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Gut gesichert: Auf Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz antworten Behörden immer noch zu gern mit Abwehr oder Verschleppung.

© dpa

Informationsfreiheit: Das Wissen bleibt bei der Macht

Das Informationsfreiheitsgesetz sollte den Bürger gegenüber dem Staat ermächtigen. Doch weiterhin gilt: Sobald es ernst wird, machen die Behörden dicht.

Die Piraten sterben, weinen wir ihnen eine Träne nach. Nicht, weil ihr Computerglaube die Welt verbessert hätte; nicht, weil wir ohne ihre beharrlich tutende Big-Data-Sirene die Netzrevolution verschlafen würden; auch nicht wegen ihrer kecken Post-Gender-Attitüde, die sich in der nächsten Männerpartei, der Alternative für Deutschland, reflexartig zum solidarischen Grundgefühl verstetigt hat.

Sympathie hat die Partei vor allem für ihren Kampf um die Schlüsselressource der Wissensgesellschaft verdient: die Information. Die Erkenntnis, welche Rolle sie spielt, politisch, ökonomisch, sozial, geht zwar nicht auf die Piraten zurück, aber durch sie fand sie endgültig Eingang in den höheren politischen Diskurs. Das Schlagwort „Transparenz“ war kurzzeitig so in Mode, dass sogar ein unter Druck geratener Bundespräsident glaubte, damit seine Affäre abwehren zu können. Ich informiere, also bin ich – und zwar sauber.

Jost Müller-Neuhof ist rechtspolitischer Korrespondent des Tagesspiegels, Rechtsanwalt und FU-Lehrbeauftragter. Für den Tagesspiegel führt er Prozesse um Auskünfte, unter anderem gegen den Bundestag und den Verfassungsschutz.
Jost Müller-Neuhof ist rechtspolitischer Korrespondent des Tagesspiegels, Rechtsanwalt und FU-Lehrbeauftragter. Für den Tagesspiegel führt er Prozesse um Auskünfte, unter anderem gegen den Bundestag und den Verfassungsschutz.

© Kai-Uwe Heinrich TSP

Alle klagen über mangelnden Datenschutz - keiner über die mangelnde Freiheit der Information

Ist die Transparenz so tot, wie es die Piraten demnächst sind? Datenschutz benötigt nur bedingt parteiförmigen Auftrieb; deutsche Vorstellungen hierzu prägen die geltenden und für die Zukunft angedachten europäischen Regelungen, dank eines im romantischen Ursprung tief verwurzelten Privatheitsideals und sicher auch dank des Bundesverfassungsgerichts, das es für die Gegenwart ausbuchstabiert hat. Den Snowden-Aufschrei hätte es auch ohne Piraten gegeben. Datenschutz ist im Euro-Rechtskreis zunehmend eine Frage der Menschenwürde. Ausbaufähig, das gewiss. Wer ihn jedoch schleifen will, beißt auf den Granit unserer Verfassung.

Aber die Information? Ist irgendwie agiler, flüchtiger. Sie soll ja eine Art Zwilling des Datums sein, letztlich eine andere Perspektive auf dasselbe Ding. Daten sind zu schützen, Informationen preiszugeben. Seinen organisatorischen Niederschlag findet der systemische Gegensatz im Amt der Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit. Manierlich wird dort getrennt, was eigentlich untrennbar ist. Wenn von der Inhaberin des Amtes die Rede ist, der CDU-Politikerin Andrea Voßhoff, dann oft kritisch zum angeblich fehlenden Datenschutz-Engagement. Kritik an ihrem Job für die Informationsfreiheit wird selten laut. Die Öffentlichkeit interessiert sich für sie kaum. Obwohl sie doch für sie erfunden wurde.

Trotz neuer Gesetze zur Informationsfreiheit ist die Kultur die alte geblieben

Möglicherweise liegt es daran, dass einem gegenwärtig nichts freier erscheint als die Information. Infotainment, Infotalk, Infothek. Man wird zugemüllt mit Information, liegt erschöpft im digitalen Grundrausch. Obendrauf kommen die politischen und wirtschaftlichen Einflussnehmer mit ihren Informationen, Statistiken, Umfragen, Analysen. Es scheint, als wären alle Antworten parat, bevor überhaupt einer Fragen stellt. Totales Wissen, vor dem man beeindruckt verstummt.

