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Irakische Sicherheitskräfte feuern Tränengas auf die Anhänger des schiitischen Geistlichen Al-Sadr im Regierungspalast.

© Hadi Mizban/AP/dpa

Update

Nach Ausschreitungen mit mindestens 30 Toten: Iraks Präsident Saleh unterstützt baldige Neuwahlen

Nach zwei Tages des Aufstandes verließen die Anhänger des Schiitenführers Moktada Sadr das Regierungsviertel. Nun äußert sich der Präsident.

Nach den gewaltsamen Protesten mit mindestens 30 Toten in Bagdad unterstützt Iraks Präsident Barham Saleh vorgezogene Neuwahlen. Eine erneute Stimmabgabe „in Übereinstimmung mit einem nationalen Konsens stellt einen Ausweg aus dieser erdrückenden Krise dar“, erklärte Saleh in einer im Fernsehen übertragenen Rede.

Nach zwei Tagen des Aufstandes haben Anhänger des irakischen Schiitenführers Moktada Sadr am Dienstag begonnen, das Regierungsviertel in Bagdad zu verlassen. Sadr hatte seine Anhänger zuvor in einer Rede in seinem Hauptquartier aufgefordert, die sogenannte Grüne Zone im Herzen der Hauptstadt innerhalb von 60 Minuten zu räumen.

Sadr entschuldigte sich beim „irakischen Volk“, das „als einziges von den Vorfällen betroffen“ sei.

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Kurz nach Sadrs live im irakischen Fernsehen übertragener Rede verließen nach Beobachtung von AFP-Journalisten seine Anhänger die Grünen Zone, in der sich die meisten Regierungsgebäude und andere staatlichen Institutionen befinden.

Wenige Minuten später hob die irakische Armee eine am Montag ausgerufene Ausgangssperre wieder auf. Sadr hatte in seiner Rede angekündigt, diejenigen seiner Anhänger, die sich seiner Aufforderung widersetzten, zu „verstoßen“.

Videos zeigen Einsatz von Raketenabwehrsystem

Nach Angaben von Rettungskräften wurden bei den am Montag ausgebrochenen Auseinandersetzungen mindestens 23 Menschen getötet und 380 weitere Menschen verletzt. Ein Teil der Menschen weise Schusswunden auf, andere hätten Tränengas eingeatmet.

AFP-Journalisten berichteten, dass auch am Dienstagmorgen zunächst noch Schüsse automatischer Waffen und Raketenfeuer aus der grünen Zone in ganz Bagdad zu hören waren.

Die Auseinandersetzungen zwischen tausenden Sadr-Anhängern, der irakischen Armee und Anhängern einer rivalisierenden, mit dem Iran verbündeten schiitischen Gruppe, hatten begonnen, nachdem Sadr seinen politischen Rückzug angekündigt hatte. Daraufhin besetzten tausende seiner Anhänger ein Regierungsgebäude in der Grünen Zone Bagdads. Am Dienstag nun begannen sie auf Anweisung Sadrs ihren Rückzug.

Berichten zufolge gingen in der Nacht auch mehrere Raketen in der Grünen Zone nieder. Videos in sozialen Netzwerken sollen zeigen, dass daraufhin auch das Raketenabwehrsystem (C-Ram) zum Schutz der US-Botschaft aktiviert wurde.

Der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra teilte mit, in der Gegend um seine Botschaft werde gekämpft. Die Mitarbeiter seien evakuiert worden und würden vorübergehend aus der deutschen Botschaft arbeiten. Die Lage im Irak sei „sehr angespannt“ und ändere sich rasch, schrieb Hoekstra bei Twitter.

Armee verhängt landesweite Ausgangssperre

Die irakischen Streitkräfte hatten am Montag Schüsse und Tränengas abgefeuert, um die Demonstranten aus dem Regierungspalast zu vertreiben. In dem Gebäude befindet sich unter anderem das Büro von Ministerpräsident Mustafa al-Kasimi. Die Armee verhängte eine landesweite Ausgangssperre.

Die UN-Mission im Irak (Unami) sprach von einer „extrem gefährlichen Eskalation“ und forderte die Demonstranten auf, das Regierungsviertel sofort zu verlassen. „Das Überleben des Staates steht auf dem Spiel“, erklärte die UN-Mission. Medienberichten zufolge rief der irakische Premierminister für Dienstag einen nationalen Feiertag aus, damit die Menschen nicht zur Arbeit müssen.

UN-Generalsekretär António Guterres äußerte sich besorgt über die Proteste. Er rufe zu Ruhe und Zurückhaltung auf und appelliere an alle maßgeblichen Akteure, unverzüglich Schritte zur Deeskalation zu unternehmen und jegliche Gewalt zu vermeiden, teilte UN-Sprecher Stephane Dujarric in New York mit. Alle Parteien und Akteure sollten ihre Differenzen überwinden und ohne weitere Verzögerung einen friedlichen und umfassenden Dialog über einen konstruktiven Weg in die Zukunft aufnehmen.

