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Angela Merkel, Bundeskanzlerin und CDU-Bundesvorsitzende, spricht bei einer Pressekonferenz

© Kay Nietfeld/dpa

Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten: Angela Merkel könnte mal über eine Pause nachdenken

Nach dem vorösterlichen Debakel überlegen Bund und Länder, wie es gemeinsam weitergehen soll. Es gibt da ungeahnte Möglichkeiten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albert Funk

Es ist schön, wenn man so viel Macht hat, dass einem an einem Sonntagabend mal eben eine Live-Sondersendung freigeräumt wird, wenn man tief in der Bredouille steckt. Angela Merkels Solo-Auftritt bei Anne Will machte deutlich, dass die Kanzlerin nahezu unbegrenzte Möglichkeiten hat, ihre Macht auszuüben. Auch über Medien – keine Redaktion der Welt hätte da „nein“ gesagt.

So durfte Merkel nahezu unwidersprochen vortragen, warum sie zwar einen Fehler gemacht hat, aber nicht allein sie Schuld daran trägt und dass das Folgen haben könnte. Was Merkel bei Will gemacht hat, läuft – zugespitzt gesagt – in gewisser Weise auf eine politische Nötigung von Verfassungsorganen hinaus. Das sind die Landesregierungen und ihre Chefs in unserem bundesstaatlichen System. Und denen drohte die Kanzlerin mit Kommandogewalt des Bundes. 

Im Kern geht es in dem seit einem Jahr schwelenden verfassungspolitischen Konflikt um die Rolle der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK). Die ist im Grundgesetz nicht erwähnt, gehört aber zum praktischen Teil des Verfassungslebens. Es gibt sie seit Bestehen der Bundesrepublik. Sie ist sozusagen aus ihrer Existenz heraus legitimiert. Denn den Ländern steht es frei, wie sie umsetzen, was in ihren Zuständigkeitsbereich fällt. Die Selbstkoordinierung über solche Länderrunden gehört dazu. Die sind immer wieder umstritten, auch in den Ländern selbst. Aber wie alles in der Politik taugen sie mal, mal nicht.  

Taugliches Instrument

Gerade die MPK aber war und ist in der Regel ein sehr taugliches Instrument, sich zwischen den Ländern abzustimmen. Die Ministerpräsidenten sind ein besonderes Kollektiv, eine Runde von recht selbstbewussten Frauen und Männern, die durchaus pfleglich miteinander umgehen. Die Tatsache, auf zwei politischen Ebenen Verantwortung zu tragen – im Land als Regierende, im Bund als Mitgestalter über den Bundesrat – bringt eine Menge Einfluss mit sich, zumal sie auch noch in den Bundesparteien ein gewichtiges Wörtchen mitreden. Wer in der MPK sitzt, hat ziemlich viel Macht im Rucksack. Sie müssen sich gegenseitig nichts vormachen.

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Insofern kann es auch zum Störfaktor werden, wenn der Bund sich hier direkt einmischt. Die MPK ist als Koordinierungsrunde „unter sich“ angelegt. Merkel dagegen hat sie in der Coronakrise umfunktioniert zu einer Veranstaltung „mit ihr“ oder sogar „unter ihr“. Sie hat die MPK quasi gekapert und in eine vom Bund dominierte Runde umgestaltet, die dazu dienen soll, das Signal klaren Regierungshandelns in die Bevölkerung zu senden. Es ging Merkel darum, ein Höchstmaß an Einheitlichkeit in der Corona-Politik zu erreichen, „ihre“ Einheitlichkeit vor allem, ohne den langwierigeren und streitanfälligeren Weg über mehr Lenkung durch Bundesgesetze und Bundesverordnungen gehen zu müssen.

Arbeitsteilung nach dem Grundgesetz

Nach der üblichen Arbeitsverteilung im Grundgesetz hat der Bund auf sehr vielen Feldern, auch beim Infektionsschutz, die Gesetzgebung. Die Länder sollen Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen. Eigen – das heißt, so wie sie es im Rahmen der Bundesvorgaben für richtig halten. Um Einheitlichkeitswünschen aus Berlin oder auch den Länderverwaltungen entgegenzukommen (oder solche Wünsche in der Bevölkerung zu berücksichtigen), gibt es die vielen Selbstkoordinierungsrunden. Bei einer Pandemie etwa die der Gesundheitsminister. Wie immer man dazu steht - klar ist, dass sich in diesen Runden im besseren Fall geballtes Erfahrungswissen der Exekutiven sammelt.

Angela Merkel.
Angela Merkel.

© Markus Schreiber/Pool via Reuters

Wie wäre es mit einer MPK ohne Merkel und ihre Kabinettsminister gelaufen? Allein die Tatsache, die Umsetzung der Coronamaßnahmen verantwortlich in der Hand zu haben, hätte mutmaßlich einen erheblichen Einigungs- und auch Vereinheitlichungsdruck auf die MPK ausgeübt. Dass es dann immer noch zu Unterschieden im Handeln zwischen den Ländern gekommen wäre, ist klar. Aber wo ist das Problem? Wer sich anschaut, was jetzt im Nachklapp zu den MPK-Beschlüssen im März an „Flickenteppich“ zu erkennen ist, muss nicht erschrecken. Es geht um eher maßvoll unterschiedliche Inzidenzwerte, von denen an Maßnahmen greifen sollen, es geht um Modellprojekte, es geht um ein bisschen mehr Außengastronomie da und ein bisschen weniger Ausgangsbeschränkung dort. Jeder Landrat und jede Oberbürgermeisterin kann solche Maßnahmen von sich aus verfügen. Zwischen zu viel Lockerung und zu viel Einschränkung liegt ein recht breiter Ermessensspielraum. Der darf schon genutzt werden.

Massive Einmischung

Was also hat es wirklich gebracht, dass Merkel sich derart massiv ins Ländergeschäft eingemischt hat? Dass in der Bevölkerung der Eindruck vorherrscht, die Ministerpräsidenten hätten bei der Kanzlerin anzutanzen? Wenig bis nichts. Wer sich kurzfristig eigene Auftritte in der Glotze organisieren kann, wer in jedem Kanal Gehör findet, wer mit einer Rede im Bundestag, einer Pressekonferenz, einem Podcast die eigene Haltung verdeutlichen und so Druck machen kann, der braucht das eigentlich nicht. Zumal die MPK weitgehend aus Politikern besteht, die den Koalitionsparteien im Bund angehören.

Stattdessen hat sich Merkel früh und dauerhaft, ja fast verbissen dafür entschieden, in den permanenten Infight mit der MPK zu gehen. Am Anfang erfolgreich, dann wurde es immer zäher. Man hat den Eindruck, dass sie etwas korrigieren wollte. In der Flüchtlingskrise hat eine insgesamt recht gut agierende Länderriege einer bisweilen desorientiert wirkenden Bundesregierung mit Merkel an der Spitze innerstaatlich die nötige Stabilität verliehen. Hat das als Phantomschmerz nachgewirkt?

Einigen Länderchefs, die Merkels Linie teilten, kam deren Einmischung über die MPK zwar zupass. Aber insgesamt ist hier eher verfassungspolitischer Schaden entstanden. Die Koordinierungsrunde, an sich gut und richtig, ist in Verruf geraten. Nach dem Fiasko mit der überlangen Nachtsitzung vor gut einer Woche, mit der Osterruhe, mit der nachfolgenden Entschuldigung und der etwas im Kontrast dazu stehenden wortreichen Selbstrechtfertigung im TV-Auftritt - wäre es nicht eine Möglichkeit, dass Merkel sich mal eine kleine MPK-Pause gönnt?

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