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Anhänger des Predigers al Sadr besetzten zeitweise sogar den Regierungspalast.

© AFP/Ahmad al Rubaye

Machtkampf zwischen Schiitenprediger Sadr und Iran: Droht dem Irak ein Bürgerkrieg?

Der Irak kommt nicht zur Ruhe, die Gewalt eskaliert. Auch weil der populäre Schiitenführer al Sadr seinen Rückzug erklärt und so die Machtfrage stellt.

Gefechte und Gewalt – der Irak treibt auf einen Bürgerkrieg zwischen Gefolgsleuten des Iran und Truppen des populistischen Predigers Moktada al Sadr zu. Nach dem Tod von rund 30 Menschen bei Zusammenstößen in der Hauptstadt Bagdad befahl Sadr am Dienstag seinen Anhängern, sie sollten sich aus besetzten Regierungsgebäuden und von den Straßen zurückziehen.

Seine Anordnung wurde zunächst befolgt. Der Abzug ist aber nicht das Ende, sondern nur eine Atempause im Machtkampf zwischen Sadr und der Regierung im Iran, die den Irak als ihren Hinterhof betrachtet.

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Der 48-jährige Sadr ist Sohn des prominenten Geistlichen Mohammed Bakir al Sadr, der Widerstand gegen den Diktator Saddam Hussein leistete, und genießt hohes Ansehen bei vielen Schiiten, die im Irak die größte Bevölkerungsgruppe sind.

Sadrs Miliz, die früher Mahdi-Armee hieß und sich heute Friedens-Brigade nennt, kämpfte nach der US-Invasion von 2003 gegen die Amerikaner. Sadr hat Millionen von Anhängern im Irak und präsentiert sich als irakischer Nationalist, der die Einmischung von Iran und USA in seinem Land ablehnt.

Sadrs Saairun-Allianz – der politische Arm seiner Bewegung – gewann bei den Wahlen 2018 und 2021 die meisten Parlamentssitze. Nach der jüngsten Wahl im Oktober scheiterte er aber mit dem Versuch, eine Regierung ohne pro-iranische Kräfte zu bilden.

Der Kleriker kann die Politik im Land lahmlegen

Die Spannungen zwischen dem Sadr-Lager und den von Teheran unterstützten Milizen und Parteien im Irak wachsen seit Monaten. Im Februar wies Sadr laut der Nachrichtenagentur Reuters einen Kompromissvorschlag des Iran zurück und forderte, Teheran solle sich nicht mehr im Irak einmischen. Im Juni zog er seine Anhänger aus der Volksvertretung ab, im Juli besetzten Sadr-Loyalisten das Parlamentsgebäude in Bagdad.

Damit demonstrierte Sadr seine Fähigkeit, die irakische Politik zum Stillstand zu bringen, doch der Iran schlug zurück und benutzte dazu Sadrs religiösen Mentor, Ajatollah Kasem al Haeiri.

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Der 84-jährige Haeri war ein enger Vertrauter von Sadrs Vater und bisher Berater des jüngeren Sadr. Am Sonntag erklärte Haeri, der im Iran lebt, seinen Rücktritt als hoher Geistlicher und rief alle Schiiten auf, den iranischen Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei als obersten Anführer anzuerkennen.

Für Sadr ist das ein Problem: Haeris Rücktritt und Appell untergraben seine Legitimität als Schiiten-Führer. Kein Wunder, dass er die Ankündigung als Kriegserklärung wertete und Teheran vorwarf, Haeri zum Rückzug gezwungen zu haben.

Sadrs Anhänger besetzten den Regierungspalast

Schon einen Tag später erklärte Sadr seinen Rückzug aus der Politik und schickte seine Anhänger auf die Straße. Sie stürmten die so genannte Grüne Zone im Zentrum von Bagdad, wo Regierungsgebäude und ausländische Botschaften liegen, besetzten den Regierungspalast und lieferten sich Gefechte mit Sicherheitskräften und pro-iranischen Milizionären.

Sadrs Rücktrittserklärung ist nicht die erste – und nicht als Zeichen der Resignation zu verstehen. Er hatte schon 2014 seinen Rückzug aus der Politik verkündet, wurde aber trotzdem zu einem der mächtigsten Politiker des Landes.

Der Schiitenführer al Sadr gehört zu den mächtigsten Männern im Irak und wehrt sich gegen Irans Einflussnahme.

© AFP/Qassem al Kaabi

Auch diesmal dürfte politisches Kalkül hinter Sadrs Rückzug stehen. Seine Bewegung dürfe nicht „unkontrolliert“ handeln, sagte der Prediger jetzt in einem Fernsehappell an seine Anhänger. Was Sadr jetzt vorhat, ist nicht bekannt. Mit dem Rückzug aus der Politik distanziert er sich von einem korrupten und dysfunktionalen politischen System, das Reformen im Irak verschleppt und das Land trotz seines Ölreichtum in Armut hält.

Das entspricht Sadrs populistischem Stil, bedeutet aber nicht, dass er keine politische Rolle mehr spielen will. So fordert er eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen.

Es gab keinen spontanen Gewaltausbruch, die Kontrahenten waren vorbereitet

Von irakischen Politikern, die schon seit der US-Invasion von 2003 aktiv sind, verlangt Sadr den Verzicht auf alle Ämter, um Reformen des politischen Systems zu ermöglichen. Der Appell zielt auf seinen Hauptgegner, den pro-iranischen Ex-Premier Nuri al Maliki. Sollte es Neuwahlen geben, dürfte Sadr wie schon in der Vergangenheit wieder in die Politik zurückkehren.

Dass Sadr den Kampf gegen den iranischen Einfluss im Irak aufgibt, ist laut Beobachtern nicht zu erwarten.

Die Gefechte am Montag zeigten, dass Sadr und seine pro-iranischen Gegner einen bewaffneten Kampf um die Macht im Irak erwarten. Auch die jüngsten Auseinandersetzungen waren kein spontaner Gewaltausbruch. Beide Seiten seien vorbereitet gewesen, schreibt Nahost-Experte Charles Lister vom Nahost-Institut in Washington auf Twitter.

Sadrs Truppen setzten schwere Waffen ein; pro-iranische Gruppen sollen Bomben von Drohnen abgefeuert haben. Am Dienstag früh wurden Raketen auf die Grüne Zone abgeschossen. Wegen der Zusammenstöße in der Grünen Zone habe Personal der niederländischen Botschaft Schutz in der deutschen Vertretung gesucht, berichtet Lister. Die staatlichen Sicherheitskräfte standen der Gewalt machtlos gegenüber.

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