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Sawsan Chebli - Kolumne

© imago

Digitale Zivilcourage: Wie wäre es mit einem fairen Internet?

Es ist eine großartige Vorstellung: Alle Internetnutzer in Deutschland werden laut gegen Hass. Doch dazu braucht es nicht nur Engagement, sondern auch bessere Bedingungen bei den Behörden.

Eine Kolumne von Sawsan Chebli

Ich wage mal ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn alle 78 Millionen Internetnutzer:innen in Deutschland zu „Followern“ eines fairen Netzes ohne Hass und digitale Gewalt würden? Wie laut wäre dieser Chor! Wie leicht würden die Hater übertönt, die nur deshalb viel Gehör finden, weil die Zivilgesellschaft digital zu leise ist. Dabei ist der Social-Media-Einstieg so einfach: Es braucht bloß einen Account und beherztes Einschreiten, wenn digitale Randalierer:innen ihren Schmutz über Frauen, Muslimen, Migrant:innen oder engagierte Demokrat:innen ausschütten.

Aber: Damit alle im Netz angstfrei laut sein können, müssen Twitter, Instagram, Facebook und Co. Bedrohungen, Beleidigungen und Falschinformationen künftig schnell und vollständig löschen. Noch herrscht zu sehr die zynische Logik, dass Hetze Traffic und Gewinn erhöht. Zwar stärkt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz die Rechte von Nutzer:innen gegenüber den Plattformen. Auch müssen Plattformen strafbare Inhalten melden. Nur müssen zur Durchsetzung dieser Gesetze die technischen und personellen Kapazitäten bei Aufsichtsbehörden und Justiz viel schneller ausgebaut werden.

Dabei geht es nicht um Zensur, sondern darum, dass sich endlich die Hater erklären müssen, nicht ihre Opfer. Wie fern ein faires Internet noch ist, zeigt sich auch an Schulen, wo oft Wissen und Lehrende fehlen, um Kindern eine positive Netznutzung beizubringen.

Wir alle müssen lernen, auch digital Zivilcourage zu zeigen. Eine echte Herausforderung, springen wir doch schon im analogen Leben Menschen zu selten bei, wenn sie aufgrund ihrer Religion, Hautfarbe oder sexuellen Identität physisch attackiert werden. Und wer doch hilft, dem droht, sein Leben zu verlieren, wie der Transmann Malte 2022 in Münster.

Mehr Zivilcourage im Netz zu zeigen, käme in meinem Gedankenspiel den 78 Millionen engagierten „Followern“ zu. Will sagen: Jede und jeder sollte die eigene Verantwortung erkennen. Schnell wird mitschuldig, wer zu Hass und Drohungen schweigt. Auch digital hat unterlassene Hilfeleistung schlimmste Folgen. Die Geschichte der von Hatern in den Suizid getriebenen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr darf sich niemals wiederholen!

Deshalb: Nicht abwenden und nicht schweigen, sondern Social Media laut und deutlich zu dem machen, was es trotz allem ja auch schon ist: eine nicht mehr wegzudenkende riesige Welt des freien Austauschs und des Engagements der vielen.

Die gesellschaftspolitische Kolumne von Sawsan Chebli erscheint immer zu Beginn eines Monats.

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