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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist verärgert.

© Adem Altan/AFP

Update

Erdogan bestellt US-Botschafter ein: Biden erkennt Massaker an Armeniern als Völkermord an

Aus Rücksicht auf Nato-Partner Türkei vermied die USA bisher, den Völkermord an den Armeniern zu benennen. Biden bricht nun damit. Erdogan reagiert scharf.

Trotz Warnungen der Türkei hat US-Präsident Joe Biden die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkrieges als Völkermord anerkannt. „Das amerikanische Volk ehrt all jene Armenier, die in dem Völkermord, der heute vor 106 Jahren begann, umgekommen sind“, hieß es in einer vom Weißen Haus verbreiteten Mitteilung Bidens zum Gedenktag an die Massaker am Samstag. Im Wahlkampf hatte Biden eine Anerkennung der Massaker an den Armeniern als Völkermord versprochen.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu wies die Aussage Bidens am Samstagabend „vollständig“ zurück. Sie basiere „nur auf Populismus“, schrieb er auf Twitter. „Wir haben nichts von niemandem über unsere eigene Vergangenheit zu lernen. Politischer Opportunismus ist der größte Verrat an Frieden und Gerechtigkeit.“

Erdogan hatte Biden gewarnt

Die Regierung in Ankara und Präsident Recep Tayyip Erdogan hatten die US-Regierung vor einem solchen Schritt gewarnt. Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte dem Sender Habertürk kürzlich gesagt, sollten die Vereinigten Staaten die Beziehungen zum Nato-Partner Türkei weiter verschlechtern wollen, dann sei das ihre Entscheidung.

Als Reaktion bestellte die Türkei zudem den US-Botschafter in Ankara ein, berichtete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Mit der Einbestellung von David Satterfield bringe das türkische Außenministerium seinen Protest gegen Bidens Äußerungen vom Samstag zum Ausdruck. Bidens Äußerungen hätten „eine Wunde“ in die Beziehungen beider Länder geschlagen, „die schwer wieder gut zu machen“ sei, kritisierte das Ministerium in Ankara Anadolu zufolge.

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Biden hatte betont, es handele sich um die Bestätigung einer historischen Tatsache und gehe nicht darum, der Türkei „Vorwürfe zu machen“. In einem Telefonat mit Erdogan hatte Biden am Vortag um Verständnis für den Schritt geworben. Erdogan erklärte jedoch, das Thema dürfe nicht „durch Dritte politisiert“ und „als Instrument zur Einmischung in unserem Land“ missbraucht werden.

Der US-Präsident Joe Biden.

© REUTERS/Jonathan Ernst/File Photo

Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan begrüßte Bidens Worte. „Das armenische Volk und alle Armenier der Welt haben Ihre Botschaft (...) mit großer Begeisterung erhalten“, sagte er laut Mitteilung. Paschinjan sprach von „einem mächtigen Schritt auf dem Weg der Wahrheit und der historischen Gerechtigkeit“ sowie von einer „unschätzbaren Unterstützung für die Nachkommen der Opfer des Völkermords“.

Während des Ersten Weltkriegs waren Armenier systematisch verfolgt und unter anderem auf Todesmärsche in die syrische Wüste geschickt worden. Historiker sprechen von Hunderttausenden bis zu 1,5 Millionen Opfern.

Die Türkei als Nachfolgerin des Osmanischen Reiches gesteht den Tod von 300.000 bis 500.000 Armeniern während des Ersten Weltkrieges ein und bedauert die Massaker. Eine Einstufung als Völkermord weist sie jedoch strikt zurück.

Armenisches Volk überlebte mit „Stärke und Widerstandskraft“

Die USA fühlten sich verpflichtet, zu verhindern, dass sich ähnliche Gräueltaten jemals wieder ereigneten, erklärte Biden. Überlebende der Verfolgung hätten sich gezwungen gesehen, auf der ganzen Welt eine neue Heimat und ein neues Leben zu finden. Mit „Stärke und Widerstandskraft“ habe das armenische Volk überlebt, habe aber niemals die tragische Geschichte vergessen. „Wir ehren ihre Geschichte. Wir sehen diesen Schmerz. Wir bestätigen die Geschichte. Wir tun dies nicht, um Schuld zuzuweisen, sondern um sicherzustellen, dass sich das, was geschehen ist, niemals wiederholt.“

Bereits als Präsidentschaftskandidat hatte Biden beim Gedenktag vor einem Jahr vom „Genozid“ an den Armeniern gesprochen. Biden betonte damals: „Schweigen ist Mittäterschaft.“ Ebenfalls als Kandidat hatte Biden außerdem einen härteren Kurs gegen Erdogan angekündigt, den er einen „Autokraten“ nannte, der einen Preis für sein Verhalten zahlen werde. In einem Interview der „New York Times“ sprach sich Biden im Januar vergangenen Jahres dafür aus, die türkische Opposition zu unterstützen.

Vor wenigen Tagen hatten mehr als 100 Kongressabgeordnete sowohl der Demokraten als auch der Republikaner Biden in einem Brief aufgefordert, „den Völkermord an den Armeniern in Ihrer Erklärung am 24. April klar und direkt anzuerkennen“.

Sie beklagten, dass US-Präsidenten seit Jahrzehnten schwiegen, während andere Staats- und Regierungschefs „den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“ als solchen bezeichnen würden. Nach US-Medienberichten hatte der damalige US-Präsident Ronald Reagan 1981 die Massaker an den Armeniern als Völkermord bezeichnet, aber keiner seiner Nachfolger.

Verabschiedung der Völkermord-Resolution

Bereits 2019 hatte der US-Kongress die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord anerkannt. Die Regierung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump betonte anschließend, die rechtlich nicht bindende Resolution ändere nichts an der Haltung der US-Regierung. Biden-Vorgänger Trump hatte „von einer der schlimmsten Massen-Gräueltaten des 20. Jahrhunderts“ gesprochen, das Wort Völkermord aber - wie andere US-Präsidenten auch - vermieden.

Nach der Verabschiedung der Völkermord-Resolution durch den US-Kongress hatte das türkische Außenministerium den amerikanischen Botschafter einbestellt. Der türkische Vize-Präsident Fuat Oktay kritisierte damals, der Kongress versuche, die „Geschichte mit Lügen umzuschreiben“. Im Jahr 2016 hatte der Deutsche Bundestag die Massaker an den Armeniern als Völkermord eingestuft - das belastete die deutsch-türkischen Beziehungen über lange Zeit schwer. (dpa, AFP)

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