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Friedrich Merz auf dem Gillamoos-Festplatz.

© imago/Lindenthaler/IMAGO/B. Lindenthaler

„Deutschland ist nicht Kreuzberg“: Nun fremdelt Merz auch noch mit der Großstadt

CDU-Chef Merz erntet Spott für seine Bierzelt-Parole: Ex-Wirtschaftsminister Altmaier singt ein Loblied auf die Vielfalt Kreuzbergs – und auch aus der Berliner CDU kommt Kritik.

So schlecht kann Friedrich Merz auf Kreuzberg eigentlich gar nicht zu sprechen sein. Seine Partei jedenfalls erzielte im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg bei der vergangenen Wahl – im Februar zum Berliner Abgeordnetenhaus – einen Zuwachs von satten 44 Prozent gegenüber der letzten gültigen Wahl von 2016 – auf immerhin 13,4 Prozent der Stimmen.

Kreuzberg hat also seinen Anteil daran, dass die CDU nach mehr als 20 Jahren mit Kai Wegner wieder Berlins Regierenden Bürgermeister stellt. Der größte Erfolg in Merz’ Amtszeit als CDU-Vorsitzender fußt deshalb unter anderem auf: Kreuzberg. Wie bloß stünde Merz ohne Kreuzberg da?

Nicht zum ersten Mal nimmt Merz Kreuzberg aufs Korn

Nicht Kreuzberg ist Deutschland“ hatte Merz am Montag beim politischen Frühschoppen auf dem Gillamoos-Volksfest in Niederbayern getönt – als Vorredner von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). „Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland“ befand Merz im Bierzelt.

Es war nicht das erste Mal, dass Merz einen solchen Gegensatz konstruierte. „Das ist hier nicht Berlin-Kreuzberg, das ist mitten in Deutschland“, sagte Merz vor gut drei Jahren auf dem Politischen Aschermittwoch der CDU im thüringischen Apolda.

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Durchquerte Merz Kreuzberg?

Am Dienstagmorgen saß Merz im Plenum des Bundestags, also gut 500 Meter entfernt von Kreuzberg (sollte er etwa vom Flughafen den ex-territorialen Bezirk Kreuzberg durchquert haben?).

Just währenddessen, zu Beginn der Haushaltsdebatte, twitterte der frühere Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein Loblied auf Kreuzberg: „Kreuzberg ist kein neues Metropolis – da denke ich an London – aber es hat sich großartig entwickelt: Alte & neue Deutsche, Zugereiste, viel sanierte Bausubstanz für modernes Leben von heute, tolle Gastronomie von Currywurst über Döner & Pizza bis Sterne-Restaurants. Und Kultur!“

Wir mögen Kreuzberg, und Deutschland, und das Sauerland, und Gillamoos. 

Christine Richter, Sprecherin des Berliner Senats

Altmaiers Zeilen lesen sich wie eine winzige Kritik an Merz, ohne dass der Merkelianer Altmaier den Anti-Merkel-Mann Merz offensiv attackierte. Berlins Regierender Bürgermeister Wegner, dessen Verhältnis zu Merz als ausbaufähig gilt, hatte da schon über seine Sprecherin Christine Richter dem Tagesspiegel ausrichten lassen: „Wir mögen Kreuzberg, und Deutschland, und das Sauerland, und Gillamoos. Und ein bisschen Kreuzberg für alle wäre auch gut.“

Ein bisschen Kreuzberg für Merz? Deutlich weniger elegant als Altmaier und Wegner reagierte die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann (Grüne). Erwartungsgemäß empört referierte sie: „Friedrich Merz spricht nicht nur den 152.000 Kreuzberger*innen ab, ein Teil Deutschlands zu sein. Er sagt Kreuzberg und meint in Wirklichkeit alle Orte mit Vielfalt. Damit spaltet er aus Kalkül die Gesellschaft. Das ist unsäglich.“

Merz hatte die Grünen zum „Hauptgegner“ erkoren

In der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am Montagabend kam die Causa „Kreuzberg“ nicht zur Sprache, sehr wohl aber ein damit unmittelbar verknüpftes Thema: nämlich die Grünen, genauer gesagt der Umgang der CDU mit den Grünen.

Merz sieht die Grünen und Kreuzberg als ein Synonym, hatte die Grünen vor der parlamentarischen Sommerpause zum „Hauptgegner“ der CDU erkoren.

Nicht zum ersten Mal schilderten CDU-Abgeordnete die Verwunderung über diese Aussage in den heimischen Wahlkreisen: Arbeite nicht die CDU mit den Grünen in diversen Kommunen und Ländern zusammen? Merz wies in der Fraktionssitzung, hieß es anschließend aus Teilnehmerkreisen, darauf hin, es gebe große Unterschiede zwischen der Bundesebene einerseits, Ländern und Kommunen andererseits.

Jeder zweite Deutsche wird Schwarz-Grün regiert

Dass die CDU in Hessen gerade einen Wahlkampf mit dem Ziel, ihre schwarz-grüne Koalition fortzusetzen, führt (während die CSU ein solches Bündnis ausschließt), macht die Argumentation für Merz kompliziert. Jeder zweite Deutsche (NRW! Baden-Württemberg! Hessen!) wird von CDU und Grünen regiert.

Und nun noch eine Kampfansage an große Städte, an alternativ geprägte Stadtteile, wie es sie nicht nur in Berlin, sondern in fast jeder Großstadt gibt? Vielleicht sogar in Merz’ Wohnort Arnsberg, mit immerhin 74.000 Einwohnern? Ein diversitäts-feindlicher Unterton schwingt bei Merz mit.

Gabriel spottete über Latte Macchiato-Trinker

Eleganter und viel früher hatte schon im Jahre 2010 der damalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel (Wohnort: Goslar, 51.000 Einwohner) eine ähnliche Klaviatur bedient. Er spottete damals über die Berliner Grünen, die Zukunft einer Stadt lasse sich „nicht nur mit Bionade und Latte macchiato gestalten“.

Das war ein Angriff auf urbane, akademisch geprägte Besserverdiener, mit dem Gabriel sich als Vorkämpfer der einfachen Leute, vor allem der Industriearbeiter, inszenierte. Auf die Behauptung indes, die Bionade-Trinker zählten nicht zu Deutschland, hatte selbst der zu Thesen-Steilheit neigende Gabriel verzichtet.

Merz’ Problem Popularität

Ob Merz mit seiner Attacke weitere Wähler verschreckt? In der Liste der beliebtesten Politiker liegt der Oppositionsführer – trotz der schlechten Regierungsarbeit – hinter Kanzler Olaf Scholz (SPD). Mit seiner Bereitschaft, den Spitzensteuersatz zu erhöhen, dürfte der einstige Bierdeckel-Steuerexperte Merz Anhänger in der Wirtschaft verlieren.

Zwischen FDP und Merz ist die einstige Zuneigung erkaltet. Bei Frauen hat Merz schon jetzt ein Mobilisierungsproblem. Mit dem kirchlichen Milieu fremdelt er, in jedem Merkel-Anhänger sieht er eine Provokation. Bringt der CDU-Chef nun noch die Großstadt-CDU gegen sich auf? Dann hätte Merz bald alle Milieus bedient.

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