zum Hauptinhalt
Rassismus kann tödlich werden - wie 2020 in Hanau - hier eine Gedenkveranstaltung ein Jahr danach. Aber er beginnt nicht mit Mord.

© Andreas Arnold/dpa

Politik gegen Diskriminierung: "Rassismusbekämpfung ist mehr als Nazi-Bekämpfung"

Die Politik hat Rassismus als wichtiges Feld erkannt, sagt der Vorsitzende des Türkischen Gemeinde. Dem müssten aber auch Taten folgen. Und Geld.

Herr Sofuoğlu, gerade sind die ersten Daten zum nationalen Rassismusmonitor erschienen – finanziert von der Bundesregierung. Das Thema war lange nur eins der Selbstorganisationen der Betroffenen, sehr früh auch für die TGD. Sind Sie zufrieden? 

Damit, dass das Thema langsam in der Politik ankommt: Ja, sehr. Ich habe aber den Eindruck, dass es nicht unbedingt in praktische Politik umgesetzt wird. Es ist zum Beispiel eine hervorragende Idee, eine Antirassismusbeauftragte zu benennen.

 …eine zusätzliche Aufgabe für die Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan

Damit bekennt sich Politik. Aber wir sehen in den laufenden Haushaltsberatungen: Sie ist im Haushalt 2022 gar nicht erwähnt. Womöglich muss Frau Alabali-Radovan das Geld für die neue Aufgabe aus dem Etat nehmen, den sie eigentlich für die Opfer von Rassismus, zum Beispiel Hanau, bekommen hat? Das hieße, dass die Opfer auch noch für die Bekämpfung von Rassismus bezahlen müssen. Da muss in den Haushaltsberatungen dringend nachgelegt werden.

Problem benannt und erkannt, aber zu wenig in praktische Politik umgesetzt, sagen Sie. Woran liegt’s?

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Im neuen Rassismus-Monitor wird festgestellt dass 49 Prozent der Menschen in Deutschland weiter glauben, es gebe Menschenrassen. Das heißt doch, dass wir da ein Vorfeld für Vorurteile haben, auf dem Aufklärung und Vorbeugung ansetzen müsste. Rassismus-Bekämpfung ist aber in den meisten Köpfen auch in der Politik weiter Nazi-Bekämpfung. Und die Aufmerksamkeit dafür ist immer nur da, wenn sie morden. Wir haben es in Hanau gesehen. Die Betroffenheit war groß, aber nach einem Jahr schon ist das Thema wieder so gut wie vergessen. Auch daran, dass die Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vier Jahre lang nicht besetzt wurde, können Sie erkennen, welche Bedeutung das Thema praktisch hat.

Gökay Sofuoğlu ist seit 2014 Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland TGD. Die TGD entstand 1994 als Interessenvertretung Türkeistämmiger. Mitglieder sind aktuell mehr als 260 Vereine und Fachorganisationen in ganz Deutschland.
Gökay Sofuoğlu ist seit 2014 Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland TGD. Die TGD entstand 1994 als Interessenvertretung Türkeistämmiger. Mitglieder sind aktuell mehr als 260 Vereine und Fachorganisationen in ganz Deutschland.

© Thilo Rückeis

Hanau hat immerhin den Kabinettsausschuss Rassismus hervorgebracht, der 89 Maßnahmen beschlossen hat. Es gibt “Demokratie leben”, das die neue Familienministerin Lisa Paus gerade als größtes Demokratieförderprogramm der deutschen Geschichte gelobt hat. Es unterstützt mehr als 600 Projekte.

Das ist einer der Punkte: Projektförderung. Das erleben auch wir als Verband. Ein Projekt läuft gut, muss aber nach ein paar Jahren aufgegeben werden, weil es ja nur ein Projekt war und daher nicht dauerfinanziert werden darf. Es gab nach Hanau auch den Aktionsplan  - aber wir wissen noch immer nicht, wie er umgesetzt werden soll. Rassismus ist eine große Herausforderung für dieses Land, er muss stetig und im Alltag bekämpft werden. Natürlich hatten wir die Pandemie, jetzt den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wir können uns aber nicht nur darum kümmern, wenn gerade nichts anderes passiert – einmal ganz abgesehen davon, dass der Krieg neue Ausgrenzungen produziert, die wir bearbeiten müssen. Er bringt gerade wieder antislawische Haltungen massiv zurück. Das Thema Rassismus ist zu wichtig und dauerhaft, es geht immer größere Teile der Gesellschaft an: Auch wer Schwarze Freundinnen oder türkeistämmige Verwandte hat, ist mitbetroffen – das zeigen auch die aktuellen Zahlen des Monitors. Das müssen wir bearbeiten, und das braucht natürlich auch Geld.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

An welchen Stellen?

Geld muss verlässlich gezahlt werden, und es sollte in die Fläche gehen. Menschen sind vor Ort mit Rassismus und Diskriminierung konfrontiert. Also müsste die kommunale Ebene ertüchtigt werden, da müssen die Länder viel stärker ran. An vielen Schulen fehlen Anlaufstellen, und gerade Jugendliche reagieren sehr sensibel auf Ausgrenzung und verweigerten Respekt. Das wird ihnen dann als Protest gegen die Mehrheitsgesellschaft ausgelegt. Dabei ist es meist ein Zeichen, dass sie dazugehören und gleiche Rechte wollen. Die die schweigen, sind in meinen Augen das Problem. Wenn man sie fragt – und das erleben wir oft in der Beratung – warum sie sich nicht über rassistische Ausgrenzung oder Hassdelikte beschweren, sagen sie: Wenn ich zur Polizei gehe, muss ich fürchten, dass ich genauso behandelt werde. Alles Dinge, die in der eigenen Gemeinde, der Stadt passieren und dort auch nahe Anlaufstellen, Beratung und Unterstützung haben müssten. Nebenbei: Rechtsradikale im öffentlichen Dienst, in der Beamtenschaft, sollten dringend viel mehr Aufmerksamkeit bekommen.  

Haben Sie auch einen Wunsch, der nichts kostet?

Ja. Dass endlich der Begriff Rasse aus dem Grundgesetz gestrichen wird, so schnell wie möglich. Und nicht nur still und leise, sondern öffentlich begründet: Auch unsere Verfassung muss sagen, dass Menschen nicht in Rassen einteilbar sind. Weil es zwar Rassismus gibt, aber keine menschlichen Rassen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false