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Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

© Reuters/CHRISTIAN MANG

„Tendenz zu billiger Medizin beenden“: Lauterbach kündigt neue Klinikfinanzierung an

Der Gesundheitsminister hat seine Pläne für eine Krankenhausreform vorgestellt. Sie soll in den nächsten fünf Jahren sukzessive umgesetzt werden.

| Update:

Strikte Spezialisierung der Kliniken, weniger Anreize, auf Masse zu setzen, ambulante Behandlungen ausbauen – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat am Dienstag in Berlin seine Pläne für eine Krankenhausreform vorgestellt. Die Lage in den Kinderkliniken stehe „exemplarisch“ für die Not in den Krankenhäusern, sagte Lauterbach.

Die Reform soll in den nächsten fünf Jahren sukzessive umgesetzt werden, im Januar spreche man mit den Landesregierungen.

Dabei geht es vor allem um die Frage, wie das aktuelle System der Fallpauschalen ersetzt wird. Bislang zahlen die Krankenkassen den Kliniken pro Behandlungsfall eine auch als DRG abgekürzte, meist fixe Summe – weshalb es lukrative, kostendeckende Eingriffe gibt und solche, für die Kliniken mehr ausgeben, als sie finanziert bekommen.

Wenn es aber immer das gleiche Geld für den jeweiligen Fall gebe, sagte der Minister, lohne es sich für die Kliniken, die Behandlung zu verknappen, damit mehr Geld pro Patient übrig bleibe. Es gebe also eine „Tendenz zu billiger Medizin“ und „Anreize, immer mehr Fälle zu behandeln“, sagte Lauterbach, was eine „große Reform“ nötig mache. Denn diese „Art der Ökonomie“ werde so in Europa kein zweites Mal praktiziert.

Krankenhäuser sollten ihr Geld nun nicht mehr hauptsächlich pro Fall bekommen, sondern grundsätzlich Vorhaltekosten erhalten, wie das für Feuerwehr, Polizei und Schulen auch gilt. Das soll den Anreiz nehmen, auf Masse statt Klasse zu setzen. Der Vorhalte-Anteil werde für die meisten Kliniken 40 Prozent der Einnahmen ausmachen, in anderen Krankenhäusern bis zu 60 Prozent  – etwa dort, wo Notfall-, Intensiv- und Kindermedizin betrieben werde.

Kliniken sollen zudem in drei Stufen aufgeteilt werden, was dann auch die Ausstattung betrifft: lokal, regional, überregional – de facto vom Grund- bis zum Maximalversorger. Ähnliches soll für die angebotene Medizin gelten: Jedes Krankenhaus spezialisiere sich demnach fortan auf bestimmte Disziplinen, dort solle „Qualität statt Quantität“ herrschen.

Kliniken werden auf zwei Wegen bezahlt

Insbesondere die lokalen Kliniken sollen sich eng mit den niedergelassenen Ärzten abstimmen, also den Praxen vor Ort. Dafür sollen bestimmte Mindeststandards gelten, die Fallpauschalen als Finanzierungssystem fielen dort völlig weg, die Pflege stehe im Zentrum. Das Gesamtbudget für die Krankenhäuser solle dafür nicht übermäßig steigen, das System aber werde effizienter. In der personalintensiven Kindermedizin wolle man auch finanziell aufstocken lassen.

Grundsätzlich werden die Kliniken auf zwei Wegen bezahlt: Die Betriebskosten für Personal, Energie und Arzneien decken die Krankenkassen, die Kosten für Bauten und Technik tragen weitgehend die Bundesländer. Wer nun für die Vorhaltekosten aufkommt, die ja Personal, Medikamente und Technik umfassen dürften, ist noch unklar. Hunderte der 1900 deutschen Kiniken stehen aktuell vor massiven Finanzproblemen, vielen droht eine Insolvenz.

„Gewinne mit Krankenhäusern zu machen, wird in unserem neuen Modell schwierig“, sagte Christian Karagiannidis, der als führender Intensivmediziner in Lauterbachs Expertenkommission berufen worden war. „Auch wir Mediziner haben das Hamsterrad befördert“, viele Akteure im Gesundheitswesen hätten „Partikularinteressen“ verfolgt, weshalb der „Tanker Krankenhäuser in Schieflage“ geraten sei – wenn jetzt nicht umgesteuert werde, kentere er noch in den Zwanziger-Jahren.

