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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen (v.r.n.l.).

© dpa/Christoph Soeder

Update

Die Regierung kämpft mit dem Grundgesetz: Wer ausprobieren will, muss auch einplanen können

Nach dem Schuldenbremsen-Urteil des Verfassungsgerichts entlässt der Finanzminister den langjährigen Staatssekretär Gatzer: Mussten die Verantwortlichen wissen, was da aus Karlsruhe kommt?

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Es ist wohl so, wie Robert Habeck es vorausgeahnt hatte: Wenn die Union mit ihrer Klage gegen den Nachtragshaushalt in Karlsruhe gewinnt, wird „uns der Boden unter den Füßen weggezogen“. Wie bedeutsam die kreative Schuldenverschiebung von Coronamilliarden zum Klimageld für die Errichtung der Ampel war, offenbart sich in der aktuellen Ratlosigkeit ihrer Protagonisten.

Einen Plan muss es mal gegeben haben, zumindest den Plan A. Nur wenige Tage, nachdem Olaf Scholz seinen Kanzlereid geschworen hatte, erklärte dessen früherer und am Freitag von Finanzminister Christian Lindner (FDP) entlassene Staatssekretär Werner Gatzer (SPD) in der „FAZ“, wie sich das Projekt „voll und ganz“ in den rechtlichen Rahmen einfüge, den die Schuldenregel im Grundgesetz vorgibt. Mehr noch, es sei „ein Bekenntnis“ dazu.

Tatsächlich handelt es sich bei der Schuldenbremse um ein junges Verfassungsrecht, das in Karlsruhe noch nicht entwickelt war. Regierungen sind dafür bekannt, Spielräume zu nutzen, die sich ihnen bieten. Vielleicht war es auch das Kalkül, dass die Union als Kanzlerpartei im Wartestand sich mit Blick auf künftige eigene Finanzplanungen ruhig verhalten würde, was die Verantwortlichen mutig werden ließ.

Doch der Widerstand kam prompt und spiegelte sich in einer öffentlich eher wenig beachteten Expertenanhörung im Bundestag Anfang 2022. Die Zitate daraus fanden sich später im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom November des Jahres wieder, mit dem das Gericht eine einstweilige Anordnung gegen das Nachtragshaushaltsgesetz ablehnte.

Weil das Gericht eher selten in einem Hauptsacheverfahren etwas kassiert, das es zuvor im Eilverfahren noch durchgehen ließ, dürften sich die Koalitionäre auf der sicheren Seite gewähnt haben. Übersahen sie dabei die Deutlichkeit, mit der das Gericht die möglichen Verfassungsverstöße bis ins Einzelne skizzierte – und schon die Verhängung der Haushaltssperre vorwegnahm, sollte das Gesetz später für nichtig erklärt werden?

Eine Blaupause für Plan B lag jedenfalls seit einem Jahr vor, zusammen mit der Mahnung, dass es auf ihn ankommen kann. Insofern erstaunt das wahrnehmbare Ausmaß an Konfusion und Erschrecken über das Urteil von letzter Woche. Natürlich muss, wer vor Gericht recht bekommen will, überzeugend darin sein, recht zu haben. Aber ein Schuss Realismus gehört dazu. Sollte er tatsächlich gefehlt haben, wäre dies das eigentliche Problem der Koalition – und weniger das Geld.

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