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In Ostafrika herrscht eine Dürre historischen Ausmaßes, die Hunderttausenden das Leben kosten könnte.

© Arif Hudaverdi Yaman/Getty Images

Katastrophe in Ostafrika: „Hunger ist ein politisches Versagen“

In Ostafrika hungern Millionen Menschen, die internationale Unterstützung aber bleibt zögerlich. Vieles erinnert an die Katastrophe im Jahre 2011.

Im August 2011 besuchte Dirk Niebel (FDP) das Horn von Afrika. Damals herrschte eine verheerende Hungerkatastrophe, der allein in Somalia schätzungsweise 250 000 Menschen zum Opfer fielen. „Das Ausmaß menschlichen Elends und die Perspektivlosigkeit zu sehen, ist nur schwer erträglich“, sagte der damalige Bundesentwicklungsminister.

Die Bundesregierung versprach neben Nahrungshilfen auch eine langfristige Unterstützung. Und heute? Heute steht Ostafrika vor einer Katastrophe, die noch deutlich schlimmer werden könnte.

Denn alle 48 Sekunden stirbt dort ein Mensch an akutem Hunger. Dies geht aus einem vergangene Woche erschienenen Bericht der Nichtregierungsorganisationen Save the Children und Oxfam hervor. In Äthiopien, Kenia und Somalia nämlich herrscht derzeit eine Dürreperiode historischen Ausmaßes.

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Das vierte Jahr in Folge blieb die Regenzeit aus, schlimmer war es wohl seit über 40 Jahren nicht mehr. Mehr als 20 Millionen Menschen haben daher nicht genügend Nahrungsmittel – darunter rund sechs Millionen Kinder. Die Hilfsorganisationen werfen der internationalen Staatengemeinschaft ein zu zögerliches Verhalten vor und warnen vor einem Massensterben.

Man würde auf Krisen nur reagieren, anstatt präventiv zu handeln. Auch während der humanitären Katastrophe im Jahre 2011 wurde dies kritisiert. Mittlerweile hat man zwar Frühwarnsysteme entwickelt, um Krisen schon im Voraus erkennen zu können. „Evaluationen haben jedoch gezeigt, dass Frühwarnsysteme nicht gleichzeitig auch zu frühem Handeln führen“, beklagen Save the Children und Oxfam in ihrem Bericht.

Deutschland verspricht 180 Millionen Euro

Denn es habe bereits im August 2020 erste Warnsignale einer Dürreperiode gegeben, vor der im Dezember 2020 auch ein Institut der Europäischen Kommission warnte. Im April 2021 erklärte die somalische Regierung, dass das Land unter einer Dürre leide. Im September 2021 schloss sich die Regierung aus Kenia an und rief den nationalen Notstand aus. Es gab somit viele Anzeichen – passiert aber ist wenig.

Mancherorts gibt es speziell eingerichtete Stabilisierungszentren für schwer unterernährte Kinder.

© Eduardo Soteras/AFP

Nichtsdestotrotz gab es über die Jahre hinweg stets Hilfsprojekte und Deutschland pflegt auch mit allen drei Ländern eine bilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Ebenso fand im April dieses Jahres in Genf eine UN-Geberkonferenz statt, in der insgesamt 1,29 Milliarden Euro an Hilfsgeldern zugesichert wurden.

Deutschland versprach davon 180 Millionen, wie ein Sprecher des Bundesentwicklungsministeriums dem Tagesspiegel mitteilt. Damit zähle man zu den Hauptgeberstaaten. „Diese Reaktion fügt sich in das langjährige Engagement des BMZ in Ostafrika ein“, sagt der Sprecher. Man wolle dadurch unter anderem „das Ausmaß künftiger Krisen durch Anpassungs- und Resilienzmaßnahmen verringern“ und eine größere „Emanzipation und Unabhängigkeit“ erreichen.

Dazu gehört beispielsweise die Förderung einheimischer und klimaresistenter Pflanzen wie Hirse, Yams oder Maniok. Dadurch wäre Ostafrika in Zukunft nicht mehr so abhängig wie aktuell von Russland und der Ukraine. Auf diese Abhängigkeit verweist auch Christoph Hoffmann, der entwicklungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag.

Russland nutze „Hunger als strategische Waffe und setzt Millionen Menschenleben in Ostafrika aufs Spiel“, erklärt er dieser Zeitung. „Trotzdem müssen wir die Nahrungsmittelsouveränität der gefährdeten Staaten mehr in den Blick nehmen und die Modernisierung der Agrarökonomie unterstützen”, sagt Hoffmann.

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„Es ist immer das Gleiche“

Nach Meinung der Hilfsorganisationen aber hätte all das schon viel früher stattfinden müssen, weshalb sie schlussfolgern: „Hungersnot ist ein politisches Versagen.“ Auch Wirtschaftswissenschaftler Axel Dreher teilt die Auffassung „uneingeschränkt“, dass man zu lange gewartet habe.

„Es ist immer das Gleiche. Es fällt schwer, Argumente zu finden, warum man das anders sehen könnte“, sagt der Professor für Entwicklungspolitik dem Tagesspiegel. „Man reagiert erst, wenn die Fernsehbilder da sind und Menschen sterben. Dann erst ist der mediale und politische Druck da“, erklärt Dreher.

Die Menschen am Horn von Afrika sind auf internationale Unterstützung angewiesen.

© Brian Inganga/dpa

Dies liege daran, dass Entwicklungspolitik weitestgehend nach dem Trittbrettfahrerproblem funktioniere: Kein Staat sei allein verantwortlich, weshalb jeder abwarte und hoffe, dass der jeweils andere zuerst aktiv wird. Und warum bleibt eine pragmatische Hilfe wie beispielsweise in der Ukraine aus? „Afrika ist nicht Europa. So rassistisch, so einfach“, erklärt Cornelia Möhring, die entwicklungspolitische Sprecherin der Linken.

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Dies solle zwar nicht die geleistete Hilfe in der Ukraine schmälern, zeige aber, „was politisch und finanziell möglich ist, wenn von den Verantwortlichen gewollt“, sagt Möhring dem Tagesspiegel. Es sei jedoch die moralische Pflicht, Hilfe zu leisten, da „die Industrieländer eine Hauptschuld an der Klimakrise“ und somit an der Dürre hätten.

Ein frühes Eingreifen könnte Millionen sparen

Doch nicht nur moralisch, auch wirtschaftlich würde sich ein frühes und entschlossenes Eingreifen lohnen. Denn dadurch könnte man womöglich Millionen an Entwicklungsgeldern einsparen – und somit Steuerzahler entlasten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie aus dem Jahre 2018, die US-amerikanische Entwicklungspolitik in Kenia untersuchte.

Die Autoren erklären, dass die US-Regierung innerhalb von 15 Jahren umgerechnet 355 Millionen Euro gespart hätte, wenn sie frühzeitig Hilfe leistete. Auch Ökonom Dreher vermutet, dass ein frühes Eingreifen deutlich kostengünstiger sein könnte, wobei dies wissenschaftlich schwer nachzuweisen sei.

Nun kommt es in Ostafrika auf die Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft an. Falls diese ausbleiben sollte, droht elf Jahre nach dem Besuch Dirk Niebels eine weitere humanitäre Katastrophe. Und wenn sich nicht auch langfristig etwas ändert, dann könnten Hungersnöte zur Normalität werden.

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