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Ein Blick auf die Schäden im Büro der Union der Palästinensischen Frauenkomitees (UPWC) nach der Razzia durch israelische Streitkräfte.

© picture alliance/dpa

Schließung palästinensischer Menschenrechtsorganisationen: Israel geht auf Konfrontationskurs zu EU-Geberländern

Die israelischen Terrorbeschuldigungen gegen NGO´s haben sie nicht überzeugt. Jetzt müssen die Regierungen sich lauter äußern. Ein Gastkommentar.

Riad Othman ist Nahostreferent bei der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international e.V. Zuvor leitete er deren Büro für Israel und Palästina vor Ort. Medico international arbeitet seit über 30 Jahren mit Partnerorganisationen in Israel und den besetzten Gebieten zusammen, darunter auch den betroffenen Organisationen Al Haq und UAWC

Am Morgen des 18. August drang die israelische Armee in die Büros führender palästinensischer Menschenrechtsorganisationen ein. Computer und Unterlagen wurden beschlagnahmt, die Türen versiegelt und die Schließung unter Berufung auf Artikel 319 der Notstandsgesetze von 1945 mitgeteilt. Dabei handelt es sich um sechs bekannte Organisationen der Zivilgesellschaft, darunter die älteste palästinensische Menschenrechtsorganisation „Al-Haq“.

Erst wenige Wochen zuvor hatten neun europäische Regierungen, darunter die Bundesregierung, die Fortsetzung ihrer Unterstützung für diese Organisationen verkündet, nachdem Israel sie im Oktober 2021 als angeblich terroristisch eingestuft hatte. Die Argumente überzeugten die Geberländer jedoch nicht.

Damit eskaliert die israelische Regierung ihren Umgang mit der unter Besatzung lebenden palästinensischen Bevölkerung auch gegenüber der EU und denjenigen europäischen Regierungen, die die unabhängige palästinensische Zivilgesellschaft unterstützen.

Israel will umfassende Kontrolle der palästinensischen Zivilgesellschaft

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die EU und die internationale Gemeinschaft die Folgen der Besatzung in den palästinensischen Gebieten mit bezahlen. Eigentlich fällt dies in die Verantwortung der Besatzungsmacht, die in diesem Fall gegen die Übernahme humanitärer Kosten nichts einzuwenden hat, aber offenbar eine möglichst umfassende Kontrolle über eine eigenständige palästinensische Zivilgesellschaft anstrebt.

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Im Oktober 2021 hatte der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz sechs palästinensische Menschenrechtsorganisationen und Organisationen der Zivilgesellschaft zu Terrorgruppen erklärt. Der Vorwurf lautete, sie unterstützten die „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP), die in Israel, den USA und der EU als Terrororganisation geführt wird. Dies sorgte damals in diversen Hauptstädten, vor allem in Europa, für Aufregung, denn europäische Regierungen unterstützten diese Organisationen, deren Engagement zum Teil mit internationalen Preisen ausgezeichnet worden war, seit Jahren mit öffentlichen Mitteln.

Shawan Jabarin, der Leiter der palästinensischen Menschenrechtsorganisation "Al -Haqq" äußert sich zu den Vorfällen.

© ABBAS MOMANI / AFP

Nach den israelischen Vorwürfen suspendierten manche Geberländer ihre Unterstützung und prüften monatelang sorgfältig Dossiers über die Organisationen, die der israelische Geheimdienst erstellt hatte. Nach einhelliger Auffassung mehrerer EU-Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, Dänemark und Frankreich, sowie der USA, Norwegens und der Schweiz enthielten die israelischen Unterlagen aber keine Beweise für die schweren Anschuldigungen.

Eine frühere Version eines solchen israelischen Geheimdossiers, mit dem die dortige Regierung bereits im Mai 2021 versucht hatte, dieselben Organisationen bei Geldgebern zu diskreditieren, ist als Leak im Internet veröffentlicht worden. Es überrascht in seiner Stümperhaftigkeit, weil darin mit unbelegten Behauptungen operiert worden ist, nicht mit Beweisen. Schließlich wiesen die Geberländer die Anschuldigungen zurück und gaben bekannt, die Finanzierung der betroffenen Institutionen fortzusetzen.

