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Gewalt kommt schrittweise, sagt Anna Sophie Herken.

© Getty Images/iStockphoto/Serghei Turcanu

Initiative gegen häusliche Gewalt: „Es ist Teil des Problems, dass Betroffenen zum Schweigen geraten wird“

Anna Sophie Herken ist Betroffene häuslicher Gewalt und passt nicht zum Opferbild in vielen Köpfen. Im Interview erklärt sie, wie perfide Täter oft vorgehen und was Frauen hilft.

Frau Herken, Sie sind Betroffene häuslicher Gewalt und haben die Initiative #DieNächste mitgegründet, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Wie kam es zu der Entscheidung, an die Öffentlichkeit zu gehen?
Viele betroffene Frauen kommen erst nach der Trennung an den Punkt, über eine Strafanzeige nachzudenken. Die meisten von uns haben sich anwaltlich beraten lassen. Die Botschaft war trotz zahlreicher nachweisbarer Straftaten ganz klar: Wenn Du das hier in Berlin machst, wird das sowieso eingestellt. Und falls nicht, dann werden Du und die Kinder durch den ganzen Prozess des Ermittlungsverfahrens und des Strafprozesses retraumatisiert und am Ende gibt es eh keine Verurteilung. Oft mussten wir uns auch anhören: Wenn das öffentlich wird, schadet es Deiner Reputation und Karriere.

Es ist ein Teil des Problems, dass den Betroffenen von allen Seiten – zum Teil gutgemeint – zum Schweigen geraten wird. So war das auch in meinem Fall. Aber ich habe gedacht: Das fühlt sich nicht richtig an. Ich bin Juristin und setze mich immer für Gerechtigkeit ein. Es kann nicht sein, dass ich bei diesem Thema schweige. Sonst ändert sich nie etwas. Daher habe ich zusammen mit meinen Mitstreiterinnen die Initative #DieNächste gegründet.

Was wollen Sie erreichen?
Uns Gründerinnen ist im privaten Umfeld so viel Unglaube entgegengeschlagen. Auch weil wir nicht zum Opferbild in den Köpfen passen. Wir sind alles Frauen, die mitten im Leben stehen und gute Berufe haben.

Wir möchten die Vorurteile über die vermeintlich typischen Opfer häuslicher Gewalt ändern und natürlich allen Betroffenen helfen. Denn häusliche Gewalt kann jede Frau treffen, unabhängig von Bildung, finanzieller Situation, Herkunft. Wir sind mit einer Titelgeschichte im Magazin ,Focus’ an die Öffentlichkeit gegangen, nach dem Vorbild der historischen Aktion „Ich habe abgetrieben“.

Die Täter isolieren ihre Opfer gerne. 

Anne Sophie Herken, Gründerin der Initiative #DieNächste

Ich habe mein Umfeld angerufen, das sind alles Frauen in guten Positionen. Es hat mich schockiert, dass gefühlt 60 bis 70 Prozent der Frauen auch schon einmal häusliche Gewalt erlebt hatten. Und mich hat auch schockiert, dass Frauen sagen: Ich glaube, bei mir war das keine Gewalt. Ich wurde ja immer nur geschubst. Oder: Ich wurde ja nur drei Mal geschlagen.

Sie kritisieren, dass betroffene Frauen oft gefragt werden, warum sie ihren Partner nicht verlassen. Was stört Sie daran?
In dieser Frage steckt eine Täter-Opfer-Umkehr. Dabei liegen dem Phänomen häusliche Gewalt ganz bestimmte Mechanismen zugrunde. Es kann jeder Frau passieren. Jede Frau kann zum Opfer werden. Das Problem sind die Täter und eine Gesellschaft, die wegschaut.

Welche Mechanismen sind das?
Häusliche Gewalt hat nichts mit „Hand ausrutschen“ zu tun, sondern mit Tätern, die Kontrolle und Macht etablieren wollen. Die Beziehungen fangen oft mit viel vermeintlicher Liebe an. Die Täter geben sich große Mühe, geben sich fürsorglich. Und dann kommt die Gewalt schrittweise.

Oft beginnt es mit psychischer Gewalt und Beleidigungen, und zwischendurch kommt immer wieder die angebliche Reue. Das ist wie beim Frosch im heißen Wasser. Immer wenn das Wasser zu warm wird, macht der Täter es wieder zwei Grad kälter. Es kann jeder Frau passieren. So kamen wir zum Namen unserer Initiative: Jede Frau kann #DieNächste sein.

Was können Angehörige und Freunde tun, die eine solche Situation miterleben?
Wichtig ist, von außen immer zu spiegeln: Ich glaube dir. Und es ist nicht okay, was er dir antut. Aber es ist auch wichtig, nicht zu drängen. Die Täter isolieren ihre Opfer gerne. Das machen sie ganz geschickt. Die Betroffenen schämen sich. Angehörige sollten bloß keinen Druck machen nach dem Motto: Warum bist Du immer noch nicht gegangen? Das verschärft die Isolation. Die Botschaft der Angehörigen muss sein: Du wirst soweit sein, wenn Du soweit bist, und ich bin da.

Wie erleben die Betroffenen die tatsächlichen Reaktionen ihres persönlichen Umfelds?
Viel zu oft wird den Frauen nicht geglaubt. Häusliche Gewalt im eigenen Umfeld ist so schrecklich, dass die Menschen das gern verleugnen und dem Opfer nachsagen, mit ihm würde etwas nicht stimmen.

Oft haben die Täter ihre Partnerin schon jahrelang im gemeinsamen Umfeld schlecht gemacht und damit vorgesorgt für den Moment, an dem sie die Wahrheit ausspricht. Die Täter sind oft sehr auf ihre Außenwirkung bedacht: sozial engagiert, beliebt. Viele Dritte lavieren herum: Ich will da jetzt kein Richter sein, es gehören immer zwei dazu, das ist alles Privatsache.

Oft sind Kinder mitbetroffen. Wie sehen Sie deren Situation?
In Deutschland wird im Familienrecht nicht berücksichtigt, ob Väter gewalttätig sind. Viele Kinder werden zum Umgang mit Vätern gezwungen, obwohl sie Gewalt gegenüber der Mutter anwenden. Dahinter steckt der Gedanke: Er kann ja trotzdem ein guter Vater sein. Das ist in anderen Ländern völlig anders. In Deutschland raten sogar Familienanwälte gewaltbetroffenen Müttern, das Thema vor dem Familiengericht zu verschweigen, damit ihre Aussage nicht gegen sie gewendet wird.

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