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US-Präsident Biden hat trotz türkischer Warnungen den Völkermord an den Armeniern anerkannt - hier eine Demonstration in New York.

© Pamela Hassell/AP/dpa

Wendepunkt in den Beziehungen: Die USA holen die Türkei auf den Boden der Tatsachen zurück

Biden hat mit der Erklärung zum Völkermord an den Armeniern signalisiert, dass die Türkei entbehrlich ist. Was folgt daraus – auch für Europa? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Güsten

Die Erklärung von US-Präsident Biden zum Völkermord an den Armeniern ist ein Wendepunkt in den Beziehungen zwischen den USA und der Türkei. Präsident Erdogan hat bisher in der Annahme gehandelt, die Türkei sei für den Westen so unentbehrlich, dass selbst die Supermacht USA darauf achten müsse, sie nicht zu verärgern.

Das hat sich geändert. Biden will Ankara klarmachen, dass die Türkei Amerika mehr braucht als umgekehrt. Die Türkei versteht sich als Regionalmacht, an der niemand vorbeikommt, auch nicht Amerika. Doch die Biden-Regierung sieht Erdogan als Autokraten, dem Grenzen gesetzt werden müssen.

In seinem Telefonat mit Erdogan am Tag vor der Armenier-Erklärung sagte der US-Präsident, er wolle „mit Meinungsverschiedenheiten effizient umgehen“. Das hätte er auch über Russland sagen können.

Dass die türkisch-amerikanischen Streitigkeiten - etwa wegen der engen türkischen Beziehungen zu Russland und der amerikanischen Zusammenarbeit mit den syrischen Kurden – beigelegt werden könnten, erwartet Biden offenbar nicht.

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„Wir dürfen die Türkei nicht verlieren“, lautete lange ein Grundsatz europäischer und amerikanischer Politik gegenüber Ankara. Biden signalisiert jetzt: Die Türkei ist dabei, den Westen zu verlieren.

Damit ändern sich die Spielregeln. Die US-Regierung setzt darauf, dass die Türkei keine Alternative zum Westen hat. Russland oder China taugen weder strategisch noch wirtschaftlich als Ersatz, und der Traum von der türkischen Großmachtrolle gründet auf Selbstüberschätzung.

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Klare Signale sind das Eine – wie Erdogan darauf reagiert, ist das Andere. Die Türkei kann den USA in Syrien und anderswo in die Parade fahren, die US-Luftwaffe aus dem Land werfen und in der Nato amerikanische Initiativen ausbremsen. Türkische Nationalisten rufen bereits nach Vergeltung für die Armenier-Erklärung.

Allerdings würde Erdogan mit einer offen anti-amerikanischen Politik noch mehr Ärger mit Biden riskieren, was der türkischen Wirtschaft schaden dürfte. Schon vor Bidens Erklärung verlor die Lira stark an Wert.

Eine Folge des türkisch-amerikanischen Streits könnte eine stärkere Hinwendung von Erdogan zur EU sein. Der türkische Präsident braucht mehr denn je starke Partner, die ihm aus der politischen Isolation heraushelfen.

Anders als bei Biden konnte Erdogan mit seiner jüngsten Charme-Offensive bei der EU punkten. Allerdings bestehen die Europäer auf türkischem Wohlverhalten gegenüber Griechenland und Zypern und stellen Bedingungen für einen Ausbau der Zollunion. Bidens Schritt könnte dazu beitragen, die Türkei auf den Boden der politischen Tatsachen zurückzuholen.

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