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Moktada al-Sadr selbst kündigte Medienberichten zufolge einen Hungerstreik an, bis die Gewalt aufhört. Zudem müsse der Einsatz von Waffen beendet werden, meldeten die staatliche Nachrichtenagentur INA sowie das staatliche Fernsehen am späten Montagabend. Eine Bestätigung von Al-Sadrs Büro lag nicht vor.

„Dies ist eine Revolution des Volks, keine Sadristen-Bewegung“

„Ich hatte beschlossen, mich nicht in politische Angelegenheiten einzumischen, aber jetzt kündige ich meinen endgültigen Ruhestand und die Schließung aller Einrichtungen an“, teilte Al-Sadr am Montag bei Twitter mit. Ausgenommen seien mit ihm direkt verbundene religiöse Einrichtungen. „Wenn ich sterbe oder getötet werde, bitte ich um eure Gebete.“

Anhänger des schiitischen Geistlichen Muktada al-Sadr stürzen eine Betonbarriere in der Grünen Zone in Bagdad.

© Hadi Mizban/AP/dpa

Keine zwei Stunden nach der Ankündigung strömten Demonstranten in die eigentlich stark gesicherte Grüne Zone. Einige trugen Fotos Al-Sadrs. „Dies ist eine Revolution des Volks, keine Sadristen-Bewegung“, riefen einige.

Andere forderten den „Sturz des Regimes“. Die Protestler beseitigten Barrieren, während Sicherheitskräfte versuchten, die Menge mit Wasserwerfern auseinanderzutreiben. Videos zeigten bald darauf eine jubelnde Menge in den Räumen des Regierungspalasts. Medienberichten zufolge evakuierte die niederländische Botschaft ihre Mitarbeiten aus der Grünen Zone und brachte sie zur deutschen Botschaft.

Politischer Patt seit Monaten

Der Irak steckt seit Monaten in einer tiefen politischen Krise. Diese hatte sich nach der Parlamentswahl vor rund zehn Monaten immer weiter zugespitzt. Al-Sadrs Bewegung ging damals als klarer Wahlsieger hervor, konnte jedoch nicht die wichtige Zweidrittelmehrheit erreichen, die für die Präsidentenwahl erforderlich ist. Erst mit der Unterstützung des Staatschefs kann eine neue Regierung gebildet werden. Damit entstand eine politische Pattsituation.

Al-Sadr hat damit vorerst seinen Versuch aufgegeben, das politische System im Irak mit Hilfe des Parlaments zu reformieren. Die USA hatten nach dem Sturz von Langzeitdiktator Saddam Hussein ein Proporzsystem eingeführt, wonach der Präsident immer ein Kurde, der Ministerpräsident ein Schiit und der Parlamentspräsident ein Sunnit ist. Außerdem wollte Al-Sadr den Einfluss schiitischer Parteien zurückdrängen, die vom Iran unterstützt werden.

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Mit „Druck von der Straße“ und einer Stürmung des Parlaments wollte die Al-Sadr-Bewegung schließlich verhindern, dass ihre politischen Gegner um Ex-Regierungschef Nuri al-Maliki, die eine große Nähe zum Iran haben, eine Regierung bilden können.

Zuletzt hatte der 48 Jahre alte Religionsführer Neuwahlen gefordert. Seine Rivalen stellten unterdessen einen eigenen Kandidaten als Premier vor, den Al-Sadr wegen dessen Nähe zu Al-Maliki ablehnt.

Erste Ankündigung eines Rücktritts im Jahr 2014

Nach der Ankündigung des Rücktritts waren Anhänger Al-Sadrs auf die Straße im Zentrum von Bagdad geströmt und belagerten das Kabinettsgebäude, bevor schließlich der Regierungspalast erstürmt wurde.

Schon 2014 hatte Al-Sadr angekündigt, sich aus der Politik zurückzuziehen – zweieinhalb Monate vor den damals geplanten Parlamentswahlen. Zudem kündigte er an, alle Büros seiner Bewegung zu schließen. „Ich werde mich künftig nicht mehr in politische Belange einmischen, und es wird keine Fraktion im Parlament und keine Regierungsmitglieder mehr geben, die in meinem Namen sprechen werden“, sagte er seinerzeit.

Muktada al-Sadr entstammt einer Familie bedeutender Kleriker. Nach dem Einmarsch der US-Armee im Irak 2003 gründete er eine Miliz, die „Mahdi-Armee“. Al-Sadr lebte zwischenzeitlich im Iran. (dpa/AFP/Reuters)

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