Tatsächlich ist in dem für die demokratische Kultur entscheidenden Informationen, den Informationen des Staates, viel zu vieles beim Alten geblieben. Wissen ist Macht, schon wahr, aber ebenso wahr ist die Umkehrung. Macht ist seit jeher auch Wissen. Die Mächtigen hatten schon immer bevorzugten Zugriff und die nötigen Ressourcen, um Wissen zu akkumulieren. Vom kommunalen Amt bis in die ministeriale Spitze ist die Verwaltung des Öffentlichen ein gigantischer Erkenntnissammler und Datenspeicher. Es wird erforscht, erhoben, geplant, angeordnet und erlassen. Verborgene Milieus und ausländische Staaten werden von Geheimdiensten aufgeklärt. Klassisches Herrschaftswissen, das bis heute das Gefälle von Macht zur Ohnmacht markiert.

Die Behörden verschleppen die Antworten, oft hilft nur eine Klage

Dieses staatliche Arkanum war eine der letzten Bastionen, die das emanzipierte Bürgertum schleifte. 2006 trat das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Bundes in Kraft. Es verkehrt die Ausnahme zur Regel: Die Akten der Verwaltung sind öffentlich, es sei denn, sie müssen aus guten Gründen geheim gehalten werden. Die Ersten, die das nicht durchgängig zu fassen vermochten, waren bezeichnenderweise die Stellen der Bundesregierung. Dort meinte man, ausgerechnet das Regierungshandeln entzöge sich der neuen Transparenz, bis das Bundesverwaltungsgericht 2011 klärende Worte sprach. Damit war endgültig ein Kontrollterrain in der Exekutive eröffnet, das von jedermann vermessen werden kann, unter Obhut der Bundesbeauftragten. Nur: Funktioniert das?

Ein Gesetz ist am Ende nur wert, was sein Vollzug leisten kann. Viele schrecken schon zurück, wenn sie erfahren, dass für ihren IFG-Antrag Gebühren fällig werden. Dann kommt ein Ablehnungsbescheid, weil es laut Gesetz eine Fülle von Verweigerungsgründen gibt und die Behörden davon rituell Gebrauch machen. Für einen förmlichen Widerspruch fehlt Geduld, für eine Klage das Geld. So wichtig war’s dann doch nicht.

Das IFG ist damit zu einer Spezialmaterie geworden. Politische Initiativen machen sich über ihre Gegner schlau, Anwälte, die etwa eine Staatshaftung einklagen wollen, Hobby-Aufklärer, die das als Sport betrachten; zuweilen Journalisten, die mit dem Stoff Recherchen unterfüttern. Doch das behördliche Verfahren dauert. Und den Weg durch drei Instanzen über zwei bis vier Jahre gehen im Streitfall die wenigsten. Hinzu kommt, dass Gerichte in abgelehnten IFG-Anfragen keinen Eilfall erkennen möchten, der zu einem verkürzten Prozess berechtigen würde. Weniges bleibt so interessant, dass darum langer Kampf lohnen würde.

So sieht unser Karikaturist Klaus Stuttmann die Informationsfreiheit.
So sieht unser Karikaturist Klaus Stuttmann die Informationsfreiheit.

© Klaus Stuttmann

Späte Transparenz ist keine Transparenz

Späte Transparenz ist in schnelllebigen Zeiten keine Transparenz. Die schöne gläserne Welt der gesetzlichen Informationsfreiheit, sie ist deshalb klein geblieben. Nach wie vor sitzt der Staat auf seinem Wissen wie die Henne auf dem Ei.

Etwas daran ändern könnten derzeit paradoxerweise vor allem Vertreter eines Berufs, dem im Zeitalter des Google-Imperialismus und des sich ihm hingebenden Netzbürgertums vermehrt das Totenlied gesungen wird: Es sind die Journalisten. Sie können sich auf ein privilegiertes Fragerecht berufen, das durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 2013 zu einem echten Grundrecht erstarkt ist.

