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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht in der Kritik.

© Imago/Christian Spicker

„Lauterbach vergaß die Jüngsten“: CDU-General greift Minister wegen Lage in Kinderkliniken scharf an

Lauterbach habe keinen angemessenen Umgang mit dem Coronavirus gefunden, sagt Mario Czaja. Nun sei die Lage auf den Kinderstationen gefährlich, „die Not enorm“.

Am Dienstag will Gesundheitsminister Karl Lauterbach seine geplante Klinikreform vorstellen. Zuvor wird die Kritik am SPD-Politiker schärfer – und grundsätzlicher.

„Neben der chinesischen Regierung scheint Minister Lauterbach der Einzige zu sein, der keinen angemessenen Umgang mit Corona gefunden hat. Doch während sich Lauterbach auf dieses Virus versteifte, vergaß er insbesondere die Jüngsten“, sagte CDU-Bundesgeneralsekretär Mario Czaja dem Tagesspiegel. „Die Lage in den Kliniken und Praxen für Kinder ist gefährlich, die Not enorm.“

Steigende Fallzahlen atemwegserkrankter Kleinkinder – vor allem durch das RS-Virus und Grippe – belasten die Krankenhäuser. Wie in der Coronavirus-Krise werden planbare Operationen vielerorts verschoben, um Personal und Ressourcen für RSV-Fälle zu schonen. Unionspolitiker Czaja, der von 2011 bis 2016 Berliner Gesundheitssenator war, schloss sich Ärzten und Krankenhausleitern an, die von Lauterbach nun eine umfassende Reform fordern.

200.000
Pflegekräfte fehlen nach Angaben des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK).

Am Dienstag will die vom Minister eingesetzte Expertenkommission ihren Plan für eine Reform der Krankenhausversorgung vorstellen. Dabei geht es vor allem um die Frage, wodurch das aktuelle System der Fallpauschalen ersetzt wird. Bislang zahlen die Krankenkassen den Kliniken pro Behandlungsfall eine fixe Summe – weshalb es lukrative, kostendeckende Eingriffe gibt und solche, für die Kliniken mehr ausgeben, als sie finanziert bekommen.

Insbesondere Kinderabteilungen arbeiten mit hohem Personalaufwand, aus formal-betriebswirtschaftlicher Sicht müssten viele Kinderkliniken schließen. Bundesweit appellierten Lokal- und Landespolitiker an die Ampel-Regierung, die Krankenhäuser zu unterstützen.

So schrieb Lauterbachs Parteifreund Steffen Krach, früher Berliner Wissenschaftsstaatssekretär und heute Präsident der Region Hannover: Weil wegen der RSV-Welle auskömmlich bezahlte Behandlungen abgesagt werden, fehlten den Kliniken benötigte Kassengelder. Die Versorgung der vom RS-Virus betroffenen Kinder wiederum sei aufwendig, heißt es in dem Schreiben: „Da nach der Einschätzung der Experten die RSV-Welle noch länger anhalten wird, ist es dringend notwendig, eine Regelung zu treffen.“

Mario Czaja, Generalsekretär der CDU, fordert, die aktuell gültige Regel müsse verlängert werden.
Mario Czaja, Generalsekretär der CDU, fordert, die aktuell gültige Regel müsse verlängert werden.

© Imago Images/Florian Gärtner

Die oft verschuldeten Krankenhäuser könnten in vier Wochen aus einem weiteren Grund in eine akute Liquiditätskrise geraten. Eine in der Coronavirus-Pandemie vom Bund eingeführte Regel soll – Stand: Sonntag – zum Jahresende auslaufen.

Danach müssten die Kassen die Behandlungen nicht mehr innerhalb von fünf Tagen bezahlen, sondern hätten dafür zwei Monate Zeit. Kleine Kliniken bekämen Zahlungsschwierigkeiten, weshalb angesichts steigender Kosten für Medikamente, Material und Energie schnell Insolvenzen drohen. „Die Bundesregierung muss da sofort tätig werden, zumal das einfach wäre“, sagte Czaja. „Die aktuell gültige Regel muss per Verordnung verlängert werden.“

Die Bundesregierung muss da sofort tätig werden, zumal das einfach wäre.

