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Reisebann. Wer einen russischen Pass hat, kommt an der estnischen Grenze oft nicht weiter - selbst mit einem Visum.

© dpa

Einreisesperren für russische Touristen: Estlands Visa-Bann hat viele Schlupflöcher

EU-Staaten wie Estland und Finnland wollen die Sanktionen gegen Russland auch auf Touristen ausweiten. Doch das Vorhaben hat Tücken.

Knapp sechs Monate nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine hat Estland ein weiteres politisches Zeichen gegen den Angriffskrieg gesetzt. Seit Donnerstag können russische Staatsbürger nicht mehr in den Nachbarstaat einreisen, auch wenn sie bereits über ein von Estland ausgestelltes Schengen-Visum verfügen. Russen, die einen Wohnsitz in Estland oder dort Verwandte haben, sind von dem Einreisebann nicht betroffen.

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Bislang gelten Einreiseverbote auf EU-Ebene aufgrund der gegen Moskau verhängten Sanktionen nur gegen Angehörige der politischen und wirtschaftlichen Elite in Russland. Der von der Regierung in Tallinn verhängte Bann trifft nun allerdings auch russische Normalbürger wie beispielsweise Touristen. Eine Sprecherin der EU-Kommission machte  am Donnerstag in Brüssel deutlich, dass die Brüsseler Behörde ein komplettes Einreiseverbot für sämtliche russische Staatsbürger nicht unterstützt.

In der EU würden derzeit weiterhin insbesondere in humanitären Notfällen Visa an russische Staatsbürger vergeben. Die EU-Kommission stelle im Gespräch mit den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft deshalb sicher, „dass wir koordiniert vorgehen“, fügte die Sprecherin hinzu.

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Doch von Koordination kann in der EU in der Visa-Frage derzeit keine Rede sein. Denn Estland ist nicht das einzige Mitgliedsland, das russische Staatsbürger rigoros abweist. Auch die beiden anderen Balten-Republiken Lettland und Litauen haben die Einreise von Russen eingeschränkt. Polen will ebenfalls dem Appell des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj folgen, der einen generellen Reisebann für russische Staatsbürger verlangt hatte.

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Darüber hinaus plant Finnland ab dem 1. September Einschränkungen bei der Vergabe von Visa an Russen. Wegen der Einstellung des Luftverkehrs seit dem Beginn des Ukraine-Krieges haben Russlands Nachbarstaaten wie Finnland für Touristenreisen aus Russland eine besondere Bedeutung, weil die Besucher auf dem Landweg in die EU einreisen müssen.

Deutschland hält an seiner Visa-Politik fest

Allerdings lässt sich beispielsweise Estlands Einreise-Bann für russische Touristen relativ leicht umgehen –  nämlich dann, wenn sie über ein von Deutschland ausgestelltes Visum verfügen, mit dem sie sich dann bis zu 90 Tage frei im Schengen-Raum bewegen können. Völlig  problemlos ist dies allerdings nicht, denn die Erstellung von Schengen-Visa in den Konsulaten von EU-Staaten in Russland dauert mittlerweile mehrere Wochen. Im Jahr 2019 betrug die durchschnittliche Bearbeitungsdauer noch wenige Werktage.

Dass die Zahl der Touristen aus Russland  zurückgegangen ist, zeigt das Beispiel Finnlands, wo bis zum Beginn der Corona-Pandemie ein reger Grenzverkehr für Touristen aus dem Nachbarland im Osten herrschte. Nach Angaben des Außenministeriums in Helsinki vergab Finnland im vergangenen Monat gerade einmal 16.000 Visa an russische Staatsbürger. Im Juli 2019 waren es noch 92.100 Visa gewesen.

Pauschales Einreiseverbot juristisch nicht haltbar

Die stark gesunkene Zahl der Touristen aus Russland ändert aber nichts an der Diskussion auf EU-Ebene darüber, ob ein mögliches achtes  Sanktionspaket auch Einreisesperren von Russen jenseits des Kreml-Umfeldes beinhalten könnte. Ein pauschaler Visa-Bann für Russen wäre zwar juristisch nicht haltbar. Denkbar sind aber abgestufte Einreisesperren, von denen etwa Studenten oder Menschen mit Familienangehörigen in EU-Staaten ausgenommen werden könnten. In Brüssel kommt die Debatte über die Details erst in Gang. Tschechien, das gegenwärtig den EU-Vorsitz innehat, will das Thema beim informellen EU-Außenministertreffen am 31. August in Prag auf die Agenda setzen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

© REUTERS/Lisi Niesner/File Photo

Deutschland gehört nach derzeitigem Stand zu jenen EU-Staaten, die sich gegen eine weitere Einschränkung bei der Visavergabe wenden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zu Beginn der Woche nach einem Treffen mit skandinavischen Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten in Oslo erläutert, warum Deutschland ein generelles Einreiseverbot für Russen in die EU skeptisch sieht: „Das ist Putins Krieg, nicht der Krieg der Russen“, so Scholz.

Dass Deutschland bei der EU-Sanktionsdebatte zu den Bremsern gehört, ist nicht neu. So lehnte Berlin  beispielsweise im März ein Ölembargo ab, um später einem Lieferstopp dann doch zuzustimmen. Allerdings  wird die Bundesregierung diesmal  in ihrem Kurs bei der Visavergabe von Vertretern der russischen Opposition unterstützt. So erklärte der Kreml-Gegner Wladimir Milow, ein Vertrauter des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, dass ein genereller Visa-Bann nur dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände spiele.

EU-Vorsitz unterstützt die Hardliner

Welche Rolle Tschechien im EU-Vorsitz bei der Diskussion um weitere mögliche Reisebeschränkungen spielen wird, ist  noch unklar. Eigentlich ist die Regierung in Prag wegen ihrer Rolle in der EU-Präsidentschaft zur Neutralität verpflichtet. Dennoch unterstützt Prag nach den Worten des Außenministers Jan Lipavsky den Kurs der baltischen Staaten, russischen Staatsbürgern möglichst den Zugang zur EU zu verwehren.

Besonders deutlich äußerte  sich in diesem Sinne Kaja Kallas. „Europa zu besuchen ist ein Privileg, kein Menschenrecht“, erklärte die die estnische Ministerpräsidentin auf Twitter. Ob die Anhänger eines harten Kurses in der Visapolitik unter den EU-Ländern die Mehrheit haben, ist aber keineswegs sicher.

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