Eine neue Bedeutung der in Artikel fünf des Grundgesetzes geschützten Pressefreiheit, die Justiz, Regierung und Rechtswissenschaft zuvor abgelehnt hatten. Anders als Bürger, die ihren IFG-Anfragen über Jahre hinterherhecheln, können Journalisten diesen besonderen Anspruch im Namen des Volkes gerade auch in gerichtlichen Eilverfahren durchsetzen und damit schon binnen kurzem an Auskünfte kommen. Ein gewichtiger Vorzug, vor allem, seit sich das Bundesverfassungsgericht auf eine Tagesspiegel-Klage erstmals mit dem Thema befasst und im Oktober vergangenen Jahres die Hürden dafür gesenkt hat. Pressefreiheit bedeute, selbst zu entscheiden, wann über etwas berichtet wird, hieß es in dem Beschluss – und entsprechend schnell an Behördeninformationen zu kommen. Aktualität zählt.

Transparenz ist also möglich, auch rechtzeitige Transparenz. Die Sache hat nur einen Haken. Weil mit dem Urteil von 2013 die in den Länder-Pressegesetzen geregelten Auskunftsrechte gegenüber Bundesbehörden für unanwendbar erklärt wurden, begrenzten die Richter den neuen Informationsanspruch gegenüber Ministerien, Kanzleramt, Bundestag, Bundespräsidialamt und überhaupt allen Wichtigen und Mächtigen im Bund auf einen „Minimalstandard“.

Eine weitere Reform steckt im Innenministerium in einer toten Schublade

Niemand weiß zurzeit, wo dieser Standard genau liegen soll. Weder die Fragenden, noch die, die Antworten geben (müssen). Die Bundesbehörden berufen sich nur zu gern auf diesen „Minimalstandard“. Denn dann, meinen sie, müssten sie nur minimal Informationen preisgeben.

Der amtliche Minimalismus lässt das Fragerecht wieder zusammenstürzen, dem die höchsten Verwaltungsrichter ein neues Fundament geben wollten. Hier stehen die Stellen der Staatsleitung Seite an Seite. Einschließlich der Bundestagsverwaltung, die meint, es sei nicht ihre Aufgabe, aus dem Innenleben des Parlaments zu berichten, etwa zu den vielen nichtöffentlich tagenden Ausschüssen oder der Arbeit der Wissenschaftlichen Dienste; und einschließlich des Bundespräsidenten, der sich etwa im verfassungsrechtlichen Streit um seine Äußerungsbefugnisse nicht in die Karten schauen lassen will. Irgendwann kommt die Rede auf den „Minimalstandard“, der Tenor ist immer gleich: Dann ja wohl erst recht nicht.

An sich war das anders gedacht. Die höchsten Verwaltungsrichter hatten nachdrücklich verlangt, die Informationspflichten aller Bundesbehörden neu zu regeln. Entweder für alle gleich oder je nach tatsächlichem (Geheimschutz-)Bedarf. Regierung und Parlament ist das egal. Sie leben gut mit dem Ist-Zustand. Ein Vorstoß der SPD noch vor der letzten Wahl ist im Sande verlaufen, nun ist der kleine Großkoalitionär leise geworden; im sachlich zuständigen Bundesinnenministerium steckt die Akte in einer toten Schublade.

Die Proteste der Journalisten und ihrer Verbände sind erstaunlich leise. Warum? Weil sie vielfach so arbeiten, wie sie immer gearbeitet haben, mit guten Kontakten und im Zusammenspiel mit den Informationsverwaltern in den amtlichen Pressestellen. Weniger ein Frage-Antwort-Spiel als eines vom Geben und Nehmen.

Journalisten werden "im Hintergrund" informiert und werden als Verlautbarer gehalten

Die Ministerien bieten oft an, etwas „im Hintergrund“ oder „unter drei“ zu sagen, wie es im Journalistenjargon heißt. Dann folgen in der Regel Dinge, die sowieso jeder wissen, aber die der Berichtende nicht der Quelle zuschreiben darf. Ein derart eingeweihter Journalist bringt die Regierungssicht mit dem Stempel der eigenen Glaubwürdigkeit unter die Leute. Besseres kann den amtlichen Strategen nicht passieren. Die Regierung teilt mit, die Presse berichtet.