CDU-Bundesgeneralsekretär Mario Czaja

Erst vergangene Woche hatte Lauterbach ein Gesetz vorgestellt, dass er als „Revolution“ bezeichnete. Man wolle, sagte er, die nötige Versorgung und die Ökonomie wieder ins Gleichgewicht bringen. So sollen die Kinderkliniken als erstes nicht mehr unter das System der Fallpauschalen fallen, zudem 2023 und 2024 jeweils 300 Millionen Euro zusätzlich erhalten. Die Lage für die Pflegekräfte soll sich durch weniger Patienten-Übernachtungen und ein neues Personalbemessungsprogramm verbessern.

Trotz steigender Löhne fehlen bundesweit Pflegekräfte; der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) sprach zuletzt von 200.000 Beschäftigten, die es mehr bräuchte.

Selbst wenn die Kliniken per Gesetz verpflichtet würden, stets mehr Pflegekräfte einzusetzen, um den massiven Stress und mögliche Behandlungsfehler zu vermeiden, bedeutet das nicht, dass sich umgehend tatsächlich mehr Personal bewirbt. Die Techniker Krankenkasse hatte zudem kritisiert, dass die geplante Pflegepersonalbemessung den Fachkräften vor Ort zusätzlich Bürokratie bescheren werde.

In Berlin hatten mehrere Kinderarztverbände vor dem Wochenende in einem offenen Brief an Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) bemängelt, es habe sich bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen in den Kliniken der Hauptstadt trotz kontinuierlicher Hinweise auf die prekäre Situation wenig bis gar nichts getan.

In Berlin sollen Kinderkliniken weniger dringende Eingriffe möglichst verschieben

In dem Schreiben, über das der Tagesspiegel zuerst berichtet hatte, heißt es, nicht nur in den zentralen Notaufnahmen, sondern auch in der ambulanten und der stationären Pädiatrie herrschten zunehmend unverantwortbare Zustände. Es gebe bereits jetzt Tage, an denen „in keiner der Berliner Kliniken mehr ein freies Bett zu finden ist“ und Eltern für ihr Neugeborenes keinen Kinder- und Jugendarzt fänden.

„Es bedarf einer äußerst raschen Lösung, dies insbesondere, da Winter und bevorstehende Feiertage die Situation weiter eskalieren werden – das reine Tragen einer Maske wird da nicht helfen“, warnen die Mediziner. „Wir sehen die Gesundheit und auch das Leben unserer Kinder und Jugendlichen massiv bedroht!“

Zum Vorwurf, die Gesundheitsverwaltung habe auf eine mehrfach angefragte Terminvereinbarung nicht reagiert, teilte deren Sprecher der Nachrichtenagentur dpa zufolge am Samstag mit, Senatorin Gote sei selbstverständlich kurzfristig zu weiteren Gesprächen bereit und werde sich weiter um die Lösung der aktuellen Herausforderungen kümmern.

Mit den Chefärzten der Berliner Kinderkliniken und der Ärztlichen Leitung des Rettungsdienstes habe es Ende November ein Treffen gegeben. „Gemeinsam wurde verabredet, dass alle Kinderkliniken weniger dringende Eingriffe möglichst verschieben“, sagte der Sprecher weiter. Das Ziel sei, die Versorgung von kritisch kranken Kindern deutlich zu verbessern.

Am Donnerstag hatte auch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) gewarnt. Einer aktuellen Umfrage zufolge gab es auf den Kinderintensivstationen rechnerisch nur noch 0,75 freie Betten pro Klinik, also weniger als eines pro Standort, teilte Divi nach Angaben der Agentur Reuters mit. Von 110 befragten Kinderkliniken hätten zuletzt 43 Einrichtungen zudem kein freies Bett mehr auf der Normalstation gehabt. Jede zweite Klinik hatte demnach in den letzten 24 Stunden mindestens ein Kind nach der Anfrage durch den Rettungsdienst oder die Notaufnahme für die Kinderintensivmedizin ablehnen müssen.

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