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Beratungen auf EU-Ebene. Wirtschaftsminister Robert Habeck und Spaniens Energieministerin Teresa Ribera Rodriguez in Brüssel.

© Virginia Mayo/dpa

Nach der Einigung in Brüssel: So wirkt sich der Gas-Notfallplan der EU aus

Die EU-Staaten einigen sich auf einen Plan für den Winter. Wegen vieler Ausnahmen wird Deutschland den Gasverbrauch wohl um mehr als 15 Prozent drosseln müssen.

Die EU-Energieminister haben sich am Dienstag in Brüssel auf einen Notfallplan geeinigt, dem zufolge zunächst einmal auf freiwilliger Basis der Gasverbrauch bis Ende März um 15 Prozent gesenkt werden soll. Angesichts des Szenarios eines kompletten russischen Gas-Lieferstopps hatte die EU-Kommission zuvor ehrgeizigere Ziele zur Senkung des Rohstoffverbrauchs vorgeschlagen. Allerdings sieht der Brüsseler Beschluss nun zahlreiche Ausnahmen vor. Eine Übersicht.

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Die EU-Energieminister haben sich in einem Mehrheitsbeschluss darauf geeinigt, dass der Verbrauch von Erdgas in den einzelnen Staaten im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 um 15 Prozent im Vergleich zum Durchschnittswert der vergangenen fünf Jahre gesenkt werden soll. 

Wie die Staaten dieses Einsparziel erreichen, bleibt ihnen zunächst einmal selber überlassen. Dabei  gilt das Prinzip der Freiwilligkeit. Grundsätzlich sollen in dieser ersten Phase des Gas-Notfallplans Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und private Haushalte dazu aufgerufen  werden, möglichst viel Erdgas einzusparen.

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Falls es im kommenden Winter zu weitreichenden Versorgungsengpässen beim Gas kommen sollte, soll in einer zweiten Stufe aus der Freiwilligkeit ein Zwang werden. Ursprünglich hatte der Plan von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vorgesehen, dass die Brüsseler Behörde im Fall eines Notstands  die Mitgliedstaaten ohne größere Hürden darauf verpflichten kann, den Verbrauch zwingend um 15 Prozent zu senken.

Nach tagelangen Beratungen unter den Mitgliedstaaten stand allerdings fest, dass die EU-Kommission nicht zu viele Einflussmöglichkeiten erhalten soll. Die letzte Entscheidung darüber, ob ein EU-weiter Alarm ausgelöst wird, soll bei den Mitgliedstaaten liegen.

Zahlreiche Sonderregelungen

Laut dem geplanten Mechanismus kann die EU-Kommission erst dann Notfallmaßnahmen einleiten, wenn sie von mindestens fünf Ländern dazu aufgefordert wird. Anschließend gibt es eine weitere Hürde: Ein Beschluss über den Zwang zum Gassparen ist nur dann möglich, wenn eine Gruppe von 15 Ländern zustimmt. Zudem müssen diese zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.

Bei den abschließenden Vorab-Beratungen im Kreis der EU-Botschafter am Montag hagelte es regelrecht Ausnahmeregelungen, von denen etliche Mitgliedstaaten im kommenden Winter im Fall der Fälle Gebrauch machen könnten. Sie wären dann bei einem möglichen EU-Alarm nicht von den verpflichtenden Einsparzielen betroffen.

Das betrifft beispielsweise Irland, Zypern und Malta. Die drei Länder können aufgrund ihrer Insellage nicht zum Gassparen verpflichtet werden, solange sie nicht direkt mit dem Gasverbundnetz eines anderen Mitgliedstaats verbunden sind. Auch Spanien und Portugal können sich wegen ihres fehlenden Anschlusses ans Verbundnetz auf eine Ausnahme berufen.

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Von Sonderregelungen profitieren können auch die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, die nach wie vor in ein gemeinsames Stromnetz mit Russland und Belarus eingebunden sind. Falls Kremlchef Wladimir Putin sich dazu entschließen sollte, die baltischen Staaten von der Stromversorgung abzuklemmen, wären sie zu einer Senkung des Gasverbrauchs kaum in der Lage. Bei diesem Szenario müssten sie dann verstärkt von der Gasverstromung Gebrauch machen.

Auch einzelne Industriezweige sollen ausdrücklich von einer möglichen Verpflichtung zum Gassparen ausgenommen werden. So soll Erdgas auch weiterhin unvermindert bei der Lebensmittelproduktion eingesetzt werden können.

Irlands Klimaminister Eamon Ryan erreichte für sein Land in Brüssel ebenfalls eine Ausnahme.
Irlands Klimaminister Eamon Ryan erreichte für sein Land in Brüssel ebenfalls eine Ausnahme.

© Johanna Geron/REUTERS

Angesichts der zahlreichen Sonderregelungen herrscht in Brüssel Skepsis, ob die von der EU-Kommission angestrebten Sparvorgaben zu erreichen sind. Nach den Berechnungen der Brüsseler Behörde soll eine Senkung des Verbrauchs um 15 Prozent dazu dienen, bis Ende März EU-weit 45 Milliarden Kubikmeter Gas einzusparen. „Es ist klar, dass wir mit all diesen Ausnahmen die 45 Milliarden Kubikmeter nicht erreichen können“, hieß es am Dienstag aus EU-Diplomatenkreisen.

Zunächst sind die geplanten Einsparungen im Sinne Deutschlands, das ähnlich wie Österreich und Italien gegenwärtig immer noch sehr stark von Gasimporten aus Russland abhängig ist und deshalb von einem kompletten Wegfall der Gazprom-Lieferungen besonders stark betroffen wäre.

Folgen für Deutschland

Wenn überall in der EU weniger Erdgas verbraucht wird, dann steigt auch wieder die Exportfähigkeit von EU-Ländern wie den Niederlanden und Belgien, auf die Deutschland bei der Einfuhr des Rohstoffs neben Norwegen besonders angewiesen ist.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stellte in Brüssel aber auch klar, dass Deutschland seinerseits seinen Lieferverpflichtungen gegenüber Österreich und Tschechien nachkommen werde. „Wir begreifen uns voll als Teil der europäischen Solidarität und werden das Gas auch weitergeben“, sagte Habeck.

Allerdings ist wegen der zahlreichen Ausnahmen absehbar, dass in Deutschland der Gasverbrauch im Fall eines völligen Stopps russischer Lieferungen wohl um mehr als 15 Prozent gedrosselt werden müsste. Nach den Worten von Habeck wird derzeit in Deutschland im Vergleich zum vergangenen Jahr bereits 14 bis 15 Prozent weniger Gas verbraucht. Allerdings wird abzuwarten sein, ob sich dieser Einspareffekt auch während der bevorstehenden Heizperiode halten lässt.

Kaum ein Minister oder eine Ministerin ließ am Dienstag in Brüssel die Gelegenheit aus, um die Geschlossenheit der EU angesichts von Putins Machtspielen zur Sprache zu bringen. Allerdings stimmte Ungarn dem Mehrheitsbeschluss nicht zu. Deutliche Skepsis hatte noch am Dienstagmorgen auch die polnische Klimaministerin Anna Moskwa geäußert. „Wir können keinerlei Entscheidung unterstützen, die aufgezwungen wird“, sagte sie. Die Frage des Gasverbrauchs liege in der nationalstaatlichen Eigenverantwortung, so Moskwa. Der Beschluss der Energieminister verdeutlicht allerdings, dass der Konsum des Rohstoffs im kommenden Winter – trotz der zahlreichen Ausnahmen – alle Europäer angeht.

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