Harmonie ist Trumpf und zahlt sich aus, weil manche dann das, was ohnehin mitgeteilt werden soll, bevorzugt verbreiten dürfen oder ein Interview mit dem Chef führen können – Exklusivität, die härteste Währung im Mediengeschäft. Im Gegenzug dirigieren die Mächtigen die öffentliche Agenda mit, um ihre Projekte ins rechte Licht zu rücken.

Fragt man nach, will Zahlen wissen, die noch nicht präsentiert, Aussagen hören, die noch nicht verlautbart wurden, kann sich das Klima verändern. Dann heißt es: Bitte haben Sie Verständnis, dass wir nur dies und jenes mitteilen können; Informationen zu internen Vorgängen geben wir grundsätzlich nicht heraus; da ist noch nichts entschieden, tut uns leid.

Der Staat braucht nichtöffentlichen Raum für Rückzug, Gespräch und Entscheidung. Nur muss er längst nicht so groß sein. Das Finanzministerium schweigt, weil es um Geld geht; das Auswärtige Amt, weil es meint, Diplomatie funktioniere nur im Stillen; die Geheimdienste, weil sie alles für ein Geheimnis halten. Soeben bejammerte die Regierung öffentlich, dass die bösen Medien immer so viel über Verschlusssachen-Dokumente berichten würden. Aber welche Fälle sie meint, das wiederum darf niemand wissen – obwohl sie doch alle angeblich längst publiziert sind.

Die digitalen Umwälzungen haben am Ende wenig geändert

Alle digitalen Umwälzungen haben Haltung und Verhalten der Akteure wenig bis nichts anhaben können. Wikileaks erschüttert Nationen, Google die Nachrichtenmedien, dank Facebook und Twitter dröhnt die Masse, statt zu schweigen, und in Blogs tobt politischer Meinungskampf. Die Öffentlichkeit sortiert sich neu um das Wissen der Macht, die den Wechsel mit Tamtam und aufgehübschten Websites begleitet, den majestätischen Exklusivismus jedoch unverdrossen weiterpflegt. Ihren steinernen Ausdruck findet die erhabene Unbeweglichkeit in den Fassaden des Bundespresseamts, einer Behörde mit rund 500 Mitarbeitern, die Regierungs-PR verschleudert wie Karnevalskamellen, aber dann, wenn sie mal etwas gefragt wird, auf irgendwelche vergangenen Sitzungen der Bundespressekonferenz verweist, auf denen notorisch nichts Konkretes vorgetragen wird.

Es geht um nichts Geringeres als die Demokratisierung von Information. Ein Kernanliegen, das ein Staat wie die Bundesrepublik im Namen politischer Willensbildung mit allen Mitteln fördern müsste. Tatsächlich begnügt er sich mit einem praktisch eingeschränkt handhabbaren IFG, wortwörtlich minimalen Standards behördlicher Auskunftspflichten und einem wachsenden Stab von Mitarbeitern, die darauf trainiert sind, mit vielen freundlichen Worten möglichst Gutes oder sonst besser nur wenig zu sagen. Es mag ja immer wieder ein paar Bemühte geben. Aber wenn es wichtig wird, entscheiden ohnehin die Vorgesetzten, angeleitet von ihren Juristen, die die Schweigemauer gerichtsfest machen sollen.

Die Piraten träumten davon, politische Entscheidungen unmittelbar an die Bürger zu koppeln, Stichwort „liquid democracy“. Eine Utopie, deren Realisierung vermutlich zu Ergebnissen führt, die keiner wünschen kann. Repräsentation ist ein starkes Konzept. Zu verflüssigen, besser: klein zu hauen aber wäre der Monolith der staatlichen Information, auf dass Bürger sie in Teilen in Besitz nehmen können. Die Piraten haben an der Oberfläche gekratzt. Wenn sie jetzt untergehen, hinterlassen sie ein Erbe, das gepflegt werden sollte.

Jost Müller-Neuhof ist rechtspolitischer Korrespondent des Tagesspiegels, Rechtsanwalt und FU-Lehrbeauftragter. Für den Tagesspiegel führt er Prozesse um Auskünfte, unter anderem gegen den Bundestag und den Verfassungsschutz.

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