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Vor dem Durchbruch: Die SPD-Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vor den Verhandlungen zum Konjunkturpaket im Kanzleramt. 

© Kay Nietfeld/dpa

Die SPD nach dem Konjunkturpaket: Kursschwenk und K-Frage gefährden den Parteifrieden

Die Sozialdemokraten sind stolz auf ihre Erfolge beim Konjunkturpaket. Doch es stehen schwierige Entscheidungen an.

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Die SPD hat häufig mit der mangelhaften „Verkaufe“ ihrer Erfolge gehadert – oder durch Nölerei in den eigenen Reihen diese selbst madig gemacht. Olaf Scholz war vor der Pressekonferenz zum 130-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket im Kanzleramt von seinen Leuten das Wort „Wumms“ mit auf den Weg gegeben worden. Und tatsächlich benutzte er es. Nach der „Bazooka“, mit der die Rezession bekämpft werden soll, soll es nun dank wuchtiger Konjunkturimpulse mit „Wumms“ raus aus der Krise gehen. Und es kann letztlich auch der entscheidende „Wumms“ für seine Kanzlerkandidatur gewesen sein.

Sogar die notorisch kritischen Jusos aus Nordrhein-Westfalen jubilieren: „Die Ergebnisse tragen die Handschrift der SPD. Darauf können wir stolz sein. Darauf sind wir stolz." Im Finanzministerium überlegen sie schon, all die positiven Pressestimmen als Podcast für wieder schlechtere Zeiten aufzunehmen. Laut ARD-Deutschlandtrend sind 60 Prozent der Befragten zufrieden mit der Arbeit von Finanzminister und Vizekanzler Scholz, der zweitbeste Wert nach Kanzlerin Angela Merkel.

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Von Scholz stammt der Satz, mit dem richtigen Kandidaten könne die SPD schnell mal zehn Punkte mehr bekommen – anders als die auf 38 Prozent enteilte Union, verliert die SPD sogar einen Punkt und liegt bei 15 Prozent. Und so überdeckt die Einigung auf 300-Euro-Kinderbonus, die Mehrwertsteuersenkung bis Ende des Jahres und einem weiteren 25-Milliarden-Paket für besonders von Corona betroffene Branchen und 50 Milliarden für Zukunftsinvestitionen ein doppeltes Dilemma der Partei. Sie gewinnt weniger an neuen Wählern, als dass sie alte verliert. Und die Kandidatenfrage könnte die jetzt gerade mal geeint wirkende Partei wieder zerreißen.

Zum ersten Problem: Die Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind sehr stolz auf die Hartnäckigkeit, mit der sie sich gegen eine Abwrack- oder Kaufprämie für Benziner und Diesel-Autos Vorschlag gestellt hatten, sie waren gewillt, die Verhandlungen lieber platzen zu lassen, als diese Kröte zu schlucken.

Beide waren gewählt worden, weil sie einen Bruch mit der Kompromisspolitik der großen Koalition versprachen, und mehr Links, mehr Grün. Gerade die jungen Mitglieder, vor allem die Jusos, verhalfen ihnen ins Amt – und mit Genugtuung wird registriert, dass die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer auch an die Adresse der SPD betonte: „Wir haben gegen die Autolobby gewonnen“. In den eigenen Reihen haben Esken und Walter-Borjans ihre Stellung nun gestärkt. Und beide Parteichefs haben nach ihrem Amtsantritt im Dezember ihre skeptische bis ablehnende Haltung gegenüber der großen Koalition überwunden – und auch einiges durchgesetzt.

Doch es gibt auch SPD-Mitglieder, die seit Jahren die Blasenbildung in Berlin kritisieren. Und so ist ein alter Verbündeter schwer empört. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann geht mit der SPD-Spitze hart ins Gericht. „Die rigorose Ablehnung einer Unterstützung der Hunderttausenden von Beschäftigten, die um ihren Arbeitsplatz bangen, mit Aussagen wie ,Kein Cent für Benziner und Diesel' führt zu einem massiven Vertrauensverlust der Beschäftigten der Autoindustrie und angrenzender Branchen gegenüber der Sozialdemokratie“, sagt Hofmann im Interview mit der „Augsburger Allgemeinen“. „Hier herrscht Enttäuschung, dass nicht industriepolitische Verantwortung, sondern die Demoskopie das Handeln der SPD-Spitze bestimmt hat.“

Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, ein bekannter Kritiker der „Neuen“ meint auf Anfrage des Tagesspiegel: „Nach den Beschäftigten der Energiebranche gibt die Sozialdemokratie mit ihrer eher grün-populistischen Ablehnung von Fördermitteln für die Autoindustrie den nächsten Teil ihrer klassischen Wählerschaft auf.“ Klimapolitik sei ihr inzwischen wichtiger als die Interessenvertretung von Arbeitnehmern.

