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Das Bundesverfassungsgericht hält für Wahlrechtsreform der großen Koalition für verfassungskonform.

© dpa/Uli Deck

Update

Ampel sieht sich bestärkt: Bundesverfassungsgericht erklärt Wahlrechtsreform von 2020 für verfassungskonform

Die damaligen Oppositionsparteien FDP, Grüne und Linke scheiterten mit ihrer Klage gegen die von der großen Koalition durchgesetzte Reform. Fünf Richter setzten sich knapp durch.

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Das Bundesverfassungsgericht hat die von der damaligen großen Koalition im Jahr 2020 durchgesetzte Wahlrechtsreform für verfassungskonform erklärt. 216 Abgeordnete von FDP, Grünen und Linken, die damals alle in der Opposition waren und geklagt hatten, scheiterten damit am Mittwoch in Karlsruhe.

Ihr Antrag sei unbegründet, sagte die Vorsitzende Richterin des Zweiten Senats, Doris König. Es ging um die Vorschriften zur Sitzzuteilung, nach denen 2021 der aktuelle Bundestag zustande kam. Die Reform hatte das Ziel, den durch Überhang- und Ausgleichsmandate immer größer gewordenen Bundestag zu verkleinern.

Ein Kritikpunkt war allerdings, dass Überhangmandate erst ab dem vierten Mandat durch Ausgleichsmandate für andere Parteien kompensiert wurden. Überhangmandate entstanden, wenn eine Partei mehr Direktmandate gewann, als ihr nach dem Zweitstimmen-Ergebnis Sitze zustehen.

Ausgleichsmandate für die anderen Parteien sollten sicherstellen, dass am Ende die Sitzverteilung dem Stimmenverhältnis entspricht. Es sei hinreichend bestimmt im angegriffenen Gesetz, wie und bis zu welchem Punkt die Sitzzahl des Bundestags zu erhöhen ist, sagte König.

Drei der acht Richter stimmen dagegen

Drei der acht Richter, Vizepräsidentin König sowie die Richter Ulrich Maidowski und Peter Müller, waren von den Argumenten der Senatsmehrheit nicht in allen Punkten überzeugt. Die Entscheidung der Senatsmehrheit erfasse Inhalt und Bedeutung des verfassungsrechtlichen Gebots der Normenklarheit im Wahlrecht nur unzureichend, monierten die drei Richter in ihrem Sondervotum.

Den Wahlberechtigten werde im Ergebnis eine Wahrnehmung ihres fundamentalen Rechts auf demokratische Selbstbestimmung „im Blindflug“ zugemutet. „Dies entspricht nicht der zentralen demokratischen Dignität des Wahlaktes und verwehrt den Wählerinnen und Wählern die ihnen in ihrer Rolle als Quelle demokratischer Legitimation zukommende Achtung.“

Die Entscheidung werde den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich aus dem Demokratie- in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ergeben, nicht gerecht. Danach müsse das Wahlrecht aus sich heraus so verständlich sein, dass die Wahlberechtigten in der Lage sind, eine freie und selbstbestimmte Wahlentscheidung in Kenntnis der möglichen Konsequenzen ihrer Stimmabgabe für die Zusammensetzung des Parlaments zu treffen.

Davon ausgehend würden die zur Überprüfung gestellten Regelungen verfassungswidrig sein. Die Senatsmehrheit hatte hingegen festgestellt, dass sich das Gesetz nicht primär an die Bürger wendet, sondern an die Wahlorgane. Für diese sei das Wahlrecht ausreichend bestimmt und klar.

Wahlrechtsfassung ist längst überholt

Die Fassung des Wahlrechts, um die es nun am Verfassungsgericht ging, ist bereits wieder überholt. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte eine eigene Wahlrechtsreform auf den Weg gebracht. Diese geht noch deutlich weiter als die Vorgängerreform und wird wiederum von der jetzigen Opposition heftig kritisiert. Auch dagegen sind Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig.

Das nun verkündete Urteil ist aber für die geplante Wiederholungswahl in der Bundeshauptstadt von Bedeutung. Denn in einigen Berliner Wahlbezirken soll die Bundestagswahl von 2021 wegen Pannen am Wahltag nach einem Beschluss des Bundestags wiederholt werden. Am 19. Dezember will das Bundesverfassungsgericht verkünden, in wie vielen Wahlbezirken dies zu geschehen hat, und ob es reicht, dabei nur die Zweitstimme abzugeben.

Die Wiederholungswahl müsste nach denselben Regeln ablaufen wie die Hauptwahl. Die Regelgröße des Bundestags war ursprünglich mal auf 598 Abgeordnete festgelegt gewesen. Derzeit gibt es aber 736 Parlamentarier und Parlamentarierinnen, so viele wie nie zuvor. Im Grunde sind sich alle einig, dass Reformbedarf besteht. Nur über das Wie wird seit Jahren gestritten. Denn jeder möchte vermeiden, dass Änderungen auf seine Kosten gehen.

Ampel-Politiker sehen sich bestärkt

Politiker von SPD, Grünen und FDP werteten die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als ermutigendes Signal für ihre eigenen Reformpläne. „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt den weiten Gestaltungsspielraum des Bundesgesetzgebers bei der Ausgestaltung des Wahlrechts“, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Hartmann. Auch sei die von den Karlsruher Richtern angemahnte Nachvollziehbarkeit für die Bürger vom neuen Wahlrecht der Ampel-Koalition erfüllt.

Der Grünen-Rechtspolitiker Till Steffen sagte: „Die knappe Entscheidung und die abweichenden Meinungen von drei Richtern sind für uns ein klares Signal, dass wir es mit dem neuen Wahlrecht, das wir als Ampel-Koalition verabschiedet haben, richtig gemacht haben: Es ist einfach, vorhersehbar und gerecht.“

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle erklärte: „Das alte Wahlrecht aus der Feder der Großen Koalition mag nach der Auffassung der Senatsmeinung mit der Verfassung vereinbar sein - eine wirksame Größenbeschränkung des Parlaments hat es offenkundig nicht bewirkt.“

Der Justiziar der Unionsfraktion, Ansgar Heveling (CDU), sagte: „Mehrfach hat das Bundesverfassungsgericht auf die Stärkung des personalen Elements hingewiesen und darauf, dass dies ein verfassungslegitimes Ziel ist.“ Die Ampel sollte „jetzt innehalten und ihr Wahlrecht überdenken“. (dpa)

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