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Das Netz des Terrors: Es zeigt sich, dass die Attentäter von Paris (Herbst 2015) und die von Brüssel (diese Woche) allesamt einem größeren Kommando des IS zuzurechnen sind

© AFP

Anschläge von Brüssel und Paris: Das Netz des Terrors

Wenige Tage nach den Anschlägen in Brüssel ist zu erkennen, dass die Täter einem größeren Kommando des IS zuzurechnen sind. Es ist offensichtlich dasselbe, das den Angriff vom 13. November in Paris inszeniert hat. Eine Übersicht.

Von Frank Jansen

Abdelhamid Abaaoud gilt als zentraler Drahtzieher in Europa. Der Mann mit marokkanischen Wurzeln hat offenbar das Terrorkommando aufgebaut und bis zu seinem Tod am 18. November bei einer Polizeirazzia in Saint-Denis (bei Paris) gesteuert. Abaaoud, der nur 27 Jahre alt wurde, stammte aus dem Brüsseler Viertel Molenbeek, einer Hochburg militanter Salafisten. 2013 schloss er sich der Terrormiliz ISIS an, dem Vorläufer des heutigen IS („Islamischer Staat“). Abaaoud rekrutierte auch seinen gerade mal 13-jährigen Bruder Younes für die Miliz.
Bei ISIS wurden die Abaaouds offenbar wie weitere belgische Dschihadisten von der Gruppierung Katibat al Battar al Libi aufgenommen. Die von Libyern dominierte Truppe plante Anschläge im Westen. In deutschen Sicherheitskreisen ist auch von einem IS-Funktionär namens al Battar al Libi die Rede, möglicherweise gehen da Namen durcheinander. Jedenfalls soll Abdelhamid Abaaoud den Auftrag zu Terrorangriffen bekommen haben. Und er hatte freie Hand, in Frankreich und Belgien zu agieren. Abaaoud legte los.
Anfang 2014 telefonierte er mit dem Terroristen Mehdi Nemmouche (30), der am 24. Mai des Jahres am Jüdischen Museum in Brüssel vier Menschen erschoss. Und nach dem Anschlag vom 7. Januar 2015 auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris soll Abaaoud Angriffe auf Kioske in Belgien geplant haben, die das erste Heft der Zeitschrift nach dem Anschlag verkauften. Das Titelbild zeigte als Karikatur den Propheten Mohammed mit einem Schild, auf dem „Je suis Charlie“ steht.
Abaaoud steckte auch mutmaßlich hinter der Terrorzelle im belgischen Verviers, die einen größeren Anschlag geplant haben soll und am 15. Januar 2015 von der Polizei ausgehoben wurde. Die Beamten erschossen zwei Islamisten.
Sicherheitsexperten machen Abaaoud ebenso für den Angriff auf den von Amsterdam nach Paris fahrenden Thalys-Schnellzug verantwortlich. Am 21. August 2015 schoss der in Brüssel eingestiegene Salafist Ayoub al Kahzani (26) um sich, wurde aber von Fahrgästen überwältigt. Abaaoud soll an der Planung des Anschlags beteiligt gewesen sein.
Nach Erkenntnissen der französischen Behörden hat Abaaoud dann die Vorbereitung des Angriffs vom 13. November in Paris dirigiert. Er opferte sich allerdings nicht als Selbstmordattentäter, vermutlich wollte er weitere Anschläge planen. Sicherheitskreise vermuten, Abaaoud habe den Angriff in Brüssel inspiriert. Am 18. November starb Abaaoud, als ein Komplize während der Polizeiaktion in Saint-Denis in die Luft sprengte.

Abdelhamid Abaaoud gilt als zentraler Drahtzieher in Europa.

