zum Hauptinhalt
Haben schon schönere Tage erlebt: Der SPD-Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller (links) mit Parteichef Lars Klingbeil am Tag nach der Niederlage in Schleswig-Holstein.

© Lisi Niesner/REUTERS

Die SPD und die Wahl im Norden: Mit Spitzenkandidat „Müller-wer?“ ins Debakel

Ihr historisch schlechtestes Ergebnis hat die SPD in Schleswig-Holstein eingefahren. Muss die Bundespartei daraus etwas lernen vor der NRW-Wahl?

Von Hans Monath

Wenigstens etwas Erfreuliches hatte Lars Klingbeil zu verkünden, bevor der SPD-Chef nach der Präsidiumssitzung seiner Partei am Montag auf die Landtagswahl von Schleswig-Holstein zu sprechen kam – oder vielmehr: zu sprechen kommen musste. Klingbeil jedenfalls gratulierte zunächst seiner niedersächsischen Parteifreundin und Abgeordnetenkollegin Yasmin Fahimi, die gerade ihre Wahl zur DGB-Chefin und damit zur ersten Frau an der Spitze der Gewerkschaften mit 93 Prozent gewonnen hatte.

Es war kein angenehmer Auftritt für Klingbeil und den schleswig-holsteinischen Spitzenkandidaten Thomas Losse-Müller. Denn am Tag zuvor waren die Genossen zwischen Nord- und Ostsee auf ein historisches Tief gefallen, hatten mehr als elf Prozent gegenüber 2017 eingebüßt und waren nur noch auf 16 Prozent gekommen.

Von einem „Debakel“ hatte der langjährige SPD-Fraktions- und Landesparteichef in Kiel, Ralf Stegner, ganz unverblümt gesprochen. Der Bundestagsabgeordnete vom linken Flügel der SPD malte sogar die Möglichkeit aus, dass die Existenz der Nord-SPD gefährdet sei. „Wir werden jetzt gute Oppositionspolitik machen müssen, damit wir nicht von der Bildfläche verschwinden, sondern wieder zurückkehren“, forderte er.

[Alle aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg können Sie hier in unserem Newsblog verfolgen.]

Den Begriff vom „Debakel“ machte sich Klingbeil nicht zu eigen, er sprach lediglich davon, dass es „kein gutes Ergebnis“ für die SPD sei. Dann beeilte er sich, den Verdacht aus dem Weg zu räumen, die Niederlage sei ein Hinweis auf eine generelle Schwächung der Sozialdemokraten. Die würden sich „von solchen Rückschlägen nicht entmutigen lassen", versicherte er und wies darauf hin, dass die SPD von den zurückliegenden neun Wahlen sechs gewonnen habe. 

Das Ergebnis in Schleswig-Holstein habe mit landesspezifischen Faktoren zu tun, argumentierte der Parteichef, denn CDU-Ministerpräsident Daniel Günther habe „mit seinen hohen Beliebtheitswerten die Wahl entschieden“. Dagegen sei es seiner eigenen, gut aufgestellten Landespartei nicht gelungen, mit ihren sozialen Themen durchzudringen.

Die Aufmerksamkeit habe die Polarisierung zwischen FDP und Grünen gebunden, in der es darum ging, wer Günthers nächster Regierungspartner werden würde.

Ganz anders sieht die Lage in der Analyse von Klingbeil in Nordrhein-Westfalen aus, wo am Sonntag gewählt wird. Dort laufe es auf einen „Zweikampf“ des amtierenden CDU-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und des sozialdemokratischen Herausforderers Thomas Kutschaty hinaus – und die Mehrheit der Menschen in NRW wünsche sich eine sozialdemokratische Regierung.

Mehr zum Ukraine-Krieg bei Tagesspiegel Plus:

Zudem würden dort soziale und arbeitsmarktpolitische Themen, also die Kernthemen der SPD, „eine große Rolle spielen“. Im Gegensatz zu Günther habe sich Wüst zudem „noch nie einer Wahl gestellt".