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Nicht weit von Gabriels Wohnort Goslar bauten 7000 hochqualifizierte Facharbeiter mit Spitzenlöhnen, hohen Renten und exzellenten Arbeitsbedingungen Verbrennungsmotoren. „Die wissen ganz genau, dass selbst wenn man dort in Zukunft Elektroantriebe und Batteriezellen bauen würde, nur noch 2.000 gebraucht würden.“ Die Menschen seien nicht blöd. Aber die achselzuckende Bemerkung, für den Klimaschutz ginge das nun mal nicht anders, fänden die Betroffenen einfach nur zynisch. „So etwas können sich Grüne leisten, aber nicht Sozialdemokraten. Von uns wird mehr erwartet.“ Gleichwohl räumt auch Gabriel ein, dass die Konzernchefs und auch führende Gewerkschafter eine große Mitschuld am schleichenden Niedergang – und dem gesellschaftlichen Wandel tragen, der Abwrackprämien anders als in der Finanzkrise nicht mehr opportun erscheinen lässt. „Dass die Unternehmen meinten, man könne nach Steuergeldern rufen und zugleich Dividenden und Boni ausschütten, zeigt nur, wie abgehoben, weltfremd und arrogant dort einige sind“, meint Gabriel. Die Autoindustrie habe sich durch Betrug, Manipulation, irrsinnige Gehälter und Boni, Milliarden von Strafzahlungen selbst an den Rand der Gesellschaft manövriert. „Das nehme ich den Konzernmanagern und den mitverantwortlichen Gewerkschaftern am meisten übel. Denn die Zeche zahlen nicht nur die Verbraucher, sondern vor allem auch die hunderttausende von fleißigen und exzellent arbeitenden Mitarbeitern der Branche.“

Die Erosion in früheren Milieus führt zum zweiten Problem, welcher Kandidat kann am meisten Wähler binden – auf jeden Fall soll vor der Union in den nächsten Monaten die K-Frage geklärt werden, um einen Startvorteil zu haben im ersten Wahlkampf seit der Nachkriegszeit, in dem kein Kanzler mit Amtsbonus ins Rennen gehen wird. Scholz wäre aus Sicht vieler, vor allem auch über die SPD hinaus, der Kandidat, der am besten auch die Interessen der früheren Kernklientel im Blick haben und auch in der Mitte punkten könnte.

Aus dem Kandidatenrennen selbst herausgenommen hat sich wohl der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, der sich intern blamierte mit seinem Schlingerkurs in Sachen Kandidatur für den SPD-Vorsitz - und dessen neue Machtlosigkeit sein vergebliches Ringen für eine Kaufprämie auch für fossile VW-Verbrenner zum Ausdruck gebracht hat.

Je mehr sich Esken/Walter-Borjans und der ihnen im Rennen um den Vorsitz noch unterlegene Scholz als Team präsentieren, desto einfacher könnte es den Chefs fallen, Scholz vorzuschlagen, obwohl sie eben auch gewählt worden sind, weil viele Scholz nicht wollten. Ihnen gelang es, mit dem Kinderbonus von 300 Euro je Kind und dem Abwehren einer Kaufprämie für fossile Verbrenner-Autos das eigene Profil zu schärfen. Sogar in der Union räumen manche ein, Esken habe mit dem Kinderbonus den großen Pokal nachhause getragen, aber dass sie oder Walter-Borjans selbst nach der Kandidatur greifen könnten, gilt als unwahrscheinlich. In der Union wird die Information gestreut, Scholz habe sich in den Verhandlungen sehr bemüht, den beiden Parteichefs seine Kanzlerfähigkeit zu demonstrieren.

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Ein Bericht, wonach die beiden Vorsitzenden Fraktionschef Rolf Mützenich als Kanzlerkandidaten in die Wahl schicken wollten, wurde von der Parteizentrale vergangene Woche als Spekulationen abgetan. Mützenich selbst hatte sich kürzlich für Scholz ausgesprochen. Nachdem er selbst genannt wurde, nahm er sich nicht aus dem Rennen, sondern blieb vage. Damit stärkt der Kölner seine Stellung als Fraktionschef – und könnte diese nutzen, um Scholz auf den Schild zu heben.

Sollten Esken und Walter-Borjans über ihren Schatten springen und Scholz mit dem Wahlkampf betrauen, könnten sie damit die Partei versöhnen und in einem Akt der Souveränität die eigene Stellung in der SPD stärken, heißt es in der Fraktion. Doch auch ein anderer Kandidat ist nicht ausgeschlossen, mit dem die Parteichefs ihr Dilemma auflösen könnten.

Die zwei in der Partei beliebten Ministerpräsidentinnen Malu Dreyer und Manuela Schwesig scheiden wohl aus. Schwesig hat gerade erst eine Krebserkrankung überstanden, Dreyer wegen einer chronischen Erkrankung ihren Stellvertreterposten in der Parteispitze aufgegeben. Der Parteilinken leichter vermittelbar als Scholz wäre Hubertus Heil. Der Arbeitsminister kommt zwar aus den pragmatischen „Netzwerkern“, hat sich aber immer wieder in den Dienst der Partei gestellt und sich mit seiner hartnäckigen Arbeit am Ausbau des Sozialstaats die Achtung des linken Parteiflügels erworben.

Altkanzler Gerhard Schröder hatte neben Heil kürzlich seinen Ex-Mitarbeiter, den SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, als möglichen Kandidaten ins Spiel gebracht. Fraglich ist aber, ob Klingbeil ohne jede Exekutiverfahrung mit seinen 42 Jahren die Bürger überzeugen könnte, dass er das Zeug zum Kanzler hat.

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