Lauterbach kritisierte am Dienstag explizit „Lobbygruppen“, man habe in der Kommission ohne Einfluss von außen gearbeitet. Nicht die Krankenkassen, nicht die Bundesländer, nicht die Ärzteverbände hätten sich einmischen sollen.

Weil es pro Klinik derzeit zu wenig Personal gebe, sind Fusionen wahrscheinlich, wenngleich die Experten um Lauterbach das so explizit nicht sagten. Der aktuelle Personalmangel wirke dreifach, sagte Minister Lauterbach eingangs: Die Babybommer verlassen den Arbeitsmarkt, fehlen also auch in den Kliniken, sie werden zweitens selbst altersbedingt zu Patienten, und es fehlt der nötige Nachwuchs, um die erforderliche Mehrarbeit zu leisten. Empfehlungen dazu hat eine Expertenkommission der Bundesregierung erarbeitet.

Das mit der Spezialisierung klingt ja gut. Aber in der Praxis bedeutet das für die Patienten, dass das Angebot vor Ort immer mehr ausgedünnt wird.

Schreibt Community-Mitglied SchartinMulz

Über Lauterbachs Pläne werden nicht nur die Landesregierungen befinden, vor allem muss der Bundestag die Reform absegnen. Ein erstes Gesetzespaket, das unter anderem mehr Geld für Kinderkliniken vorsieht, hatte der Bundestag kürzlich beschlossen.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hatte in den letzten Tagen wie die CDU deutliche Verbesserungen gefordert. „Das ständige Herauslösen von Einzellösungen bringt mehr Verwerfungen als Fortschritt im System“, sagte Vorstandschef Gerald Gaß, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Zuerst müsse auch die Finanzierungslücke bei Betriebs- und Investitionskosten der Kliniken geschlossen werden, ehe eine Umverteilung der Mittel starte.

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„Neben der chinesischen Regierung scheint Minister Lauterbach der Einzige zu sein, der keinen angemessenen Umgang mit Corona gefunden hat. Doch während sich Lauterbach auf dieses Virus versteifte, vergaß er insbesondere die Jüngsten“, hatte CDU-Bundesgeneralsekretär Mario Czaja dem Tagesspiegel gesagt. „Die Lage in den Kliniken und Praxen für Kinder ist gefährlich, die Not enorm.“

Kliniken sind keine Lebensmitteldiscounter

Lauterbach hatte vorab deutlich gemacht, dass es um „nicht weniger als eine Revolution“ in der Finanzierung der Krankenhäuser gehe. „Wir haben das Gleichgewicht verloren zwischen Medizin und Ökonomie“, sagte er in der vergangenen Woche im Bundestag. Das jetzige System betone „billig und Menge“. Man könne in Kliniken aber nicht mit den gleichen Regeln vorgehen wie beim Lebensmitteldiscounter.

Karl Lauterbachs Krankenhausreform verspricht das Ende der Fallpauschalen.

© dpa/Roberto Pfeil

Im Kern soll es um eine „Überwindung“ der Fallpauschalen gehen. Das System habe sich mittlerweile so verselbstständigt, dass es zulasten der Qualität der Versorgung gehe, lautet Lauterbachs Analyse. Das liege an einem „Hamsterrad-Effekt“: Nur mit einer Steigerung der Fallzahlen könnten Kliniken ihr Budget halten oder erhöhen. Und es machten Kliniken Gewinn, die für Leistungen möglichst wenig Geld ausgäben – höherer Aufwand bedeute dagegen tendenziell Verluste.

Die Vergütung über Fallpauschalen war vor knapp 20 Jahren eingeführt worden, um das System effizienter zu machen und zum Beispiel auch zu kürzeren Klinikaufenthalten für Patienten zu kommen. Dafür gibt es einen Katalog mit 1200 Behandlungen und Diagnosen.

Der Ansatz ist doch richtig, aber natürlich wird das Ganze daran zu messen sein, was sich faktisch ändert.

Schreibt Community-Mitglied hank

Insgesamt machen die Ausgaben für die bundesweit rund 1900 Kliniken den größten Einzelposten bei den gesetzlichen Krankenversicherungen aus. Im vergangenen Jahr fielen nach Angaben des GKV-Spitzenverbands fast 85,9 Milliarden Euro dafür an, was jeder dritte Euro gemessen an den gesamten Leistungsausgaben von 263 Milliarden Euro ist. (mit dpa)

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