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Politik: Die verlorene Ehre der CDU (Kommentar)

Im alten Rom warf man, damit das Volk etwas zu lachen hatte, Christen hungrigen Löwen zum Fraß vor. Heutzutage, im modernen Berlin, werfen Christdemokraten ihre eigenen Führer in die Arena.

Im alten Rom warf man, damit das Volk etwas zu lachen hatte, Christen hungrigen Löwen zum Fraß vor. Heutzutage, im modernen Berlin, werfen Christdemokraten ihre eigenen Führer in die Arena. Schade, dass dieses Spektakel nicht im Olympiastadion aufgeführt wird. Aber dafür haben wir ja die "Bild"-Zeitung.

Helmut Kohl ist natürlich ein hübsches Fressen für jeden Löwen. Und es sieht so aus, als wäre von jetzt bis zum April durchgängig Fütterungszeit. Meine englischen Freunde, allesamt tierlieb, sagen, dass dies doch eine recht traurige Vorstellung ist. Alte Anführer verdienen doch Respekt. Ich sehe die Sache weniger sentimental, allerdings scheint es mir unklug zu sein, Skandale als Mittel politischer (Generations-)Wechsel zu benutzen. Auch Thatcher war für die britischen Tories ein, wie soll man sagen, Entsorgungsproblem. Und es gab eine Reihe von Chancen, ihren Ruf zu demolieren. So war die Eiserne Lady zum Beispiel notorisch blind für die befremdliche Geschäftspraxis ihres Sohnes Mark. Das ermöglichte es den Tories, ihren Einfluss in der Partei zu beschränken. Doch die Partei weigerte sich schlauerweise, bei dem Korruptionsspiel einzusteigen.

Die Instrumentalisierung von Korruption ist typisch für geschlossene Gesellschaften. Wenn der KGB zeigen wollte, wie schwach Breschnew war, verbreitete er Informationen über den extravaganten Lebenstil seiner Tochter Galina. In Demokratien neigen Korruptionsskandale dazu, außer Kontrolle zu geraten. Die Konservativen hatten schlicht Angst, dass eine Thatcher-Demontage die Wähler verschrecken und die Partei zerstören würde. Die Partei war in der Europafrage äußerst angespalten. Aber richtig nah an den Abgrund rückte sie erst, nachdem sie Thatcher zum Rückzug gezwungen hatte. Damals nahm die Presse die Finanzen der Partei prüfend in Augenschein. Und sofort war der alte Graben - Thatcher-Hasser gegen Thatcher-Verehrer - wieder präsent.

Die Informationen über die Spendenaffäre kamen teils aus der CDU selbst. Von Schäuble-Getreuen, von Kohl-Getreuen. Das war ein Spiel mit dem Feuer. Nun brennt das Haus. Vielleicht spaltet sich die Partei, gewiss wird sie an Einfluss verlieren, bald ist sie womöglich bankrott. Es hätte klügere Wege gegeben, Kohl loszuwerden. (In England wäre er einfach ins Oberhaus weggelobt worden.)

Um zu überleben, muss die CDU ihre Krise nun zu einer Staatskrise hochreden. Und es gibt ja wirklich fundamentale Schieflagen - nicht nur in der CDU, sondern auch im Verhältnis zwischen Politik und Industrie. Die Wirtschaft hat enormen Einfluss auf die Parteien (viel mehr als in England), und gleichzeitig zahlt sie relativ wenig an die Schatzmeister der Parteien. Gleichzeitig sitzen Parteipolitiker in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen: Sie sind in Aufsichtsräten zu finden, leiten Stiftungen etc. Nun ist Kohl nicht der Boss der Bosse. Aber er hatte verstanden, dass eine Konsens-Demokratie auf einer besonderen Beziehung zwischen Politik und Wirtschaft fußt. Diese Beziehung beutete er aus. Das nutzte seiner Partei. Nun schwächt es die gesamte Demokratie.

So muss die CDU jetzt viel mehr tun, als nur die Scheidung von Kohl einzureichen. Sie muss mutig sein und die, seit dem Flick-Skandal, unerledigten Fragen beantworten. Wo sind die Grenzen des Einflusses der Wirtschaft auf die Politik? Wer kontrolliert die Lobbyisten? Nur so wird die CDU etwas von ihrer verlorenen Ehre wiedergewinnen.Der Autor ist Korrespondent der britischen "Times" in Berlin.

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