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Verkehrsminister Volker Wissing (FDP)

© dpa/Jan Woitas

Update

Warnung vor Wochenend-Fahrverboten: Grünen-Verkehrspolitiker wirft Wissing „gefährliche Desinformation“ vor

Der Bundesverkehrsminister hatte gewarnt, der Klimaschutz könne zu Fahrverboten führen. Grüne und Umweltschützer widersprechen vehement.

| Update:

Der grüne Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) in der Frage der Notwendigkeit von Fahrverboten wegen des Klimaschutzgesetzes „gefährliche Desinformation“ vorgeworfen. „Selbst die gerichtliche Verpflichtung, endlich ein ordentliches Klimaschutzprogramm vorzulegen, beinhaltet null die Verpflichtung zu Fahrverboten“, sagte Gelbhaar dem Magazin „stern“. 

Wissing hatte am Donnerstag in einem Schreiben an die Fraktionsspitzen der Ampel-Parteien im Bundestag die Zustimmung zur Reform des Klimaschutzgesetzes gefordert. Durch die Novelle soll es künftig nicht mehr nötig sein, dass die Klimaschutzvorgaben in jedem Bereich eingehalten werden. Stattdessen wird das Einhalten sektorübergreifend geprüft.

Sollte das überarbeitete Gesetz nicht vor dem 15. Juli 2024 in Kraft treten, müsste das Bundesverkehrsministerium ein Sofortprogramm vorlegen, „das die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des Sektors Verkehr in den kommenden Jahren bis 2030 sicherstellt“, warnte Wissing. 

Die Sektorbetrachtung im derzeit geltenden Klimaschutzgesetz führe dazu, „dass wir 22 Millionen CO₂-Äquivalente sofort einsparen müssten“, sagte der FDP-Politiker am Freitag im Deutschlandfunk. „Und ‚wir‘ sind in dem Fall alle Bürgerinnen und Bürger, die betroffen sind von Autoverkehr, von Lieferverkehr – im Grunde genommen jede und jeder von uns.“

Solche Einsparungen seien demnach mit einem Tempolimit oder mit sonstigen Maßnahmen nicht zu erreichen, sondern ad hoc nur mit dem Verzicht auf das Auto und den Lkw, bekräftigte Wissing seinen Vorstoß vom Vortag.

Vorwurf Ablenkungsmanöver und Panikmache

Nach dieser Warnung warfen Grünen-Politiker und Verbände Bundesverkehrsminister Volker Wissing Ablenkungsmanöver und Panikmache vor. Der nordrhein-westfälische Verkehrsminister und Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Oliver Krischer (Grüne), sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Das Problem ist nämlich nicht das Klimaschutzgesetz des Bundes, sondern eine Verkehrspolitik, die eben nicht an den Zielen von Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgerichtet ist.“

Krischer sagte, es lägen zahlreiche verkehrspolitische Maßnahmen auf dem Tisch, die auf Verbesserung von Mobilität genauso einzahlten wie auf das Erreichen von Klimaschutzzielen. „Statt Menschen zu drohen, würden wir gerne mit Herrn Wissing bei der Verkehrsministerkonferenz nächste Woche darüber reden, wie wir die Finanzierung von Erhalt und Ausbau der Infrastruktur hinbekommen.

Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sprach von Panikmache. Es sei überfällig, dass mehr Klimaschutz im Verkehrssektor umgesetzt werde, sagte sie der Funke Mediengruppe. „Eine Verkehrswende für Klimaschutz zeichnet sich durch eine Vielzahl von Komponenten aus, wie beispielsweise die Aufhebung des Dieselsteuerprivilegs und Dienstwagenprivilegs, die Förderung von ÖPNV und Schienenverkehr oder aber ein Bonus-Malus-System zur Förderung emissionsarmer Fahrzeuge und der Elektromobilität.“

Auch die Deutsche Umwelthilfe warf Wissing vor, ein Schreckgespenst an die Wand zu malen, um Maßnahmen zu verhindern. „Damit hat er sich aber ins Knie geschossen, weil er uns mit diesem absurden Beispiel hilft, die politische Diskussion über wirklich mögliche Alternativen, hinter denen eine Mehrheit der Bundesbürger seit Jahren steht, führen zu können“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Greenpeace kritisiert Wissings Vorstoß

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hatte Wissing ebenso ihn scharf kritisiert. „Der Verkehrsminister versucht so schamlos wie durchschaubar, mögliche Konsequenzen des eigenen Versagens in politischen Druck umzumünzen“, sagte Greenpeace-Mobilitätsexpertin Clara Thompson der Deutschen Presse-Agentur.

„Zwei Jahre hat Wissing damit vergeudet, jede Klimaschutzmaßnahme im Straßenverkehr zu blockieren – jetzt malt er Horrorszenarien an die Wand, um auch in Zukunft nichts tun zu müssen“, sagte Thompson. Das sei ein „politisches Armutszeugnis“ und gefährde die Klimabilanz des ganzen Landes. Thompson forderte, jetzt müssten „die Weichen Richtung Mobilitätswende gestellt werden, damit der Klimarückstand im Verkehr nicht immer größer wird“ – mit einem klaren Fokus auf den Ausbau von Bahn und ÖPNV.

Grüne: Wissings Behauptungen „schlichtweg falsch“

Zuvor hatte schon die stellvertretende Grünen-Fraktionschefin Julia Verlinden Wissings Aussagen zu drohenden Fahrverboten zurückgewiesen. „Diese Behauptung ist schlichtweg falsch“, sagte Verlinden am Donnerstagabend der Deutschen Presse-Agentur. „Ein Minister sollte nicht unbegründet Sorgen bei den Menschen schüren.“

Um nach dem geltenden Gesetz sogenannte Klima-Sektorziele im Verkehr erreichen zu können, wäre nach Wissings Argumentation eine deutliche Verringerung der Pkw- und Lkw-Fahrleistung notwendig. Diese wäre „nur durch restriktive und der Bevölkerung kaum vermittelbare Maßnahmen wie flächendeckende und unbefristete Fahrverbote an Samstagen und Sonntagen möglich“.

