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Durchbruch mit ernsten Mienen: Olaf Scholz und Saskia Esken verkünden die Einigung im Flächtlingsstreit.

© AFP

Einigung im Flüchtlingsstreit: Zwischen vielen Klippen

Im Flüchtlingsstreit hatte die SPD die Union unter Druck gesetzt. Tatsächlich kann sie über den Kompromiss froh sein, den die Koalitionäre nun gefunden haben.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Olaf Scholz war nach Pathos zumute, als er am Dienstagabend gemeinsam mit SPD-Chefin Saskia Esken am Fuße des Reichstags vor die Kameras trat. Den Flüchtlingen in Griechenland werde Deutschland nun helfen „entsprechend der Kraft und der Größe, die wir haben“, versprach der Vizekanzler - und nannte Deutschland das „Land, das eine große Verantwortung hat und damit auch das Richtige tut“.

Nach tagelangem Ringen um die richtige Antwort auf die Feuerkatastrophe von Moria und die Schwächen des europäischen Flüchtlingssystems vermied der SPD-Politiker jede Triumpfgeste in Richtung Union und betonte stattdessen die Gemeinsamkeiten. „Wir haben als Regierung eine Verständigung darüber herbeigeführt, was zu tun ist", sagte er, dies sei ein „großer, riesiger Fortschritt“. 

Mit verteilten Rollen hatten die Sozialdemokraten seit dem verheerenden Brand im Lager Moria versucht, Druck auf die Union aufzubauen: Es sei die humanitäre Verpflichtung Deutschlands, als großes EU-Land mehr Hilfe zu leisten als andere. Ermutigt fühlte sich die SPD-Spitze dadurch, dass etliche Bundestagsabgeordnete der CDU ebenso wie Unions-Ministerpräsidenten ähnlich klangen. Sogar CSU-Chef Markus Söder hatte ja erklärt, mehr Menschen aus Moria aufzunehmen sei „Christenpflicht“.

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Am Dienstagvormittag machte dann die Nachricht die Runde, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) hätten sich auf die Aufnahme von zusätzlich rund 1500 Flüchtlingen von griechischen Inseln geeinigt - zusätzlich zu den bis zu 150 unbegleiteten Minderjährigen, die der Innenminister Ende vergangene Woche aufzunehmen versprochen hatte. SPD–Vertreter zeigten sich da noch skeptisch, weil die Verhandlungen mit der Union zu diesem Zeitpunkt noch liefen.

Auf die Details kommt es an

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verkündete, der Seehofer-Plan finde „voll und ganz“ die Unterstützung der CSU. Er legte allerdings großen Wert auf ein Detail. Es handele sich bei den rund 1500 Flüchtlingen um eine „klar definierte und begründete Gruppe“: 400 Familien mit Kindern, die als Flüchtlinge h anerkannt und als besonders schutzbedürftig eingestuft seien, gleichwohl aber noch auf Inseln in Lagern lebten. 1500 sei also keine willkürlich gegriffene Zahl. Er könne die SPD ohnehin nur vor der Versuchung warnen, einen „Wettbewerb der Zahlen“ zu beginnen: „Wir wollen keine Polarisierung der Debatte!“

Der Satz verrät viel über die Gratwanderung, zu der der Fall Moria die Union zwingt. Gerade die CSU hat sich vom knallharten Flüchtlingskurs verabschiedet, der die AfD nicht kleinhielt, aber die Grünen groß machen half. Jetzt versucht sie, den Grünen keine Flanke zu bieten. Dobrindt freut sich denn auch sehr über die Reaktion des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann („froh, glücklich und voll des Lobes“) auf den Familien-Vorschlag.

Und er erinnert in einem Nebensatz daran, wo der neue Hauptgegner steht: Bei der NRW-Kommunalwahl habe die Reihenfolge der wahlentscheidenden Themen Corona, Klima und Migration gehießen – in dieser Reihenfolge. Das AfD-Zentralthema und mit ihm die Partei selbst sind in der Bedeutung abgerutscht. 

Aber noch nicht so weit, dass nicht die Gefahr besteht, der Rechtstruppe neues Futter zu geben. Deshalb hatte Dobrindt tags zuvor im Fraktionsvorstand vor ungeschickten Formulierungen beim Verkaufen des Plans gewarnt. Die Aktion als „einmal“ hinzustellen tauge wenig, wenn man sie gleichzeitig selbst als zweiten Schritt nach einem ersten beschreibe. Von „vorangehen“ solle man auch nicht reden, wenn keiner folge. 

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Tatsächlich ist das deutsche Angebot ein Alleingang; „leider“, wie ein CDU-Innenpolitiker hinter vorgehaltener Hand anmerkt, hatte die Union doch bisher genau das strikt abgelehnt.

Ob der Versuch verfängt, den Kurswechsel durch den sehr fein ziselierten Hinweis auf die „klar definierte und begründete Gruppe“ gegenüber den Skeptikern in den eigenen Reihen zu rechtfertigen, ist offen. 

Lesbos, im Jahre 2020: Eine geflüchtete Frau gibt ihrem Neugeborenem etwas Milch zu trinken.
Lesbos, im Jahre 2020: Eine geflüchtete Frau gibt ihrem Neugeborenem etwas Milch zu trinken.

© Alkis Konstantinidis, Reuters

Auch in der SPD war vielen klar, dass der Fall Moria hoch komplex ist. Die griechische Regierung weigerte sich lange, auch nur Teile ihrer Verantwortung für die gestrandeten Flüchtlinge aufzugeben. Sie macht Moira-Bewohner für den Brand verantwortlich und befürchtet, Bewohner anderer Lager könnten sich ermutigt fühlen, dem Beispiel zu folgen.  Zudem halten sich andere europäische Länder mit Hilfszusagen sehr zurück, da sie die Pläne der EU-Kommission zur Reform der Migrations- und Asylpolitik in zwei Wochen abwarten wollen.

Die Aufnahme von 408 Familien, die in Griechenland bereits als Schutzberechtigte anerkannt sind, wird nicht auf ein deutsches Kontingent angerechnet, das sich aus dereuropäischen Lösung für die Flüchtlinge ergibt, an der noch gearbeitet wird. Insgesamt, so rechnete Regierungssprecher Steffen Seibert vor, nehme Deutschland rund 2.750 Schutzsuchende auf.

Horst Seehofer, der Buhmann vieler Flüchtlingsfreunde, war dann doch zum Kompromiss bereit.
Horst Seehofer, der Buhmann vieler Flüchtlingsfreunde, war dann doch zum Kompromiss bereit.

© dpa

Die Erleichterung von Scholz dürfte auch mit der Einsicht zu tun haben, dass Polarisierung in Migrationsfragen seiner Partei wenig hilft. Auch in der SPD gibt es Zweifel, ob es klug ist, in der Frage so massiv Druck auszuüben, wie es Esken mit Ultimaten getan hatte.

Zwar sei humanitäre Soforthilfe für Moria wichtig, sagt etwa der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel, Mitglied der SPD-Grundwertekommission. „Trivial und unpolitisch“ aber sei „ein Überbietungswettbewerb“ mit Flüchtlingszahlen. Damit sei für die SPD „elektoral nichts zu holen“ - mit anderen Worten: Sie spreche damit keine Wählergruppe an. Auch diese Gefahr scheint der Kompromiss nun gebannt zu haben - zumindest vorerst.

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