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Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) konnte auch 100 Shoah-Überlebende vor dem Krieg in der Ukraine retten.

© Jan-Christoph Hartung

Jüdische Ukrainehilfe von Kürzungen bedroht: Gerettet – und nun?

Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden konnte bislang 500 Ukrainer evakuieren, darunter 100 Shoah-Überlebende. Weiteren Hilfsangeboten drohen nun aber massive Sparmaßnahmen.

Der Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 stellte das geopolitische Gefüge in Europa schlagartig auf den Kopf – und die humanitäre Hilfe vor enorme Herausforderungen. Mehr als eine Million Ukrainer:innen suchten seit Kriegsausbruch Zuflucht in Deutschland, rund 52.000 leben allein in Berlin.

Zwar hat der Zustrom an Geflüchteten in den vergangenen Monaten nachgelassen, der Bedarf an Unterkünften, psychosozialen Angeboten, medizinischer Versorgung und Schulplätzen für die Kinder ist dadurch aber nicht gemindert.

Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), der soziale Dachverband der jüdischen Gemeinden und einer der sechs Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland, war von Beginn an stark in die Evakuierungs- und Hilfsmaßnahmen involviert.

Viele Jüdinnen und Juden haben ihre Wurzeln in der Ukraine

Was dabei nur wenige wissen: Fast die Hälfte der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden haben ihre Wurzeln in der Ukraine. Rund 90 Prozent der Mitglieder in den jüdischen Gemeinden sind russischsprachig und damit für die Geflüchteten wichtige Ansprechpartner:innen in dieser Krise – ganz unabhängig vom religiösen Hintergrund.

Die Bundesregierung agiert nicht mit der Gartenschere, sondern gleich mit der Kettensäge.

Günter Jek, Leiter des Berliner Büros der ZWST über die geplanten Haushaltskürzungen

„Etwa 10.000 ukrainische Geflüchtete suchten in den vergangenen Monaten Unterstützung in den jüdischen Gemeinden in Deutschland“, berichtet Günter Jek, Leiter des Berliner ZWST-Büros. Von Beginn an organisierten seine Kolleg:innen nicht nur Hilfsgütertransporte, sondern auch Rettungsaktionen. Mehrere Busse fuhren in die Ukraine und konnten mehr als 500 Menschen sicher nach Deutschland bringen – davon 100 Überlebende der Shoah.

„Bei den hochbetagten und meist pflegebedürftigen Shoah-Überlebenden handelt es sich natürlich um besonders vulnerable Personen“, so Jek. „Die Evakuierungen konnten wir in Zusammenarbeit mit anderen Trägern der humanitären Hilfe durchführen, in deren stationären Einrichtungen diese Menschen auch untergebracht sind.“

Die ZWST verfügt über keine eigenen Einrichtungen und auch in den Senioren- und Pflegeheimen der Mitgliedsgemeinden ist oft nur begrenzt Platz. Die Betreuung der Shoah-Überlebenden geht jedoch weit über die Pflege hinaus. „Wir legen großen Wert auf eine sehr enge Anbindung an die jüdischen Gemeinden und eine intensive Betreuung durch unsere Mitarbeitenden sowie die Mitglieder der Gemeinden“, führt Günter Jek aus.

Der Umgang ist auch deshalb sensibel, weil diese neuerliche Fluchterfahrung für viele der älteren Betroffenen eine Retraumatisierung darstellen kann. Die Flucht vor den russischen Invasoren bedeutet für die Überlebenden der Shoah auch eine Flucht vor den früheren Befreiern und ein Schutzsuchen im Land der Täter.

Hilfsangebote der ZWST von Kürzungen bedroht

Neben dem Engagement für die hochbetagten Geflüchteten bietet die ZWST, wie auch schon vor Ausbruch des Krieges, zahlreiche Beratungs- und Betreuungsangebote an. Die Migrationsberatung sowie psychosoziale Hilfsformate für Geflüchtete bilden wichtige Bausteine der Organisation, die grundsätzlich sämtlichen Menschen unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zur Verfügung stehen.

Eine Besonderheit in der Ukrainehilfe stellen seit Kurzem zwei zusätzlich geschaffene Stellen dar. „Seit einigen Monaten sind für uns zwei ukrainische Geflüchtete tätig, die eine psychologische Fachausbildung haben und nun bundesweit eine mobile Betreuung anbieten“, sagt Jek.

Doch die vielfältigen Hilfsmaßnahmen der ZWST sind, wie derzeit bei so vielen Sozialverbänden, in Gefahr. „Sollten die geplanten Haushaltskürzungen wirklich so umgesetzt werden, können viele unserer Angebote nicht fortgeführt werden“, so Günter Jek. „Die Bundesregierung agiert hier nicht mit der Gartenschere, sondern gleich mit der Kettensäge.“

Denn die Migrationsberatung erwarte Kürzungen von 30 Prozent, die psychosoziale Betreuung für Geflüchtete solle um die Hälfte gekürzt werden und sämtliche Digitalisierungsmaßnahmen für vulnerable Gruppen müssten nach dem derzeitigen Entwurf komplett eingestellt werden.

Fatale Aussichten, findet Jek, haben sich doch seit Kriegsausbruch die Anfragen an die Angebote der ZWST verdoppelt bis verdreifacht: „Wir erleben den größten Zustrom an Geflüchteten seit Beginn der Aufzeichnungen 1950. Und was macht die Bundesregierung? Senkt in ihrem Haushaltsentwurf die Mittel für ganz viele Hilfsangebote, die überhaupt erst durch den Krieg notwendig wurden.“

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