dann als „Völkermord“ bezeichnet wurden. An diesem Freitag ist der 93. Kriegstag.

Brenzlige Lage für Ukrainer im Osten

Die ukrainische Armee steht im äußersten Osten ihrer Front stark unter Druck. Sjewjerodonezk im Gebiet Luhansk wurde am Donnerstag mit Artillerie und aus der Luft beschossen, wie Gouverneur Serhij Hajdaj mitteilte. Der ukrainische Generalstab teilte mit, der Angriff auf die Stadt und ihren Vorort Boriwske sei aber nicht erfolgreich. Die Militärangaben waren nicht unabhängig überprüfbar. In einem anderen Dorf in der Nähe, in Ustyniwka, habe die russische Seite einen Teilerfolg errungen, hieß es.

Die Großstädte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk sind derzeit die äußersten ukrainischen Vorposten im Osten. Kämpfe gibt es aber auch schon im Rückraum dieser Städte, damit drohen ukrainische Truppen abgeriegelt zu werden.

Auf der Nordseite dieses möglichen Kessels sei die Stadt Lyman verloren worden, bestätigte Präsidentenberater Olexyj Arestowytsch im ukrainischen Fernsehen. Auf der Südseite gab es Kämpfe um die Orte Komyschuwacha, Nirkowe und Berestowe.

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Bei Raketenangriffen auf die ostukrainische Stadt Charkiw seien neun Menschen getötet worden, darunter ein fünf Monate altes Kind mit seinem Vater, sagte Selenskyj. 19 Menschen seien verletzt worden.

USA erwägen Lieferung von Mehrfachraketenwerfern

Derweil zieht die US-Regierung einem Medienbericht zufolge in Erwägung, fortschrittliche Mehrfachraketenwerfer mit hoher Reichweite in die Ukraine zu schicken. Die in den USA hergestellten Artilleriesysteme MLRS und HIMARS könnten Raketen über Hunderte Kilometer abfeuern, berichtete der Sender CNN unter Berufung auf mehrere Beamte. Ein neues militärisches Hilfspaket könnte bereits in der kommenden Woche angekündigt werden.

Die Ukraine habe um diese Art von Waffen gebeten, hieß es weiter. Allerdings sei die US-Regierung zögerlich gewesen, da befürchtet werde, dass die Ukraine die Raketensysteme für Angriffe auf russisches Gebiet nutzen könnte. Es stelle sich die Frage, ob dies eine russische Vergeltungsmaßnahme zur Folge haben könnte, so CNN.

Mehr zum Ukraine-Krieg auf Tagesspiegel Plus:

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hielt unterdessen Selenskyj fehlende Verhandlungsbereitschaft vor. Der Westen unterstütze den ukrainischen Staatschef auch noch in dieser Haltung, sagte Lawrow dem arabisch-sprachigen Ableger des staatlichen Fernsehkanals RT.

Selenskyj hatte zuvor gesagt, er werde nur mit Kremlchef Wladimir Putin direkt verhandeln - und das erst, wenn Russland sich auf die Grenzen vor dem 24. Februar zurückziehe. „Dass das nicht ernsthaft ist, muss man niemandem erklären und beweisen“, sagte Lawrow.

USA sehen Schuld an Getreideblockade bei Russland

Die US-Regierung wies Russlands Forderung nach einer Aufhebung der Sanktionen im Gegenzug zu einer Freigabe ukrainischer Getreidevorräte zurück. „Es ist Russland, das aktiv die Ausfuhr von Lebensmitteln aus ukrainischen Häfen blockiert und den Hunger in der Welt vergrößert“, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, in Washington.

Es würden Tonnen von Getreide in Silos in der Ukraine und auf Schiffen lagern, die wegen der russischen Seeblockade nicht verschifft werden könnten. Die Sanktionen würden weder die Ausfuhr noch die notwendigen Geldtransaktionen verhindern. Es gebe derzeit keine Diskussion darüber, Sanktionen aufzuheben, so Jean-Pierre.

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Russland hatte sich zu Maßnahmen gegen die Nahrungsmittelkrise bereiterklärt, falls der Westen seine Sanktionen gegen Moskau aufhebt. Präsident Wladimir Putin habe in einem Telefonat mit dem italienischen Regierungschef Mario Draghi betont, dass Russland bereit sei, „durch den Export von Getreide und Düngemitteln einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung der Nahrungsmittelkrise zu leisten, sofern die politisch motivierten Beschränkungen des Westens aufgehoben werden“, teilte der Kreml am Donnerstag mit.

Nato-Manöver mit künftigen Mitgliedern an der Ostsee im Sommer

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine findet im Juni unter Führung der USA ein großes multinationales Manöver im Ostseeraum statt. An der jährlichen maritimen Übung „Baltops 22“ werden neben 14 Nato-Staaten wie Deutschland auch die Partnerländer Schweden und Finnland teilnehmen. Das sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby. Dabei sein sollen 45 Marineeinheiten, 75 Flugzeuge und rund 7000 Soldaten.

Schweden ist dieses Jahr Gastgeber des Manövers, das vom 5. bis 17. Juni geplant ist. Wegen Russlands Einmarsch in die Ukraine haben Schweden und Finnland die Mitgliedschaft in der Nato beantragt. Das Manöver findet bereits seit 1972 regelmäßig im Ostseeraum statt.

Das bringt der Tag

Die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die weltweite Energiewirtschaft ist ein Thema der Minister für Klima, Energie und Umwelt der Siebenergruppe wichtiger Industrienationen (G7). Sie beenden am Freitag ihr Treffen in Berlin. Außerdem soll es um den Ausstieg aus der Kohleverstromung gehen.

Bundeskanzler Olaf Scholz ist prominenter Gast des Katholikentags in Stuttgart. Er nimmt an der Veranstaltung „Deutschlands Politik in unsicheren Zeiten“ teil. Dabei dürfte es unter anderem um die Folgen des Kriegs in der Ukraine gehen. Im Anschluss findet eine zentrale Friedenskundgebung unter dem Motto „Solidarität mit den Menschen in der Ukraine“ statt. (dpa, AFP)

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