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In vielen Regionen in Deutschland werden die Intensivbetten knapp.

© Peter Kneffel/dpa

Notfallmediziner schlagen Alarm: In Berlin sind nur noch 91 Intensivbetten frei

Von 1051 Intensivbetten sind nur noch wenige frei und täglich kommen rund 25 Covid-Patienten dazu. „Es ist sehr, sehr eng geworden“, sagt ein Charité-Mediziner.

Notfallmediziner haben sich beunruhigt über die Situation bei der medizinischen Versorgung in der Corona-Pandemie geäußert. „Die Corona-Lage ist sehr besorgniserregend und momentan nicht unter Kontrolle“, sagte Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmediziner (Divi) am Montag.

Viele Intensivstationen stünden wegen der im Vergleich zu 2020 deutlich höheren Inzidenzen erneut an der Belastungsgrenze. Zeitgleich gebe es im Vergleich zum Vorjahr wegen des Pflegemangels rund 4000 Intensivbetten weniger.

Allein in der vergangenen Woche seien 1887 neue Covid-Patienten auf Deutschlands Intensivstationen aufgenommen worden. Bundesweit gebe es damit 3.675 Corona-Patientinnen und -Patienten, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen. 51 Prozent davon müssen demnach invasiv beatmet werden.

Auch in Berlin spitzt sich die Lage weiter zu. Steffen Weber-Carstens, Leiter des DIVI-Intensivregisters und Teil der Charité-Klinikleitung, sagte, in Berlin seien von 1051 Intensivbetten nur noch 91 Intensivbetten frei belegbar. Aktuell würden aber etwa 25 Covid-Neuaufnahmen täglich erfolgen. „Es ist sehr, sehr eng geworden“, sagte Weber-Carstens.

Berlins Intensivstationen seien jetzt im Herbst bereits ohne die Covid-Patienten gut gefüllt, erklärte Weber-Carstens. Durch das Verschieben aller planbaren Operationen hoffen die Notfallmediziner, dass bald mehr Betten zur Verfügung stehen. „Wir haben aktuell wieder einen Verdrängungsprozess, dass Covid-Patienten andere Patienten von den Intensivstationen verdrängen“, sagte Weber-Carstens.

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Aktuell liegt der Anteil der Covid-Patienten auf Berlins Intensivstationen bei 18 Prozent - Tendenz steigend. Denn die Liegedauer von Covid-Patienten liegt im Schnitt bei 15 bis 20 Tagen. Problematisch ist zudem ein Bettenverlust auch in der Hauptstadt. Vor einem Jahr habe man noch rund 1300 Betten zur Verfügung gehabt, so Steffen Weber-Carstens.

Für die Notfallreserve müsste Personal umgeschichtet werden

Laut Divi-Intensivregister hat Berlin aktuell auch noch eine sogenannte Notfallreserve von 334 Betten. Um diese auch betreiben zu können, müssen jedoch planbare Operationen abgesagt werden und das Personal umgeschichtet werden. Da eine Intensivpflegekraft gesetzlich maximal für zwei Betten tagsüber und für drei Betten nachts verantwortlich sein darf, müsse Personal zum Betreiben dieser Betten umgeschichtet und gemischt werden.

Personal, das sonst auf anderen Stationen zum Einsatz kommt, werde dann auf die Intensivstation verlegt. Auch Studierende und Assistenzärzten halfen in der Vergangenheit aus. Weber-Carstens warnte aber vor den Folgen: „Wir verlieren mit der Ausdünnung des Personals an Qualität.“

Prof. Dr. med. Steffen Weber-Carstens.
Prof. Dr. med. Steffen Weber-Carstens.

© Charité

In den Krankenhäusern würden aktuell vor allem ältere und ungeimpfte Patienten liegen, sagte Weber-Carstens. Und eine weitere Gruppe machte der Mediziner aus: „Es gibt eine ganze Reihe junger Patienten auf den Intensivstation, die sind überwiegend ungeimpft.“

Auch aus anderen Bundesländern liegen in Berlin schwere Covid-Fälle. Noch sei man in der Lage Schwerstkranke aus dem Süden Brandenburgs, in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, wo die Krankenhäuser zunehmend volllaufen, vereinzelt nach Berlin zu verlegen. „In der Summe ist die Gesamtkapazität nicht so ausgelegt, dass wir flächendeckend sehr große Patientenmengen nach Berlin übernehmen könnten.“

Intensivmediziner lehnen Impfpflicht ab

Gernot Marx appellierte an die Politik, bei einem ungebremstem Anstieg der Corona-Zahlen im Dezember weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die vierte Welle zu brechen. Der Intensivmediziner forderte schon jetzt schnelle Maßnahmen: Notwendig seien Strukturen, um Booster schnell durchführen zu können. Die Impfzentren müssten wieder öffnen, man müsse mobile Impfteams aufbauen. Auch die Bevölkerung müsse persönlich Verantwortung übernehmen: „Die Impfung ist nach wie vor der Schlüssel für eine erfolgreiche Pandemiebewältigung.“

Gleichzeitig lehnte Marx eine Corona-Impfpflicht für Ärzte und Pflegekräfte ab. „Wir sind gegen eine Impfpflicht für einzelne Gruppen“, sagte er auf Nachfrage. Es gebe aber eine „moralisch-ethische Verpflichtung von Ärzten und Pflegern zur Impfung“.

Zuvor hatte sich die Deutsche Krebsgesellschaft für eine allgemeine Impfplicht ausgesprochen, um den Kollaps des Gesundheitssystems über den Winter zu verhindern. Die dramatische Lage auf den Intensivstationen betreffe alle Menschen mit schwerwiegenden Erkrankungen wie etwa Krebs. (mit KNA)

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