Grünen-Fraktionsvize Verlinden sagte, das aktuell geltende Recht verlange von Wissing lediglich, ein Klimaschutzprogramm vorzulegen, „in dem sinnvolle Vorschläge enthalten sind, die zu mehr Klimaschutz im Verkehrssektor führen“. „Es gibt viele unterschiedliche Möglichkeiten, wie etwa ein Tempolimit. Es wäre an der Zeit, dass der Minister gute Vorschläge macht.“ Wissing und die FDP lehnen ein von den Grünen seit langem gefordertes allgemeines Tempolimit auf Autobahnen strikt ab.

Wissings Schreiben kommt mitten in Verhandlungen der Ampel-Fraktionen über eine Reform des Klimaschutzgesetzes. Das Kabinett hatte diese im vergangenen Juni beschlossen, die erste Lesung im Bundestag war im September.

Darum geht es beim Klimaschutzgesetz

In dem Gesetz sind die Klimaschutzziele verbindlich geregelt. Es sieht vor, dass die klimaschädlichen Emissionen von Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Für einzelne Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude wurden zulässige Jahresemissionsmengen festgelegt.

Kernpunkt ist bisher folgender Mechanismus: Wenn Sektoren Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ressorts der Bundesregierung in Form von Sofortprogrammen nachsteuern - um die Einhaltung der Emissionsmengen sicherzustellen.

Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die Einhaltung der Klimaziele künftig nicht mehr rückwirkend nach den verschiedenen Sektoren kontrolliert werden - sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Die Bundesregierung als Ganzes soll künftig entscheiden, in welchem Sektor und mit welchen Maßnahmen die zulässige CO2-Gesamtmenge bis 2030 erreicht werden soll - allerdings erst, wenn es zwei Jahre in Folge zu einer Zielverfehlung kommt.

Vorgaben zur Emissionsminderung in den einzelnen konkreten Sektoren sollen damit abgeschafft werden. Vor allem die FDP dringt auf eine Reform des Gesetzes, die Teil des Koalitionsvertrags ist.

Robert Habeck (Grüne), Klimaschutzminister.

© dpa/Kay Nietfeld

Die Ressorts, in deren Zuständigkeit Klimaziele verfehlt werden, hätten weiter eine „politische Verantwortung“, hatte Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) im Juni bei der Vorlage der Pläne gesagt. Das bisherige Gesetz sehe auf dem Papier gut aus, habe in der Realität aber zu wenig bewirkt, sagte Habeck: „Keine Sau hat sich daran gehalten.“

Sorgenkind Verkehr

Im Jahr 2023 wurden nach Angaben des Umweltbundesamts in Deutschland 10,1 Prozent weniger klimaschädliche Treibhausgase emittiert als 2022. So gab es im Sektor Energie deutliche Rückgänge, das Umweltbundesamt begründete dies mit einem geringeren Einsatz fossiler Brennstoffe zur Erzeugung von Strom und Wärme.

Insbesondere der Verkehrssektor müsse beim Klimaschutz aber nachsteuern, so die Behörde. Er verfehle seine Klimaziele erneut deutlich.

Die Daten werden von einem Expertenrat für Klimafragen bewertet. Dieser Bericht wird am kommenden Montag vorgelegt.

Der Verkehrssektor bleibt ein Sorgenkind.

© dpa/Bodo Schackow

Das geltende Klimaschutzgesetz sieht vor: Weisen die Emissionsdaten eine Überschreitung der zulässigen Jahresemissionsmenge für einen Sektor in einem Berichtsjahr aus, so legt das zuständige Bundesministerium innerhalb von drei Monaten nach der Bewertung der Emissionsdaten durch den Expertenrat ein Sofortprogramm für den jeweiligen Sektor vor. Dieses soll die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des Sektors für die folgenden Jahre sicherstellen.

Darauf geht Wissing in seinem Schreiben ein: sofern das novellierte Klimaschutzgesetz nicht vor dem 15. Juli in Kraft trete, sei das Ministerium nach dem geltenden Gesetz verpflichtet, ein Sofortprogramm vorzulegen - dann kommt die Warnung vor flächendeckenden und unbefristeten Fahrverbote am Wochenende. Darunter würden nicht nur Bürger leiden, auch Lieferketten könnten nachhaltig gestört werden, da eine kurzfristige Verlagerung des Transports von der Straße auf die Schiene unrealistisch sei, schreibt Wissing.

Reform für Klimaschutzgesetz ist umstritten

Umweltverbände warnen seit langem vor einer Aufweichung des Klimaschutzgesetzes. Bei den Verhandlungen der Ampel-Fraktionen ist dem Vernehmen nach strittig, welche Verantwortlichkeiten Ressorts künftig noch haben, falls Zielvorgaben bei der CO2-Einsparung verfehlt werden - wie im Verkehrssektor. Am Klimaschutzgesetz hängt auch ein geplantes Solarpaket, über das aber dem Vernehmen nach Einigung besteht.

Lisa Badum, Obfrau der Grünen im Klima- und Energieausschuss, hatte bei der ersten Beratung über die Reform des Klimaschutzgesetzes im Bundestag im September mit Blick auf den Verkehrsbereich gesagt, es dürfe nicht passieren, dass Sektoren die Last anderer Sektoren mittragen müssten. (dpa/AFP/Tsp)

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