Die Frage, ob der in Kriegszeiten nicht immer überzeugend argumentierende Kanzler wirklich ein guter Wahlhelfer in NRW sei, bügelte der SPD-Chef schnell ab: Es sei doch gut, wenn Kutschaty mit dem Kanzler gut könne. Die Forschungsgruppe Wahlen hatte das in ihrer Blitzanalyse des Wahlausgangs etwas anders eingeschätzt. Neben einem blassen Kandidaten – und einem „in der Ukraine-Krise nur bedingt überzeugendem Bundeskanzler“ habe der SPD auch „ihr rückläufiges Vor-Ort-Ansehen“ zu schaffen gemacht, analysierten die Demoskopen.

Allerdings kann zumindest der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier dem Hinweis von Klingbeil auf die Persönlichkeitswahl etwas abgewinnen. „Wir sehen seit längerer Zeit in allen Bundesländern: Wenn es eine populäre Spitzenkandidatin oder einen populären Spitzenkandidaten gibt, dann wird die oder der gewählt – das kann wie im Saarland auch die Vize-Ministerpräsidentin sein“, sagte Jun dem Tagesspiegel.

Günther gehöre zu den beliebtesten Ministerpräsidenten: „Gegen ihn war kein Kraut gewachsen“. Vor wenigen Wochen habe die SPD im Saarland noch die absolute Mehrheit holen können. Nun sei sie im Norden mit einem Kandidaten angetreten, den im Land viele nicht kannten. Der Politologe: „Öfter hieß es: Müller-wer?"

Nach Einschätzung Juns hat die Politik von Olaf Scholz nur wenig Auswirkung auf das Ergebnis im Norden gehabt. „Bei den von populären Landespolitikern geprägten Landtagswahlen zuletzt ließen sich die Menschen ohnehin weniger von der Bundespolitik beeinflussen“, lautet sein Urteil. Aber man könne sagen: „Rückenwind hat Olaf Scholz der SPD im Norden auch nicht gegeben.“ Das sei bei den Grünen mit Annalena Baerbock und Robert Habeck, der von dort komme und sehr anerkannt sei, anders gewesen.

Hat gut Lachen: Auf die Popularität von Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) führt SPD-Chef Lars Klingbeil dessen Wahlsieg zurück.

© Michael Kappeler/dpa

Jun sieht eine andere Aufstellung in NRW, wo keiner der Spitzenkandidaten sehr beliebt sei. „Wenn es nicht die Dominanz einer Persönlichkeit gibt, kann die Bundespolitik eine größere Rolle spielen“, meint der Wissenschaftler. Denn Wüst habe es nicht geschafft, das Image eines Landesvaters aufzubauen, womöglich habe ihm die Zeit dafür gefehlt. Das Urteil des Professors: „Im Norden war die Sache klar zugunsten des amtierenden Ministerpräsidenten. In NRW ist die Lage anders, nämlich deutlich offener." 

Ähnlich sieht es Juns Professorenkollege Wolfgang Schroeder von der Universität  Kassel.  „Zutiefst hausgemacht" sei die Niederlage in Kiel. So seien mit der späten Aufstellung von Losse-Müller, eines Kandidaten, der kaum bekannt war, Anfängerfehler gemacht worden.  Dies bedeute zwar keinen Rückenwind für die SPD im NRW-Wahlkampf, aber auch keine Belastung, weil sich in den Ländern der Wettbewerb auf den Ministerpräsidenten konzentriere. "Zwischen Wüst und Günther gibt es große Differenzen in den Zustimmungswerten", meint Schroeder, der Fellow am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ist: "In NRW ist deshalb alles offen". Eine Empfehlung hat er für die Bundes-SPD doch parat: Sie müsse eine "konstruktive Rolle" spielen, wenn die Genossen im Norden aus der Niederlage für die nächste Kandidatenrekrutierung lernen wollten.

In der Nord-SPD gibt es übrigens keinen Hinweis, wonach das „Debakel“ (Stegner) personelle Konsequenzen haben wird. Losse-Müller, dem Fraktions- und Landeschefin Serpil Midyatli den Weg zur Spitzenkandidatur geebnet hatte, sprach sich gegen einen Wechsel aus.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false