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Jüdisches Leben in Deutschland: Ein Mann mit Kippa bei der Eröffnung des Jüdischen Filmfestivals Berlin Brandenburg.

© picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/Bernd settnik

„Für Jüdinnen und Juden Alltag“: Knapp 2500 antisemitische Vorfälle im Jahr 2022 registriert

Der Bundesverband RIAS hat seine neue Jahresstatistik zu antisemitischen Vorfällen vorgelegt. Die Gesamtzahl ging zurück, doch es gibt einen Höchststand bei schweren Gewalttaten.

Eine Gesamtzahl von 2480 antisemitischen Vorfällen in Deutschland hat der Bundesverband RIAS – Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus – für das Jahr 2022 registriert. Darunter waren neun Fälle potenziell tödlicher oder schwerer Gewalttaten.

Das ist die höchste Zahl seit Beginn der bundesweiten Erfassung im Jahr 2017. Das geht aus dem Jahresbericht hervor, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.

Zu den neun besonders schweren Vorfällen zählt RIAS beispielsweise drei Taten, die sich im Herbst 2022 in Nordrhein-Westfalen ereigneten: In Bochum wurde spätabends ein Molotowcocktail auf eine Schule geworfen, die unmittelbar an eine Synagoge angrenzt. Es entstanden Ruß- und Brandschäden.

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Zudem wurde ein früheres Rabbinerhaus an der Essener Synagoge beschossen. Es konnte ein Verdächtiger mit deutscher und iranischer Staatsangehörigkeit festgenommen werden. Er soll auch einen Brandanschlag auf die Dortmunder Synagoge geplant haben. Die Ermittlungsbehörden gehen davon aus, dass die Taten von staatlichen Stellen aus dem Iran beauftragt wurden.

Mit Baseballschlägern, Messern und Pfefferspray attackiert

„Aufgrund der hohen Gefährdung durch islamistische und rechtsextreme Akteure stehen die Bundesländer in der Pflicht, Sicherheits-Defizite für Jüdische Gemeinden umgehend zu beheben“, sagte dazu Benjamin Steinitz, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands RIAS. Der Bund müsse „gegen den staatlich koordinierten Terrorismus des Iran vorgehen und sich konsequent für eine Aufnahme der Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste einsetzen“.

Bei einem weiteren der schweren Fälle handelt es sich um unmittelbare körperliche Gewalt: In Berlin-Spandau soll eine Gruppe von fünf bis zehn Personen zwei junge Männer angegriffen haben, weil diese „Free Israel“ gerufen haben sollen. Die Opfer wurden mit Baseballschlägern, Messern und Pfefferspray attackiert.

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Die Gesamtzahl der Vorfälle sank um elf Prozent gegenüber dem Jahr 2021. Im Vorjahr standen viele der Fälle in unmittelbarem Zusammenhang entweder zur Corona-Pandemie oder zum Nahostkonflikt. Beide Themen waren 2022 vergleichsweise weniger präsent. In die Statistik gehen sowohl Fälle ein, in denen Einzelpersonen zum Opfer werden, als auch Taten, die sich gegen Institutionen richten.

13 Prozent der Vorfälle wurden einem rechtsextremen Hintergrund zugeordnet. Erstmals gab es einen anderen Zusammenhang, dem noch mehr Fälle zugeordnet wurden: Bei 21 Prozent der Fälle geht der Verband von einem verschwörungsideologischen Milieu aus. Gut die Hälfte der Taten kann keinem Hintergrund zugeordnet werden.

Die Betroffenen werden bei ihren normalen Aktivitäten mit Judenhass konfrontiert, sei es bei der Arbeit, im öffentlichen Nahverkehr, im Supermarkt oder im Theater.

Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus

Dokumentiert wurden auch 56 antisemitische Angriffe. Als Angriffe werden Vorfälle gewertet, bei denen Personen körperlich angegriffen werden, ohne dass dies lebensbedrohliche oder schwerwiegende körperliche Schädigungen nach sich zieht. Diese Kategorie beinhaltet auch versuchte physische Angriffe.

Ein solcher Fall betraf beispielsweise ein Paar, das über die Autobahn fuhr, ausgebremst und bis zu einem Parkplatz verfolgt wurde. Der Mann trug eine Kippa. Die Opfer schlossen sich auf dem Parkplatz in ihrem Auto ein. Drei Männer versuchten der Schilderung von RIAS zufolge, die Türen zu öffnen, schlugen gegen das Auto und bespuckten die Fenster. „Sie beleidigten die Betroffenen antisemitisch und drohten ihnen Gewalt an“, heißt es im Bericht.

Die weiteren erfassten Vorfälle gehören zu den folgenden Kategorien: 186 gezielte Sachbeschädigungen, 72 Bedrohungen und 245 Massenzuschriften, also etwa E-Mails an einen großen Adressatenkreis. Zudem gab es 1912 Fälle von verletzendem Verhalten. Das meint etwa antisemitische Äußerungen und Beschmierungen. Außerdem zählen zu den Vorfällen 426 Versammlungen.

Von einer sehr großen Dunkelziffer ist auszugehen. Im Bericht heißt es, die dokumentierten Zahlen seien „statistisch nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung“. Es gehe vor allem darum, „die alltägliche Dimension von Antisemitismus in Deutschland zu verdeutlichen“.

Deutlich gestiegen ist die Zahl von Vorfällen in Bildungs- und Kultureinrichtungen. Das liegt auch an den antisemitischen Vorkommnissen auf der jüngsten Documenta in Kassel.

„Die documenta fifteen war zu Recht in aller Munde. Doch auch im Kulturbetrieb ereignen sich viele antisemitische Vorfälle unterhalb der Schwelle der öffentlichen Aufmerksamkeit“, sagte dazu Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. „Wie in anderen Teilen des gesellschaftlichen Lebens, sind sie für Jüdinnen und Juden Alltag. Die Betroffenen werden bei ihren normalen Aktivitäten mit Judenhass konfrontiert, sei es bei der Arbeit, im öffentlichen Nahverkehr, im Supermarkt oder eben im Theater, im Museum, beim Konzert.“

In der Statistik wird unterschieden zwischen verschiedenen antisemitischen Stereotypen, wobei sich diese häufig überlappen, sodass jeder Vorfall rechnerisch im Schnitt 1,5 Kategorien zugeordnet wurde.

Gut jeder zweite Vorfall fällt in die Kategorie des Post-Schoa-Antisemitismus. Ein Viertel der Fälle wurde dem israelbezogenen Antisemitismus zugeordnet. Jeder dritte insgesamt dokumentierte Vorfall ereignete sich online.

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