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Gute Laune. Boris Palmer und Sahra Wagenknecht in Berlin.

© Instagram/Screenshot: Tagesspiegel

Palmer trifft Wagenknecht: Eine Allianz der Außenseiter?

Mitten in Berlin treffen sich der Tübinger OB und die Linken-Abgeordnete. Politisch eint die Enfants terribles einiges. Genug, um gemeinsam eine Partei zu gründen?

Wer hier Platz nimmt, will gesehen werden: vor dem Café Einstein Unter den Linden, beliebter Treffpunkt für Politiker und Journalisten. Am Montag zur Mittagszeit ließen sich hier, auf dem Gehsteig zur Neustädtischen Kirchstraße, zwei blicken, die gerne von sich reden machen: Sahra Wagenknecht, Noch-Linken-Politikerin mit Ambitionen auf eine eigene Partei. Und Boris Palmer, Ex-Grüner, Tübinger Oberbürgermeister, politisch derzeit heimatlos. Er im hellgrauen Anzug, sie im schwarzen Kostüm.

Was die beiden populär-polarisierenden Politiker besprochen haben? „Frau Wagenknecht und Herr Palmer haben sich zu aktuellen politischen Themen ausgetauscht“, teilt Wagenknechts Büro auf Anfrage mit. „Kluge Gesprächspartnerinnen“, schreibt Palmer, der sich offenbar auch mit der ehemaligen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) traf, später lediglich bei Instagram und teilt ein Foto von sich und Wagenknecht.

Biografisch und politisch verbindet die beiden allerhand. Palmer, 51, und Wagenknecht, 54, mischen seit Jahrzehnten im politischen Betrieb mit. Grüne und Linke sehen in den beiden Enfants terribles. Palmer hat die Grünen kürzlich nach 27 Jahren Mitgliedschaft verlassen. Wagenknecht wurde von der Parteiführung dazu aufgefordert, genau das zu tun. Abgeordnete ist sie noch, vor allem aber Bestseller-Autorin (Buch-Einnahmen 2022: über 800.000 Euro) und Stammbesetzung diverser Talkshow-Studios.

Gut möglich, dass die beiden über die Gründung einer neuen Partei beraten haben. Wagenknecht soll damit liebäugeln, auch wenn sie als schwach in der Organisation gilt. Die Zeit drängt, wenn diese Partei bei der Europawahl im Juni 2024 antreten soll. Bis Jahresende will Wagenknecht sich entscheiden.

Man muss ja zum Glück nicht in einer Partei sein, um sich politisch zu engagieren.

Boris Palmer, OB von Tübingen, will in Zukunft keiner Partei mehr angehören.

Dass Palmer sich nun dieser neuen Partei von Wagenknecht anschließen könnte, scheint unwahrscheinlich. Erst vor wenigen Tagen gab er der „ZEIT“ ein ausführliches Interview. Ihn „schmerze“ der Abschied von den Grünen, bekannte er darin. Einer neuen Partei wolle er aber nicht mehr beitreten, versicherte Palmer: „Man muss ja zum Glück nicht in einer Partei sein, um sich politisch zu engagieren.“

Gerüchte aus dem Umfeld Palmers, Wagenknecht habe ihn bereits vor Monaten angefragt, ob er sich einer neuen Partei anschließen wolle, dementierte der 51-Jährige am Montag.

Er wolle sich in Zukunft mit der Energiewende, der überbordenden Bürokratie und der Flüchtlingspolitik beschäftigen, sagte Palmer in dem Gespräch mit der „ZEIT“. Es müsse vermieden werden, dass die Gesellschaft bei der Integration von Geflüchteten überfordert werde. Doch ob das Thema Migration allein zur Zusammenarbeit mit Wagenknecht reicht, kann bezweifelt werden.

Bei Corona und Russland trennt sie viel

Denn anders als die Linken-Politikerin verurteilt Palmer den russischen Angriffskrieg klar und wirbt für Solidarität mit der Ukraine. Auch während der Corona-Pandemie agierten beide Politiker völlig unterschiedlich. Wagenknecht äußerte Zweifel an den mRNA-Impfstoffen und lehnte eine Impfpflicht ab. Palmer dagegen plädierte für eine „Beugehaft“ und Rentenkürzungen für Ungeimpfte und ließ sich mit einem Impfstoff aus seiner Heimatstadt frühzeitig impfen, bevor dieser überhaupt zertifiziert wurde.

Er sei wegen der Ökologie zu den Grünen gekommen, hat Palmer häufig erzählt – ein Thema, das er auch als Oberbürgermeister von Tübingen konsequent verfolgt. Neben einer hohen Quote von Erneuerbaren und zahlreichen Radwegen gibt es in der Universitätsstadt auch eine Steuer auf Einwegverpackungen. Über deren Rechtsmäßigkeit wird in einigen Monaten das Bundesverfassungsgericht entschieden.

„Für mich ist Klimaschutz so wichtig, dass ich meiner ehemaligen Partei allen erdenklichen Erfolg wünsche“, sagte Palmer zuletzt der „ZEIT“. Auch das dürfte ihn von Wagenknecht trennen. Sie hat die Grünen für ihre Klimapolitik immer wieder hart kritisiert.

Bei den Linken gilt es indes nicht als ausgemacht, dass Wagenknecht am Ende wirklich eine Partei gründet oder sogar auf deren Liste kandidiert. Auf die Arbeit in einem Landtag habe sie kaum Lust, im Europaparlament habe sie schon gesessen, wird hier argumentiert. Hinzu kommt: Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine wurde kürzlich 80 Jahre alt. Wirft sich Wagenknecht in solch einer Lebenssituation mit Verve in das aufreibende Projekt einer Parteigründung? Oder wird sie eher Schirmherrin und Ehrenvorsitzende eines solchen Projektes?

Die Zukunft von Wagenknecht bleibt damit weiter offen. Ein Schicksal, das sie ebenfalls mit Palmer verbindet.

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