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In Berlin und Hamburg wurde am Freitag bei Demos ein Verbot der AfD gefordert.

© Imago/epd/Christian Ditsch

Update

Debatte über AfD-Verbot : Ex-Verfassungsrichter Papier rät von Antrag ab – auch Steinmeier ist skeptisch

Ein Verbotsantrag würde den Rechten in die Hände spielen, befürchtet Papier. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident dagegen sagt, die Demokratie müsse ihre Instrumente einsetzen.

| Update:

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hält einen Verbotsantrag gegen die AfD derzeit für falsch. „Das würde der AfD nur in die Hände spielen“, sagte Papier dem Tagesspiegel. Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes, der das Parteiverbot regelt, setze hohe Hürden.

Für ein Parteiverbot müssten die grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaates und der Demokratie angegriffen werden, und zwar in einer aggressiv-kämpferischen Art, etwa in Form eines mehr oder weniger gewaltsamen Umsturzes. Zudem müsste die Partei von ihrem Gewicht her in der Lage sein, diese grundlegende Werteentscheidung der Verfassung zu beseitigen, so der ehemalige Verfassungsrichter. 

Auch wenn die AfD nach Einschätzung Papiers im Gegensatz zur NPD dieses Gewicht hätte, sieht er einen Verbotsantrag kritisch. Man sollte ihn nur dann stellen, „wenn man hinreichende Informationen hat, um alle die genannten Punkte wirklich zu belegen und man mit großer Wahrscheinlichkeit von einem Erfolg ausgehen kann“, sagte Papier, der von 2002 bis 2010 das Bundesverfassungsgericht geleitet hatte.

Papier sieht hohe Hürden für ein AfD-Verbot

Ob die Behörden das leisten können, vermöge er nicht zu beurteilen, räumte der Staatsrechtler ein. „Ich habe nur die Informationen, die jeder Bürger hat oder haben kann. Nach meinem Informationsstand halte ich einen Verbotsantrag derzeit für falsch.“

Hans-Jürgen Papier war von 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

© Quirin Leppert/laif/Quirin Leppert/laif

Der sächsische Verfassungsschutz hält die AfD für verfassungswidrig, die thüringische AfD wird als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Die Diskussion um ein Verbot der Partei hat noch mehr Fahrt aufgenommen, nachdem ein Geheimtreffen von AfD-Politikern und Rechtsextremisten zur Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund bekannt geworden ist.

Das Ansehen der großen Volksparteien, die diesen Staat mit aufgebaut haben, verfällt.

Hans-Jürgen Papier

Statt eines Verbotsverfahrens sieht Papier die gemäßigten Volksparteien der demokratischen Mitte in der Pflicht. Sie müssten Wähler zurückgewinnen. „Die AfD hat Anhänger aus dem rechtsextremen Spektrum, aber viele ihrer Wähler sind keine Rechtsextremisten“, gibt der Jurist zu bedenken. „Sie haben ihre politische Heimat verloren. Die haben früher etwa Union gewählt oder sogar die Linke.“

„Das Ansehen der großen Volksparteien, die diesen Staat mit aufgebaut haben, verfällt“, meint Papier. Die Anliegen, die Probleme der Bevölkerung müssten von den Parteien aufgegriffen werden. „Da sehe ich seit Jahren erhebliche Defizite. Die Menschen fühlen sich zu einem großen Teil nicht mehr hinreichend vertreten“, kritisiert das CSU-Mitglied.

Ein Beispiel sei der Umgang mit Migration und Asylpolitik. „Seit etwa zehn Jahren gibt es gravierende Probleme, die nicht gelöst worden sind“, so Papier. Die etablierten Parteien hätten dieses Thema schlicht zur Seite geschoben. „Durch den Druck des Anwachsens extremistischer Parteien ist jetzt hier bei uns und in der Europäischen Union Bewegung in die Sache gekommen“, gibt der Jurist zu bedenken.

Eine echte lösungsorientierte Problembewältigung könne er in der Politik aber noch immer nicht erkennen. „Man muss sich dann nicht wundern, wenn die etablierten Volksparteien einen großen Teil ihrer Stammwähler verloren haben“, so Papier. „Die größte Fraktion ist die der Nichtwähler.“

Steinmeier sieht AfD-Verbot skeptisch

Aber auch die systemfeindlichen Parteien legen europaweit zu, warnt er. „Die schleichende Erosion unserer Demokratie beruht auf dem eklatanten Versagen der Volksparteien als Mittler zwischen Bürgerschaft und politischer Führung.“

Die Verfassungsrechtlerin Gertrude Lübbe-Wolff hält ein AfD-Verbot ebenfalls nach wie vor für unwahrscheinlich. Für ein Parteiverbot bedeuteten einzelne Enthüllungen wie jene über die „Remigrationspläne“ in Kreisen der AfD noch nichts Entscheidendes. „Dafür kommt es auf das Gesamtbild an, also darauf, wie viel Unterstützung solche Positionen in der Partei und unter ihren Anhängern finden“, sagte die ehemalige Bundesverfassungsrichterin dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich skeptisch zu Forderungen nach einem Parteiverbot. „Ich kann die Erfolgsaussichten nicht beurteilen – ein Verfahren würde vermutlich sehr lange dauern“, sagte Steinmeier der „Süddeutschen Zeitung“.

Er rate deshalb „dazu, dass wir uns auf das konzentrieren, was unmittelbar in diesem Jahr möglich und notwendig ist: Wir sollten die besseren Antworten geben, wir sollten demokratische Mehrheiten organisieren und diese stärken.“

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sieht in der AfD eine Gefahr für die Demokratie in Deutschland und plädiert deshalb für ein Verbotsverfahren. „Wir haben es mit einer Partei zu tun, die in drei Bundesländern als gesichert rechtsextrem eingestuft worden ist“, sagte Günther der „Welt am Sonntag“. In zwei dieser Länder habe sie bei den Landtagswahlen im Herbst zugleich gute Aussichten, stärkste Kraft zu werden.

„In einem solchen Moment sollte eine wehrhafte Demokratie die Instrumente, die ihr zu ihrem eigenen Schutz zur Verfügung stehen, auch nutzen.“ Im Hinblick auf Skepsis anderer Politiker sagte Günther, ein Verbotsverfahren müsse sehr gut vorbereitet werden. „Wenn man ein solches Verfahren in Gang setzt, muss es am Ende auch erfolgreich sein. Andererseits ist die AfD schlicht eine echte Bedrohung für unsere Demokratie.“

Jeder, der heute die AfD wähle, wisse, dass es sich um eine extremistische Partei handele. „Das müssen wir viel deutlicher ansprechen. Weggucken und achselzuckend zur Kenntnis nehmen, dass so viele Menschen sich einer solchen Partei zuwenden, ist für eine Demokratin oder einen Demokraten nicht akzeptabel.“ (mit neu, lem)

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