© Reuters

Salah Abdeslam (26) und Najim Laachraraoui (24) sind nach Abaaoud die wichtigsten Figuren in der Verbindung zwischen den Anschlägen in Paris und Brüssel. Der vor einer Woche in Molenbeek festgenommene Abdeslam, ein Franzose aus einer marrokanischen Familie, war der Logistiker des Angriffs vom 13. November in Paris. Er beschaffte Zünder und Chemikalien für die Sprengstoffwesten, mit denen mehrere Attentäter sich und viele Opfer töteten. Außerdem soll Abdeslam Wagen gemietet und mit einem Pkw in Paris Terroristen zu Anschlagsorten gefahren haben.
Abdeslam selbst warf seine Sprengstoffweste in einen Mülleimer und verschwand nach Brüssel. Offenbar war es ihm wichtiger, weitere Angriffe vorzubereiten. In Molenbeek konnte er sich vier Monate versteckt halten, obwohl die Polizei, wie jetzt herauskam, seine Wohnanschrift seit Dezember kannte. Die Adresse wurde aber nicht der Antiterroreinheit übermittelt. Erst am 18. März, drei Tage vor den Anschlägen in Brüssel, nahmen Beamte ihn in Molenbeek fest.
Der umtriebige Terrorist hat offenbar auch Mittäter rekrutiert. Einer war Najim Laachraoui, der am Dienstag als Selbstmordattentäter am Brüsseler Flughafen starb. Abdeslam hatte Laachraoui im September 2015 in Ungarn abgeholt. Die beiden fuhren mit dem Algerier Mohamed Belkaid (35) über Deutschland in Richtung Frankreich und Belgien. Das Trio übernachtete im bayerischen Kitzingen. Ob die Männer in Deutschland Kontakt zu Salafisten hatten, ist offen. Im Oktober holte Abdeslam in Ulm auch drei Männer aus einem Flüchtlingsheim ab.
Laachraoui hat offenkundig an der Herstellung der Sprengstoffwesten für die Attentäter in Paris mitgewirkt. An einigen Fetzen entdeckte die Polizei DNA-Spuren. Außerdem hatte er unter dem Namen Soufiane Kayal in der belgischen Stadt Auvelais eine Wohnung für die späteren Täter von Paris gemietet. Am Abend des Terrorangriffs in der französischen Hauptstadt soll Laachraoui mit Abaaoud telefoniert haben.
Der Algerier Mohamed Belkaid war womöglich auch von Abdeslam und Laachraoui als Angreifer in Brüssel vorgesehen. Belkaid wurde jedoch am 15. März bei einer Razzia im Brüsseler Vorort Forest erschossen. In der durchsuchten Wohnung hatte sich auch Salah Abdeslam versteckt, er konnte jedoch flüchten.

Der militante Islamismus als letzter Ausweg

Khalid al Bakraoui (27) hatte die Wohnung in Forest gemietet. Am Dienstag starb er als Selbstmordattentäter in der Brüsseler U-Bahn an der Station Maelbeek. Sein Bruder Ibrahim al Bakraoui (29) und Laachraoui zündeten am Dienstag im Flughafen Zaventem ihre Sprengsätze. Beide Brüder waren den Behörden als Schwerkriminelle bekannt. Im Oktober 2010 hatte Ibrahim bei Raubüberfällen in Brüssel und Laeken mit einer Kalaschnikow auf Polizisten gefeuert. Ein Brüsseler Gericht verurteilte ihn 2011 zu neun Jahren Haft, dennoch kam er offenbar erstaunlich schnell wieder frei.
Bruder Khalid bekam 2011 fünf Jahre Haft, er hatte mehrere Autos gestohlen. Bei der Festnahme fand die Polizei bei ihm und einem Kumpan mehrere Kalaschnikows. Khalid soll zudem in der belgischen Stadt Charleroi eine Wohnung gemietet haben, in der sich mutmaßlich Täter des Angriffs vom November in Paris aufhielten. Die Polizei fand DNA-Spuren von Abaaoud und Bilal Hadfi (20). Er hatte sich am Stade de France, in dem das Länderspiel Frankreich - Deutschland stattfand, in die Luft gesprengt.
Ibrahim hatte im militanten Islamismus offenbar den letzten Ausweg aus einem verpfuschten Leben gesehen. „Ich wusste nicht mehr ein noch aus“ steht in einem Testament, das die Polizei in einem Computer fand, der am Dienstag bei Razzien im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek sichergestellt wurde. Der Rechner lag in einem Müllbehälter. In Schaerbeek hatten die Beamten zudem in einer Wohnung eine Werkstatt zum Bau von Bomben entdeckt. Ein Sprengsatz, gefüllt mit Nägeln, war bereits fertig.
Dass Ibrahim terrorverdächtig war, hätten die belgischen Behörden offenbar wissen können. Im vergangenen Jahr schob die Türkei den Mann gleich zweimal ab, weil er nahe der Grenze zu Syrien aufgegriffen wurde und als ausländischer Kämpfer galt. Die belgischen Behörden ließen ihn jedoch auf freiem Fuß.
Offen bleibt, ob ein Salafist aus der Umgebung von Düsseldorf mit Ibrahim El Bakraoui in Verbindung stand. Samir al A. habe bei einer Abschiebung aus der Türkei im selben Flugzeug wie Ibrahim gesessen, heißt es in Sicherheitskreisen. Die Polizei nahm Samir al A. am Donnerstag fest. „Wir wollen kein Risiko eingehen“, hieß es in Sicherheitskreisen.

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