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In der Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt ist die Einführung des Bürgergelds als Hartz-IV-Ersatz beschlossen worden.

© dpa/Kay Nietfeld

„Hartz IV überwinden“: Wie das neue Bürgergeld funktioniert

Im Vorfeld hatte es hitzige Debatten gegeben, von einem bedingungslosen Grundeinkommen durch die Hintertür war die Rede, andere sprechen von altem Wein in neuen Schläuchen. Was ist dran?

Mehr Fortschritt wagen, unter dieser Prämisse hat die Ampel Ende vergangenen Jahres ihre Arbeit aufgenommen.

Für die Sozialdemokraten gehörte dazu vor allem die Verbannung von Hartz IV in die Mottenkiste und die Einführung des Bürgergelds. Nach vielen hitzigen Debatten im Vorfeld hat das Kabinett am Mittwoch erstmals über das geplante Reformpaket beraten, dass schon am 1. Januar in Kraft treten soll.

Die Ministerrunde hat dazu einen Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil beschlossen, mit dem sich nun Bundestag und Bundesrat auseinandersetzen müssen.

Das ändert sich:

Geplant ist, dass alleinstehende Erwachsene ab dem kommenden Jahr 502 Euro und Jugendliche 420 Euro pro Monat erhalten. Das sind etwa 50 Euro mehr als bisher, der Hartz-IV-Satz liegt im Moment bei 449 Euro im Monat. Zudem sollen Arbeitssuchende in den Jobcentern künftig weniger Druck ausgesetzt sein.

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So werden künftig innerhalb der ersten sechs Monate nur eingeschränkt Leistungen gekürzt, wenn jemand Termine beim Jobcenter versäumt.

Bei Pflichtverletzungen wie etwa dem Ausschlagen zumutbarer Arbeit soll es im ersten halben Jahr gar keine Sanktionen mehr geben. Geplant ist auch eine Weiterbildungsprämie von 150 Euro.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hatte in Interviews immer wieder die Bedeutung von Anreizen betont und gesagt, dass zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung hätten. Ihnen könne der Weg aus der Arbeitslosigkeit nur durch Qualifizierung ermöglicht werden.

Zwei Jahre lang soll man bis zu 60.000 Euro Vermögen haben dürfen, auch wenn man Bürgergeld bezieht. Zudem können Leistungsbezieher in dieser Zeit in ihrer Wohnung bleiben, auch wenn sie eigentlich als zu groß gilt.

Nach 24 Monaten Bürgergeldbezug sollen Vermögen und Angemessenheit der Wohnung überprüft werden können. Dabei soll mehr Vermögen als bisher unangetastet bleiben.

Das sagen Kritiker:

Die Union sieht in dem Bürgergeld einen Fehlanreiz. „Das kann gerade dazu führen, dass der Leistungsbezug zementiert wird und Demotivation statt Arbeitsaufnahme gefördert wird“, monierte der CSU-Landesgruppen-Chef Alexander Dobrindt in der Augsburger Allgemeinen Zeitung.

Ähnlich fällt das Urteil des sozialpolitischen Sprechers der Unionfraktion Stephan Stracke (CSU) aus: „Mit dem Bürgergeld wird Nichtarbeit deutlich attraktiver“, sagte er der Rheinischen Post.

Auch aus anderer Ecke wird herbe Kritik an dem geplanten Paket laut: Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, hält das Bürgergeld für eine Mogelpackung.

„Hartz IV wird erst überwunden sein, wenn die Sanktionen weg sind und wenn die Regelsätze keine Armutssätze mehr sind. Alles darunter bleibt Hartz IV – egal, wie man es nennt.“

Diese Ansicht teilt auch der Armuts- und Reichtumsforscher Christoph Butterwegge. Die Neuerungen böten zwar Verbesserungen, sagt er dem Tagesspiegel.  In zentralen Punkten bliebe das Bürgergeld aber hinter den hehren Ansprüchen der Ampel-Koalition zurück. „Hartz, aber fair, das geht nicht.“ Wollte man Hartz IV tatsächlich hinter sich lassen, wie SPD und Bündnis 90/Die Grünen seit Jahren behaupten, müsste man das bestehende Grundsicherungssystem durch ein anderes ersetzen, meint er. „ Also Strukturen verändern, statt nur äußerst rigide Detailregelungen zu lockern.“

Von 502 Euro im Monat bei galoppierender Inflation leben zu müssen – das sei definitiv nicht ausreichend, meint auch Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbands VdK.

„Das neue Bürgergeld muss ein menschenwürdiges Leben in diesen unruhigen Zeiten mit steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen ermöglichen.“

Ihr Appell: „Wir brauchen höhere Löhne im Niedriglohnsektor. Bürgergeld-Empfänger sollen nicht gegen Niedriglöhner ausgespielt werden.“ Die Erhöhung um 50 Euro im Monat sei nur ein längst überfälliger Inflationsausgleich, der ein Jahr zu spät komme.

Das sagen die Befürworter:

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil dementierte den Vorwurf, dass das Bürgergeld weitgehend ohne eigenes Engagement ausgezahlt werde. „Das Thema Mitwirkungspflichten, das bleibt. Aber das konzentrieren wir auf das, wo es notwendig ist“, sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk.

Wer nicht kooperiere, habe auch weiterhin mit Rechtsfolgen zu rechnen. „Aber der Geist des neuen Systems ist nicht der von Misstrauen, sondern von Ermutigung, von Befähigung.“

Statt auf demotivierende, häufig kontraproduktive Sanktionen setze das Bürgergeld auf positive Anreize, sagte der Grünen-Politiker Andreas Audretsch. Die Kritik, dass es sich bei dem Bürgergeld um ein bedingungsloses Grundeinkommen durch die Hintertür handle, wollen auch die Liberalen nicht gelten lassen.

Das Prinzip Fördern und Fordern bleibt bestehen, erklärte der Sprecher für Bürgergeld der FDP-Bundestagsfraktion Jens Teutrine. „In Zeiten von Fachkräftemangel setzen wir echte Anreize zu Weiterbildung und Qualifikation.“

Der Gesetzentwurf mache die Grundsicherung unbürokratischer, schaffe mehr Fairness und Leistungsgerechtigkeit, so der FDP-Politiker. Mit der Bürgergeldreform werde das Grundsicherungssystem an die aktuellen Herausforderungen des Arbeitsmarktes angepasst.

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