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Mitglieder einer Einheit ausländischer Soldaten am 2. Juni in Sjewjerodonezk.

© REUTERS/Serhii Nuzhnenko

„Das ist viel intensiver als Afghanistan“: Was ausländische Soldaten im Ukraine-Krieg erleben

1000 Soldaten aus anderen Staaten sollen bisher freiwillig geholfen haben, die Ukraine zu verteidigen. Mancher von ihnen muss an den Zweiten Weltkrieg denken.

Am Anfang standen ein Hilferuf und der Eindruck einer Übermacht: In den ersten Tagen des russischen Überfalls auf die Ukraine rief Präsident Wolodymyr Selenskyj ausländische Soldaten dazu auf, seinem Land bei der Verteidigung gegen Putins Truppen zu helfen. Die Invasoren würden, da waren sich viele Beobachter:innen einig, die angeblich komplett unterlegende ukrainische Armee innerhalb weniger Wochen zur Kapitulation zwingen.

Das Land könne also jede Hilfe brauchen, die es bekommt. Wie die „New York Times“ unter Berufung auf Selenskyjs Berater Oleksiy Arestovych berichtet, haben in den ersten vier Kriegsmonaten schätzungsweise 1000 ausländische Soldaten auf ukrainischer Seite an den Kämpfen teilgenommen. Hunderte oder vielleicht Tausende mehr hätten im Krieg geholfen, ohne zu schießen, also zum Beispiel bei der Verarztung verwundeter Soldaten.

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Die Zahlen sind fraglich. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba etwa sprach ganz am Anfang des Krieges, sechs Tage nach Beginn der Invasion, schon von „mehr als 1000 Menschen“, die aus „16 Ländern weltweit“ in die Ukraine gekommen seien.

Chaos zum Start

Genaue Angaben kennt niemand, gibt es in der Ukraine doch keine zentrale Stelle für die Verwaltung der freiwilligen Helfer. Und entsprechend chaotisch lief auch der Start ab. Viele der Freiwilligen kamen mit dem Flugzeug nach Polen und reisten von dort per Zug oder Bus in die westukrainische Stadt Lwiw. Sie wollten den Weg zur Front finden, allerdings gab es keine offiziellen Ansprechpartner.

Manche wurden schließlich an die offiziellen Rekrutierungsbüros verwiesen und konnten sich daher den ukrainischen Kampfverbänden anschließend, andere reisten frustriert wieder ab.

Einige der ausländischen Soldaten brachten zwar ihre Militärausrüstung mit in die Ukraine, jedoch keinerlei Kampferfahrung. Doch selbst wer Veteran aus den USA oder dem Vereinigten Königreich war und die Kriege in Afghanistan und im Irak mitgemacht hatte, war nicht vorbereitet auf das, was im Kampf gegen die russischen Truppen passieren sollte.

Auf diesen Krieg war niemand vorbereitet

Matthew Robinson aus dem Vereinigten Königreich hatte für das US-Militär im Irak gearbeitet. In der Ukraine half er landesweit beim Training der ukrainischen Soldaten und er war auch den Frontlinien im Osten eingesetzt.

Hier sehen sich die Kämpfer fast permanent den Angriffen der russischen Artillerie ausgesetzt, sie werden also von großkalibrigen Geschützen und Raketenwaffen beschossen. Diese Angriffe dürften viele der Soldaten höchstens aus Videospielen kennen, was die Veteranen aus den Kriegen in Afghanistan und Irak einschließt.

„Sofern du nicht im Zweiten Weltkrieg gekämpft hast, wo sonst willst du diese Erfahrung gemacht haben“, fragt Matthew Robinson im Gespräch mit der „New York Times“.

Ein weiterer Unterschied zu den anderen modernen Kriegen besteht in der fehlenden Luftunterstützung. In der Ukraine seien die Soldaten im Kampf gegen die russischen Truppen weitestgehend auf sich alleine gestellt, ohne einen großen Militärapparat im Hintergrund, der auf Wunsch aus der Luft eingreifen könne – und leider auch ohne regelmäßige Versorgung mit Essen, schreibt die US-amerikanische Zeitung.

