zum Hauptinhalt
In vielen Fällen entscheiden deutsche Richter:innen nicht allein.

© IMAGO/Jan Huebner

Ehrenamt mit zu viel Macht?: Schöffen verzweifelt gesucht

Für die kommende Amtsperiode werden zahlreiche neue ehrenamtliche Richter:innen benötigt. Rechte Gruppierungen versuchen das auszunutzen.

Jahrelang übt die Mathematik- und Physiklehrerin Gitta Kritzmöller ein wichtiges Ehrenamt aus: Als Schöffin, also ehrenamtliche Richterin, spricht die Pädagogin Recht am Landgericht Erfurt, jüngst in einem Verfahren gegen eine vermeintliche Schlepper-Bande. 

Doch Ende vergangenen Jahres meldete sie eine Demonstration vor dem Erfurter Landtag an, bei der sich das Who-is-Who der Rechtsextremen traf. Wenige Monate zuvor besuchte sie ein Netzwerktreffen der rechtsextremen NPD in Eisenach.

Das Gericht wurde auf ihre politische Gesinnung erst aufmerksam, als Jounalist:innen die Schöffin erkannten. Das Landgericht erklärte die Frau für befangen und stoppte den Prozess. Ob sie das letzte Jahr ihrer Amtsperiode weiter ausführen darf, wird nun geprüft. Wie kann so etwas passieren? 

60.000
Schöff:innen werden derzeit landesweit gesucht.

Der Bedarf an Schöff:innen in Deutschland ist groß, das Interesse aber begrenzt. 60.000 Menschen werden bundesweit gerade wieder gesucht. In bestimmten Strafverfahren wird ein Einzelrichter von zwei Schöff:innen unterstützt, sodass diese ihn überstimmen und so die Verurteilung eines Strafrichters verhindern können.

Die Voraussetzungen sind gelinde gesagt niedrig: Wer ein Schöffenamt übernehmen will, muss straffrei sein, mindestens 25 Jahre alt und darf das 69. Lebensjahr nicht überschritten haben. Außerdem müssen Schöff:innen die deutsche Staatsangehörigkeit haben und in der Kommune oder dem Bezirk wohnen, in dem sie eingesetzt werden sollen.

Rechte Gruppierungen versuchen, die deutsche Justiz zu unterwandern

Weitere Kontrollinstanzen gibt es nicht – obwohl bekannt ist, dass rechte Gruppierungen seit Jahren versuchen, die deutsche Justiz zu unterwandern. AfD, Pegida, NPD – neben ihrem rechten Gedankengut eint diese Gruppierungen, dass sie immer wieder bei ihren Anhängern für das Schöffenamt zu werben, um „für Gerechtigkeit in Strafprozessen zu sorgen“

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Ist es bei einem so wichtigen Amt nicht ein Fehler, dass keine Kontrollinstanz dazwischengeschaltet ist? Jein, meint Stefan Schifferdecker, Vorsitzender des Berliner Landesverbands des Deutschen Richterbundes.

„Es ist wichtig, dass das Volk mit am Tisch sitzt. Es dient der Kontrolle, wir Juristen kommen aus unseren Sphären manchmal nicht heraus. Die komplexen Sachverhalte für Laien runterzubrechen hilft enorm dabei, bürgernäher zu kommunizieren.“

55
Jahre alt sind deutsche Schöff:innen derzeit im Schnitt.

Wenn sich nicht genug Freiwillige für das Schöffenamt melden, werden Bürgerinnen und Bürger von Behörden nach dem Zufallsprinzip angeschrieben. Widerstand ist dann relativ zwecklos. 

Kontrollinstanzen fehlen

„Wahrscheinlich sind nicht alle Menschen, die sich für das Ehrenamt melden oder diesem zugewiesen werden, der Demokratie wohlgesonnen“, räumt Schifferdecker ein.

„Wir treffen die Schöffen vor der Verhandlung, erklären, worum es geht, aber tiefer geht es nicht. Wir unterhalten uns nicht politisch.“ Schifferdecker stellt außerdem die Frage in den Raum, ob die Gesellschaft nicht eine Meinungspluralität aushalten müsse. „Ganz klar: Verfassungsfeinde gehören nicht auf die Richterbank. Gegen kritische Köpfe in der Rechtsprechung ist aber nichts einzuwenden.“

Wir treffen die Schöffen vor der Verhandlung, erklären, worum es geht, aber tiefer geht es nicht, wir unterhalten uns nicht politisch.

Stefan Schifferdecker, Vorsitzender des Berliner Landesverbands des Deutschen Richterbundes.

Aktuell läuft die Suche nach Schöff:innen in ganz Deutschland auf Hochtouren. Wenig Probleme soll es in kleineren Kommunen geben, etwas zäher sei es in Großstädten, meint Andreas Höhne, Präsident des Bundesverbandes der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

Wir können keine Gesinnung überprüfen. Aber durch unser Amt können wir die Demokratie stärken.

Petra Pinnow, Vorsitzende der Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen Nord.

„Es müssen grundsätzlich doppelt so viele Schöffen aufgestellt werden, wie letztendlich Recht sprechen werden. Der Schöffenwahlauschuss trifft dann die finale Auswahl. Durch unterschiedliche Berufe, Alter, Geschlecht und soziale Stellung und Generationen soll ein Querschnitt der Gesellschaft hergestellt werden.“ In der Realität sei das faktisch kaum möglich, gibt Höhne zu. Der Altersschnitt liegt derzeit laut dem Verband bei 55 Jahren.

Petra Pinnow durchläuft bereits ihre zweite Amtszeit als Schöffin in Hamburg. Als Vorsitzende des Verbands tingelt sie derzeit von einer Werbeveranstaltung zur nächsten. Die Veranstaltungen seien gut besucht, teilweise ausgebucht. „Die Nachfrage ist groß. Dieses Jahr ist vieles anders, erstmals wird die Kampagne, auch finanziell, vom Bundesjustizministerium unterstützt, das eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten.“ 

Sie wolle nichts beschönigen, sagte die Paartherapeutin dem Tagesspiegel, die Möglichkeit der Unterwanderung bestehe. „Aber das Volk hat Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken.“ Tatsächlich muss die Vorschlagsliste zehn Tage in der jeweiligen Kommune aushängen, Bürger:innen können Einspruch gegen einzelne Bewerber einlegen.

Das Bundesjustizministerium will nun dem möglichen Missbrauch des Schöffenamtes entgegenwirken. Eine Änderung des deutschen Richtergesetzes soll festlegen, dass niemand zur ehrenamtlichen Richterin oder zum ehrenamtlichen Richter berufen werden darf, wenn Zweifel daran bestehen, dass die Person jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt.

„Das Vertrauen in den Rechtsstaat ist unverzichtbar. Unter keinen Umständen dürfen wir zulassen, dass Extremisten in unserem Land Recht sprechen“, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) dem Tagesspiegel. „Mit unserem Entwurf stellen wir die Pflicht zur Verfassungstreue auch für ehrenamtliche Richterinnen und Richter ausdrücklich klar und stärken die Wehrhaftigkeit der Justiz.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false