Beweise für die Terroranschuldigungen kann Israel nicht vorlegen

Die Entscheidung, die angegriffenen Organisationen weiter zu fördern, ist richtig. Die Bedingungen, unter denen sie sich gegen Menschenrechtsverletzungen einsetzen, sich für die Rechte politischer und minderjähriger Gefangener und für die Rechte von Kindern und Jugendlichen engagieren, verdienen Respekt und Solidarität. In den C-Gebieten, jenen 60 Prozent der besetzten West-Bank, die vollständig von Israel kontrolliert werden und wo die meisten Wohneinheiten in Siedlungen entstehen, dreht sich die Arbeit um den Zugang zu den eigenen Ressourcen, also um Land- und Wasserrechte palästinensischer Bauern- und Hirtenfamilien. Das alles soll nach israelischer Darstellung nur ein Deckmantel sein, um Gelder an die PFLP abzuzweigen. Beweise hat die israelische Regierung dafür keine vorgelegt, dafür vollmundig die EU der Terrorfinanzierung bezichtigt, was Federica Mogherini als Außenbeauftragte schon 2018 entschieden zurückgewiesen hatte.

Auch Machtmissbrauch der Autonomiebehörde untersuchen die Organisationen 

Das Bild, das sich vor Ort ergibt, weicht erheblich von dem ab, das die israelische Regierung zeichnet: Zu sehen sind regelmäßig extern geprüfte, professionell arbeitende Organisationen, die sich nicht nur gegen Siedlungspolitik, Landraub und Brüche des Völkerrechts einsetzen, sondern auch gegen den Machtmissbrauch der Palästinensischen Autonomiebehörde unter Mahmoud Abbas und der Fatah, die diese dominiert.

Zu sehen ist nicht ein Israel, das sich als „einzige Demokratie im Nahen Osten“ versteht und darstellt, sondern eine israelische Besatzungs- und Siedlungspraxis, die Bewohner:innen dieser von ihr beherrschten Räume drangsaliert und Organisationen wie die nun geschlossene Bauernorganisation UAWC kriminalisiert, die Familien dort unterstützt, wo der israelische Staat entgegen dem Völkerrecht Siedlungen errichtet.

Zu sehen ist, wie die israelische Regierung in den besetzten Gebieten die prominenteste Gefangenenorganisation Addameer verbietet, während sich die Zahl der ohne Prozess und Urteil in israelischer Administrativhaft  befindlichen palästinensischen Häftlinge auf einem Höchststand seit 2008 befindet. Ist diese Anwendung eines Instruments aus der Zeit der kolonialen Zwangsverwaltung durch Großbritannien mit dem Anspruch, eine Demokratie zu sein, vereinbar? Der zuständige Militärgouverneur kann durch einen Befehl eine sechsmonatige Administrativhaft verhängen und diese beliebig oft verlängern. All dies ohne richterliche Aufsicht oder Prüfung und ohne die Möglichkeit, sich gegen die Vorwürfe, die oft geheim gehalten werden, zu verteidigen.

Die Eskalationsschraube in diesem Streit lässt sich von Israel noch oft und weiter schmerzhaft anziehen. Es ist anzunehmen, dass auch die zögerliche internationale Reaktion auf die Terror-Einstufungen im Oktober 2021 die Regierung Israels ermutigt hat, jetzt die Büros dieser Organisationen zu schließen.

In Israel haben deshalb 47 Organisationen öffentlich ihre Solidarität mit den angegriffenen palästinensischen Kolleginnen und Kollegen erklärt. Um weitere Repressalien zu verhindern, müssten aus Europa und den USA gegenüber Tel Aviv entschiedener Gegenpositionen vertreten werden, sonst laufen sie Gefahr, dass eine sinnvolle Arbeit vor Ort in Zukunft kaum mehr möglich sein wird.

Riad Othman

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