„Das ist viel intensiver als Afghanistan“

„Das ist viel intensiver als Afghanistan“, beschreibt der ehemalige US-Fallschirmjäger Brian seine Erfahrung im Krieg gegen die Invasoren aus Russland gegenüber der Zeitung. „Das ist Kampf, Kampf.“

Der Krieg mag die ausländischen Helfer schockieren, ihre Eingliederung in die ukrainische Armee scheint aber inzwischen besser organisiert zu sein als noch am Anfang. Die bekannteste Gruppe der ausländischen Soldaten, die International Legion for the Territorial Defense of Ukraine, wurde direkt von der ukrainischen Regierung geschaffen.

Zum größten Teil besteht diese Truppe nach Auskunft ihres Sprechers Damien Magrou aus amerikanischen und britischen Soldaten. Aufgenommen würden inzwischen nur noch Soldaten mit Kriegserfahrung, außerdem würden die Bewerber auf ihre psychologische Eignung hin überprüft und dürften keine extremistischen Ansichten vertreten haben.

Jeder von ihnen würde dann einen Vertrag mit der ukrainischen Armee unterzeichnen und Einheiten unterstellt werden, die aus ausländischen Unteroffizieren und ukrainischen Offizieren bestünden. Die ausländischen Soldaten bekämen den gleichen Sold wie ihre ukrainischen Kameraden.

Ein ukrainischer Soldat in einem schwer beschädigten Haus in Sjewjerodonezk am 8. Juni 2022. Auch hier kämpften ausländische Soldaten mit.
Ein ukrainischer Soldat in einem schwer beschädigten Haus in Sjewjerodonezk am 8. Juni 2022. Auch hier kämpften ausländische Soldaten mit.

© Oleksandr Ratushniak/AP/dpa

Helfer ist nicht gleich Helfer – diese Erfahrung bezieht sich nicht nur auf die Erfahrung, mit der ausländische Soldaten in die Ukraine kommen. Auch in ihren Ansichten unterscheiden sich die Soldaten offenbar deutlich voneinander. Gegenüber der „New York Times“ ist von zwei an der Front eingesetzten Rekruten die Rede, die von ihrem Treffen mit amerikanischen und skandinavischen Mitgliedern der Aryan Brotherhood in der Ukraine berichteten.

Extremisten auf Seite der Ukraine

Die Aryan Brotherhood ist eine rassistische und neonazistische US-amerikanische Gang und ihre Mitglieder waren hier offenbar auf dem Weg aufs Schlachtfeld.

Der französische Soldat Wilfried Blériot wiederum, ein gefallenes Mitglied der International Legion for the Defense, trug auf Fotos ein Symbol und ein T-Shirt der Misanthropic Division – das ist ein in der Ukraine gegründetes Netzwerk von Neonazis. Angeblich habe er aber nicht gewusst, wofür die Misanthropic Division steht.

Mitglieder einer Einheit ausländischer Soldaten am 2. Juni in Sjewjerodonezk.
Mitglieder einer Einheit ausländischer Soldaten am 2. Juni in Sjewjerodonezk.

© REUTERS/Serhii Nuzhnenko

Was bringen die ausländischen Soldaten?

Wie groß ist der Einfluss, den ausländische Soldaten tatsächlich auf den Kriegsverlauf haben? Können sie ein entscheidender Faktor bei der Verteidigung der Ukraine werden, so wie die von Präsident Selenskyj unermüdlich geforderten Waffenlieferungen des Westens und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland?

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Und geht es mehr um die Hilfe in den Gefechten oder eher um eine PR-Leistung, um das Werben weiterer Waffen-Unterstützung für die Ukraine in den teilweise sehr professionell gedrehten Videos, die die International Legion verbreitet?

Darauf gibt es noch keine Antwort. Selenskyjs Berater Arestovych jedenfalls lobte kürzlich diejenigen ausländischen Soldaten, die in der Stadt Sjewjerodonezk in Luhansk gekämpft hatten. Ende Juni hatte sich die ukrainische Armee aus der zuvor heftig umkämpften Stadt im Osten der Ukraine zurückgezogen. Doch die „Motivation, Professionalität und ihre Vorbereitung auf die Kriegsführung in Städten“ der ausländischen Kämpfer hätten eine wichtige Rolle gespielt, die russischen Truppen so lange zurückzuhalten.

Unklar ist auch, wie viele ausländische Soldaten bisher in der Ukraine gefallen sind. Die Angaben beschränken sich auf einzelne Fälle, die bekannt wurden. Darunter ist Björn C. aus Brandenburg, dessen Tod Anfang Juni vermeldet wurde. Mindestens vier amerikanische Soldaten sollen gestorben sein. Am 9. Juni verurteilte Russland drei gefangene ausländische Soldaten zum Tod.

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